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Briefmarken Berlin – Mehr als eine Stadt

Geschichte und Briefmarken Berlins 1948 – 1990


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»Ich bin ein Berliner!« Der Besuch John F. Kennedys in Berlin am 26. Juni 1963

»Ich bin ein Berliner!« – Mit diesen Worten schenkte der US-Präsident John F. Kennedy den Einwohnern Berlins Kraft und Hoffnung. Die geteilte Stadt war seit 18 Jahren nicht zur Ruhe gekommen, weil die drei westlichen Besatzungsmächte England, Frankreich und die USA mit den Sowjets um die Macht über die alte deutsche Hauptstadt rangen. Postkrieg und Blockade, die Berliner Luftbrücke und schließlich der Bau der Berliner Mauer im August 1961 hatten Berlin zu einem Symbol werden lassen. Die Westsektoren galten als eine Insel der Freiheit im kommunistisch besetzten Ostdeutschland.

Der Besuch des US-Präsidenten sollte vor allen Dingen eines deutlich machen: Amerika hat Berlin nicht vergessen. Es steht fest an seiner Seite. Mit der Landung der Präsidentenmaschine »Air Force One« auf dem militärischen Teil des Flughafens Tegel startete Kennedy seine legendäre Tour durch Berlin. In seiner offenen Limousine fuhr der amerikanische Präsident gemeinsam mit dem bundesdeutschen Kanzler Konrad Adenauer und dem Regierenden Bürgermeister Berlins, Willy Brandt, durch menschenumsäumte Straßen. Die Wagenkolonne passierte den Ernst-Reuter-Platz und hielt schließlich vor der Kongresshalle, wo der Präsident eine erste Rede vor dem Gewerkschaftskongress der »IG Bau Steine Erden« hielt.

Diese Begegnung mit den SPD-nahen Arbeitervertretern war auf Betreiben des amerikanischen Gewerkschaftsführers George Meany zustande gekommen. Für Kanzler Adenauer war dieser Umstand nicht angenehm. Er selbst hätte gern den Berlinbesuch an sich verhindert. Die Werbewirkung für den politischen Gegner war ihm zu groß. Doch standen sich John F. Kennedy und Willy Brandt persönlich näher, so sahen sie sich beide als Vertreter einer neuen Politikergeneration. Willy Brandts Amerikareisen hatten ihm, im Gegensatz zu Konrad Adenauer, eine gewisse Popularität in der amerikanischen Öffentlichkeit beschert. Als nächster Stopp auf Kennedys Route lag das Brandenburger Tor. Von einem eigens für den Gast errichteten Podest aus sollte ihm ein Blick über die Berliner Mauer ermöglicht werden. Dieser Plan war jedoch von der ostdeutschen Führung durchkreuzt worden. Man hatte das Brandenburger Tor mit roten Tuchbahnen verhängt. Kennedy wurde stattdessen mit einem leuchtend gelben Schild an die Konferenz von Jalta erinnert, in der die Alliierten 1945 die konsequente Entnazifizierung Deutschlands beschlossen hatten.Briefmarke mit dem Gesicht Kennedys

Dieses Thema – hier zwar als Provokation seitens der DDR-Führung benutzt – sollte auch in der Bundesrepublik Deutschland lange kontrovers diskutiert und Kernpunkt der Studentenproteste der 60er-Jahre werden. Der US-Präsident erhielt nun anstelle des Panoramablicks eine kurze Erklärung mithilfe einer Schautafel, bevor er seine Fahrt in Richtung Checkpoint Charlie fortsetzte. Dieser Kontrollposten an der Sektorengrenze stellte als Übergang von der amerikanischen zur sowjetischen Zone einen der Brennpunkte des geteilten Berlins dar. Erst zwei Jahre zuvor, am 27. Oktober 1961, hatten sich hier amerikanische und sowjetische Panzer gegenübergestanden. Amerika hatte zwar den Bau der Berliner Mauer hingenommen, »keine sehr schöne Lösung, aber tausendmal besser als Krieg« (Kennedy), aber dennoch demonstrieren wollen, dass Berlin nicht dem ideologischen Gegner überlassen werde. Der Anblick dieser schicksalsbehafteten Sperranlage soll Kennedy dazu bewogen haben, seine unmittelbar im Anschluss gehaltene Rede vor dem Schöneberger Rathaus spontan zu ändern.

Das Rathaus der Bezirks Tempelhof-Schöneberg diente seit 1949 als neuer Sitz des Oberbürgermeisters von West-Berlin, da das Rote Rathaus nun im Ostteil der Stadt lag und seit dem 30. November 1948 Sitz des »Demokratischen Magistrats von Ost-Berlin« war. 1950 war vom Turm des Schöneberger Rathauses erstmals die Freiheitsglocke über dem Rudolf- Wilde-Platz erklungen. Diese Glocke war von amerikanischen Spendern finanziert worden und stellte in deren Augen ein Gegenstück zur »Liberty Bell« in Philadelphia dar. Auf diesem Platz sollte John F. Kennedy den Höhepunkt seines Berlin-Besuchs erleben. Seiner Rede über die Freiheit lauschten hunderttausende Berliner, die sich um das Rathaus versammelt hatten. Noch viel mehr Menschen in der Stadt und dem Bundesgebiet saßen gebannt vor ihren Radios und Fernsehgeräten und folgten den emotionalen Worten des US-Präsidenten. Vor den jubelnden Massen beschwor er das Bild einer belagerten Stadt und sprach den Bewohnern Berlins angesichts ihrer Unerschütterlichkeit und Stärke seine Hochachtung aus. Die Sympathisanten des Kommunismus hingegen forderte er auf, nach Berlin zu kommen und sich die Mauer anzuschauen, »jene abscheuliche Demonstration des kommunistischen Versagens«. Indem er West-Berlin zum Symbol der Freiheit erhob, erklärte Kennedy jeden John F. Kennedy, Willy Brandt und Konrad Adenauer vor dem Brandenburger Tor. Im Hintergrund ist das von der DDR-Führung aufgestellte Mahnschild zu erkennen. freien Menschen auf der Welt zum Bürger Berlins und schloss seine Rede mit dem legendären Satz: »Ich bin ein Berliner.«

Nachdem der anbrandende Beifall von einer Schweigeminute abgeschlossen worden war, geleitete der Regierende Bürgermeister Willy Brandt den Staatsgast zum Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Berlin.

Die letzte öffentliche Rede seines Besuchs hielt John F. Kennedy vor Studenten der Freien Universität. Diese 1948 in Berlin-Dahlem gegründete Hochschule ist bis heute ein Symbol der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Da die alte Berliner Universität im Osten Berlins lag und ideologisch zunehmend unter sowjetischen Einfluss geraten war, hatte sich der Ruf nach einer neuen, »freien« Lehranstalt Bahn gebrochen. Auslöser war eine Verhaftungswelle unter Studenten und Lehrkräften gewesen, die sich 1947 an anti-kommunistischen Protesten beteiligt hatten. Etliche waren von der sowjetischen Geheimpolizei verschleppt und vor Militärtribunale gestellt worden. Nach wohlwollender Prüfung durch den amerikanischen Militärgouverneur Lucius D. Clay und mit weit reichender Hilfe US-amerikanischer Stiftungen und Partneruniversitäten war so im Gegenzug eine West-Berliner Hochschule mit starker internationaler Ausrichtung entstanden. Kennedys Rede vor den geschätzt 15.000 Studenten fiel im Gegensatz zur Das Schöneberger Rathaus auf der Berliner Briefmarke von 1964. Schöneberger Ansprache weniger polarisierend aus. Sie rückte die Notwendigkeit der Zusammenarbeit der gegnerischen Mächte in den Vordergrund, eine Linie, die er bereits vor seiner Deutschlandreise vertreten hatte.

Abschließend besuchte der Präsident das amerikanische Hauptquartier und sprach zu den stationierten USSoldaten, bevor er von Adenauer und Brandt zurück zum Flughafen Tegel begleitet wurde. Für den Präsidenten sollte der Besuch, der von Zeitzeugen als wahrhafter Triumphzug beschrieben wurde, eines der beeindruckendsten Erlebnisse seiner Amtszeit sein. Ein weiterer Besuch Berlins war John F. Kennedy jedoch nicht vergönnt. Am 22. November 1963 fiel er in Dallas einem Attentat zum Opfer. Die Bevölkerung Berlins stand unter Schock. Tausende hatten sich noch in der Nacht auf dem Rudolf-Wilde-Platz versammelt, wo sich der Regierende Bürgermeister an die Trauernden wandte. Willy Brandt sprach vielen aus dem Herzen, als er sagte: »Wir in Berlin trauern, weil wir unseren besten Freund verloren haben«.

Am Tag der Beisetzung Kennedys wurde der Platz vor dem Schöneberger Rathaus in John-F.-Kennedy-Platz umbenannt. Die Freie Universität folgte dem Beispiel und widmete ihr Amerika-Institut dem ermordeten Präsidenten. Bis heute wird der »Berliner« Kennedy in Deutschland verehrt. Zahlreiche Schulen, Straßen und Plätze tragen seinen Namen. Im Gedächtnis Berlins wird er immer einen besonderen Ehrenplatz behalten.

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Brennpunkt Berlin. Der Aufstand vom 17. Juni 1953 und fortgesetzte Machtkämpfe.

Am 23. Mai 1949 wurde in einer feierlichen Sitzung des Parlamentarischen Rates in Bonn das Grundgesetz verkündet. Es trat um Mitternacht in Kraft. Offiziell stellte diese Handlung die Gründung der Bundesrepublik Deutschland dar. Lange hatten Vertreter der westlichen Besatzungsmächte darüber verhandelt, ob Deutschland als zentralistischer oder föderalistischer Staat neu entstehen soll. Am Ende wurde eine Republik mit ausdrücklicher Mitsprache der einzelnen Bundesländer beschlossen. In Artikel 23 des Grundgesetzes wurde der Geltungsbereich festgelegt. Dieser umfasste die Länder der Trizone, also der Besatzungsgebiete der USA, Großbritanniens und Frankreichs, und „Groß-Berlin“. Ausnahme blieb das Saarland, das Frankreich als autonomes Saarprotektorat gesondert verwaltete. Damit erhielten die Verfasser den Anspruch auf die gesamte Vier-Sektoren-Stadt Berlin aufrecht.

Genau dies taten jedoch nach wie vor auch die Vertreter der sowjetischen Besatzungsmacht. Auch wenn die Berlin-Blockade nicht zur gewünschten Vereinigung der abgeschnittenen Westsektoren mit dem Osten geführt hatte, versuchte man beharrlich, eine politische Realität zu postulieren, die den eigenen Einfluss bis hin zur alleinigen Verwaltung Berlins ausdehnte. Als Argument diente die Unteilbarkeit der Stadt. So wundert es nicht, dass die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949 ebenfalls ihre Gültigkeit auch für Groß-Berlin festlegte.

Der Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter hatte sich vehement für eine Integration Berlins als Bundesland ausgesprochen, war dabei jedoch auf den Widerstand Konrad Adenauers gestoßen, der dieses Vorgehen angesichts der gespannten internationalen Lage nicht absegnen mochte. Ähnlich verhielt es sich mit einem Vorschlag des Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl, der gesamtdeutsche Wahlen angeregt hatte. Reuter sah eine Chance, dass die Bevölkerung sich gegen den Kommunismus aussprechen und so eine Wiedervereinigung Deutschlands und Berlins angestoßen würde. Mit der gegenüber UN-Vertretern ausgesprochenen Einreiseverweigerung in die DDR starb die Initiative aber bald. Allerdings stand eine Wiedervereinigung noch im Raum. Die Sowjetunion hätte dieser bei gleichzeitiger „Neutralisierung“ Deutschlands zugestimmt. Adenauer hielt aber am Kurs der Westintegration fest. De facto nahm Berlin aber zunehmend die Haltung eines westdeutschen Bundeslandes ein. Das seit Dezember 1950 amtierende Berliner Abgeordnetenhaus sorgte etwa für die Übernahme bundesdeutscher Gesetze und schuf damit Rechtsangleichung.Freiheitsglocke

In der neu gegründeten DDR kämpfte man währenddessen mit einer Wirtschaftskrise. Die Umstrukturierung der Landwirtschaft sorgte immer wieder für Nahrungsmittelknappheit. Es mangelte aber auch an zahlreichen anderen Gütern des täglichen Lebens. Während die US-Politik früh auf den Kurs „Reparationsleistungen nach Wiederbelebung der Wirtschaft“ geschwenkt hatte, waren vor allem ostdeutsche Betriebe von der sowjetischen Strategie betroffen, Reparationen durch Demontage von Industrieanlagen einzuziehen. Die DDR-Führung setzte eine einseitige Förderung der Schwerindustrie dagegen. Entsprechend erlahmten andere Wirtschaftszweige. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wuchs und die so genannte „Abstimmung mit den Füßen“, also der Wegzug in den Westen, nahm stark zu. In Westberlin entstanden Flüchtlingslager für die Ankommenden, während im Osten mit großem Unbehagen die Abwanderung qualifizierter Fachkräfte beobachtet wurde.

Im Juni 1953 eskalierte die Lage, zuerst in Berlin, dann in fast allen Landesteilen der DDR. Auslöser war eine „Erhöhung der Arbeitsnormen“, also der Leistung, die von der Arbeiterschaft für ihren Lohn erbracht werden musste. Die ohnehin schon unzufriedenen Arbeiter reagierten mit Arbeitsniederlegungen und der Ausrufung eines Generalstreiks. Rasch gesellte sich zu den Forderungen der Streikenden der Ruf nach umfassenden politischen Reformen. Das System der DDR an sich geriet in den Brennpunkt der Kritik. Über die Berichterstattung des RIAS, des Radiosenders des amerikanischen Sektors, verbreiteten sich die Neuigkeiten in andere Ballungsräume. Polizeistationen wurden gestürmt, Verwaltungsgebäude besetzt und Gefangene befreit. Die DDR-Führung floh ins russische Sperrgebiet in Karlshorst. Die sowjetische Militärverwaltung erklärte den Ausnahmezustand und schickte Soldaten und Panzer zur Unterstützung der hoffnungslos überforderten Polizei. Mit solcher Übermacht wurde der Aufstand rasch und zum Teil blutig niedergeschlagen und zahllose „Provokateure“ als Mitwirkende an der vermeintlich von Westagenten initiierten „faschistischen Verschwörung“ verhaftet. Die tragischen Ereignisse riefen große Betroffenheit in Westberlin hervor. Die Reaktionen Westdeutschlands blieben eher verhalten, denn angesichts des militärischen Vorgehens gegen die Streikenden war offensichtlich geworden, dass die Sowjetunion ihre Interessen in jedem Fall durchgesetzt hätten. Der Konflikt lag somit in der Sphäre internationaler Machtpolitik.

Konrad Adenauer blieb nur, am 19. Juni in Berlin die Toten zu betrauern. Die Bundesregierung erklärte den 17. Juni als „Tag der deutschen Einheit“ zum Gesetzlichen Feiertag, und der Berliner Senat benannte die Chaussee zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule in „Straße des 17. Juni“ um. Als ein weiteres Zeichen der Verbundenheit wurde im Folgejahr die Wahl des Bundespräsidenten in Berlin abgehalten. 1959 prangerte die Sowjetunion solche Wahlen als Verstoß gegen das Viermächteabkommen an, sodass die Bundesversammlung künftig bis zur Wiedervereinigung in Bonn tagte.

Im Herbst 1953 erschütterte ein weiterer Todesfall Berlin. Der Regierende Bürgermeister Ernst Reuter erlag am 19. September einem Herzanfall. Der Verlust dieser für Berlin zentralen Persönlichkeit traf die Bürger schwer. Sie verloren eine Vaterfigur. Reuter hatte in größter Not das Schicksal der Stadt in seine Hände genommen und unermüdlich für die Rechte seiner Berliner gekämpft.

Mit seinem Tod endete auch die Große Koalition im Berliner Senat. Der CDU-Abgeordnete Walther Schreiber übernahm das Amt des Regierenden Bürgermeisters bis zur Wahl 1954, in welcher die SPD erneut die Mehrheit erlangen konnte. Aufgrund der angespannten Lage in Berlin einigte man sich aber erneut auf eine Große Koalition mit der CDU. Den Regierenden Bürgermeister stellten mit Otto Suhr wieder die Sozialdemokraten. In seine Amtszeit fiel auch der Besuch des Deutschen Bundestages in Berlin im Oktober 1955, wo man Lösungen für die über hitzte Konjunktur suchte. Dieses Zeichen der Verbundenheit Westdeutschlands mit Berlin erregte zwar sowjetischen Protest, wurde aber von Seiten der DDR-Führung betont freundlich behandelt. Man schickte sogar ein Willkommenstelegramm. Ganz anders klang die Begrüßung der Westberliner Kabarettisten. Sie rechneten derart schonungslos mit den Politikern aus dem Westen ab, dass Wolfgang Neuß Pointen auf Adenauers Kosten vom Koordinator der Fernsehübertragung mit einer „Tonstörung“ bedacht wurden. Stattdessen ertönte Marschmusik aus den Radio- und Fernsehgeräten.

Im März 1956 tagte auch der Bundesrat in Berlin. Aufgrund des Sonderstatus der Stadt war zwar die Stellung abstimmungsberechtigter Mitglieder in beiden Regierungsorganen untersagt, die Westalliierten duldeten jedoch die Berliner Vertreter in Bonn unter dem Vorbehalt der „besonderen Bindungen“. Die Sowjetführung erkannte diese natürlich nicht an und ersann in den folgenden Jahren recht kreative Formen des Protestes. So störte man solche Treffen lautstark durch Tiefflüge von Militärjets.

Im Juli 1956 ereignete sich noch ein Unglück, das von den Berliner Bürgern postalische Solidarität verlangte. Starkregenfälle hatten landesweit zu Überschwemmungen geführt. Für die Fluthilfe erschien in Berlin eine Überdruck-Zuschlagsmarke, die zum letzten Mal das Motiv der Freiheitsglocke von 1951 zeigte. Die noch zeitgleich in der DDR erhältlichen Hochwasser-Zuschlagsmarken bezogen sich allerdings ursprünglich auf das Elbe-Hochwasser von 1954.

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Vom Trümmerfeld zur Interbau – Bauboom und Wirtschaftswunder.

Briefmarke mit Sicht auf das MessegeländeAm 2. Mai 1945 wurde Berlin von der Roten Armee besetzt. Die Schlacht um Berlin war verloren. Über zwei Wochen lang hatten die Häuserkämpfe getobt, dann gab der deutsche Befehlshaber Berlins, Helmuth Weidling, endlich den Befehl zur Einstellung der Kampfhandlungen. Zu diesem Zeitpunkt glich die Stadt einem Trümmerfeld. Allein zwischen Februar und April 1945 waren 83 schwere Bombenangriffe auf die Stadt niedergegangen. Über 600.000 Wohnungen waren zerstört, in einigen Vierteln lag die Quote der zerstörten Häuser bei bis zu 90 Prozent. Von den ursprünglich rund 4,3 Millionen Einwohnern waren 1,5 Millionen geflohen. Die Verbliebenen hausten in den Ruinen der Stadt. Berlin musste neu erschaffen werden oder verfallen.

Der von der sowjetischen Militärregierung mit einem Wiederbebauungskonzept beauftragte Stadtbaurat Hans Scharoun schlug entsprechend vor, die Überreste der Stadt nahezu komplett abzureißen, um Raum für eine vollständige Neugestaltung zu erhalten. Glücklicherweise gerieten seine utopischen Pläne schnell ins politische Abseits. Unterdessen begannen die Bewohner Berlins mit den Aufräumarbeiten. Der Alliierte Kontrollrat hatte im Sommer 1945 die allgemeine Arbeitspflicht ausgerufen. Da jedoch der Anteil der arbeitsfähigen Männer auf rund ein Drittel der Berliner Bevölkerung gesunken war, lastete diese schwere Arbeit auf den Schultern der Frauen. Die zur Nachkriegslegende gewordenen Trümmerfrauen bargen aus dem Schutt Baumaterial, rissen die Ruinen mit ihren Händen ab und schufen so die Grundlage für den Wiederaufbau der Stadt. Lohn erhielten sie dafür nicht, aber Lebensmittelkarten. Verantwortlich für das Gesundheitswesen in Berlin war der zum Stadtrat ernannte berühmte Chirurg Ferdinand Sauerbruch. Bereits im Oktober 1945 wurde er jedoch wegen seiner Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten des Amtes enthoben.

Während im Stadtgebiet einerseits die Bäume gefällt wurden, um Brennholz zu erlangen, wurde andererseits tatkräftig an der Wiederherstellung der Infrastruktur gearbeitet. Die Besatzungsmächte etablierten neue Zeitungen. Die Bevölkerung half sich mit Zettelwänden, an denen Nachfrage und Angebot veröffentlicht wurden. Auch für die Suche nach Angehörigen und Freunden nutzte man dieses System. Bis 1947 hatte man die U-Bahnen und Straßenbahnen wieder vollständig in Betrieb genommen, die Ernst Reuter sinnbildlich als das tragende Knochenskelett der Stadt bezeichnet hatte. Ebenfalls von hohem symbolischem Wert für die Berliner war der Funkturm. Obwohl er während der Schlacht um Berlin von einer Granate beschädigt worden war, setzte man sich dennoch für seinen Erhalt ein. Am 1. Oktober 1951 war es dann endlich soweit: Der Fernsehsendebetrieb konnte wieder aufgenommen werden. 1952 wurde der Englische Garten im Großen Tiergarten feierlich vom britischen Außenminister wiedereröffnet.

Trotz aller Fortschritte war der Wohnraum knapp. Mit öffentlichen Mitteln wurde möglichst kostengünstig Abhilfe geschaffen. Hochhausbauten wuchsen in neuen Maßstäben gen Himmel, ästhetische Aspekte spielten allenfalls am Rande eine Rolle. Die Mustersiedlung „Südliches Hansaviertel“ entstand auf einem im Krieg großflächig zerstörten Areal und sollte zum Symbol für Berlins Erneuerungswillen werden. Hier griff man tatsächlich im Sinne Scharouns auf eine moderne Neukonzeptionierung zurück. Grund dafür war auch, dass man im Rahmen der Internationalen Bauausstellung „Interbau 1957“ die Leistungsfähigkeit Westberlins demonstrieren wollte. 53 Architekten aus 13 Ländern schufen im Stile der Nachkriegsmoderne mächtige „Wohnzellen“, die man in Grünanlagen einbettete. Neben Einfamilienhäusern und vier- bis zehngeschossigen Zeilenbauten beherrschen bis heute die sechs so genannten „Punkthäuser“ das Bild des Viertels. Auch der berühmte Architekt Le Corbusier, Vertreter der Funktionalität und Schöpfer des Begriffs der „Wohnmaschine“ leistete einen Beitrag zur Interbau. Der nach ihm benannte Wohnblock im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf umfasst 530 Wohneinheiten auf 17 Stockwerken; allerdings wurden die Ideen des Architekten nicht vollständig umgesetzt. Diese sahen Sozial- und Gartenanlagen auf den Dächern vor sowie eine komplette städtische Infrastruktur mit Ladengeschäften und Dienstleistungsunternehmen im Haus. Auch die Kongresshalle entstand im Rahmen der Interbau. Sie war der Beitrag der USA und wurde 1958 feierlich der Stadt Berlin geschenkt. Bereits am 21. Juni 1957 wurde die 100.000. mit öffentlichen Mitteln gebaute Wohnung in Westberlin übergeben.

Unterdessen entstand im Ostteil der Stadt die „erste sozialistische Prachtstraße“ des Landes. Das „Nationale Aufbauprogramm Berlin“ der SED setzte in der Stalin-Allee, heute die Karl-Marx-Allee, auf neoklassizistische Monumentalbauten. Dem Konzept dieser hauptstädtischen Architektur musste auch das stark beschädigte Stadtschloss weichen. Auf dem Gelände des 1950 gesprengten Baus entstand ein Kundgebungsplatz, der erst in den 1970er-Jahren erneut von einem Palastbau beherrscht werden sollte: dem Palast der Republik. Die Restauration des Brandenburger Tors geschah 1957 als Gemeinschaftsarbeit der beiden Stadtverwaltungen. Die fast vollständig zerstörte Quadriga wurde durch eine Replik ersetzt, die jedoch bereits ein Jahr später in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ihrer „Embleme des preußischdeutschen Militarismus“ beraubt wurde. Man entfernte heimlich den Preußenadler und das Eiserne Kreuz des Schadowschen Entwurfs. Aber auch im Westen der Stadt wurde an einem historischen Gebäude eine Sprengung vorgenommen. 1954 brachte man die Kuppel des stark beschädigten Reichstags kontrolliert zum Einsturz. Man fürchtete um die Tragfähigkeit der Außenmauern.

Die fieberhafte Bautätigkeit hatte auch Schattenseiten. Aufgrund der hohen Nachfrage nach Baustoffen stiegen die Preise. Von 1950 bis 1955 waren die Kosten für den Bau eines Wohnhauses um rund ein Drittel gestiegen. Baustoffpreise hatten um 41 Prozent zugelegt, Holz gar bis zu 95 Prozent. Darüber hinaus verzeichneten die Bauarbeiter einen durchschnittlichen Lohnanstieg von 42 Prozent. In Berlin befasste sich der gastierende Bundestag mit diesen Problemen, und Wirtschaftsminister Ludwig Erhard ermahnte Städte und Gemeinden, ihre Bautätigkeiten zu bremsen, damit die privaten Bauherren nicht in den Ruin getrieben würden.

Nicht nur in den Sozialen Wohnungsbau wurde investiert. Viele Kirchen waren den Kriegsjahren zum Opfer gefallen. Zum 25. Jubiläum des Bistums Berlin 1955 erschien eine Zuschlagsmarkenserie, die helfen sollte, den Wiederaufbau zerstörter Kirchen zu finanzieren. Der Bischof Berlins stand jedoch einer Diözese vor, die wie die Stadt selbst von der Spaltung in Ost und West zerrissen war. Erst 1972 nahm Papst Paul VI. eine Anpassung der Bistumsgrenzen an die politische Realität vor.

Insgesamt erfolgte der Wiederaufbau im Bundesgebiet und Berlin in einem ungeahnten Tempo. Wurde unmittelbar nach der Kapitulation noch in Zeiträumen von mehreren Jahrzehnten gerechnet, gelang in den 1950er-Jahren im Zuge des „Wirtschaftswunders“ die Erneuerung der Städte binnen einer Dekade. Der amerikanische „Marshallplan“, ein Programm zum Wiederaufbau Westeuropas, bot zwar mit seinen über 13 Milliarden US-Dollar, die nach Europa transferiert wurden, nur eine Art Anschubfinanzierung – diese wurde aber gewinnbringend genutzt. In Deutschland entstand im Dezember 1948 die Kreditanstalt für Wieder - aufbau, heute KfW-Bank, die den Wiederaufbau der deutschen Industrie unter stützen sollte. Ihr Startkapital stammte aus den USA.

In den 1960er-Jahren wurde Berlin wie auch andere deutsche Städte von einer massiven Welle der Modernisierung überrollt. Zahlreiche Gebäude, die den Krieg überstanden hatten, fielen nun der Abrissbirne zum Opfer. Die Stadtbilder sollten modern werden, ein Trend der in der folgenden Dekade allerdings bald wieder zum Erliegen kam. Bürgerinitiativen kämpften für den Erhalt alter Bausubstanz, wie etwa das Bethanienkrankenhaus in Kreuzberg. Auch heute kann man in Berlin noch zahlreiche architektonische Spuren des Wiederaufbaus entdecken.

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»Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!« Ernst Reuter – die Stimme Berlins

Unmittelbar nach der bedingungslosen Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands begann zwischen den Siegermächten ein Konflikt, der die Welt erneut spalten sollte. Der „Kalte Krieg“ manifestierte sich früh im besetzten Deutschland, am deutlichsten in Berlin. Die Alliierten der Anti-Hitler-Koalition Großbritannien, USA und Sowjetunion hatten bereits im Februar 1945 auf der Krim beschlossen, dass Deutschland und Österreich in Besatzungszonen aufgeteilt werden solle. Mit den Hauptstädten Berlin und Wien sollte ebenso verfahren werden. Die Sowjets zogen sich gemäß dieser Absprache im Sommer 1945 aus den Westsektoren Berlins zurück, die darauf von amerikanischen, britischen und französischen Truppen besetzt wurden. Ein Magistrat wurde eingesetzt, der sich um die dringlichsten Bedürfnisse der Bevölkerung kümmern sollte. Doch überall zeigten sich die Interessenkonflikte zwischen den westlichen Besatzungsmächten und der Sowjetunion. So spiegelte sich im Kleinen der sich abzeichnender Ost-West-Konflikt wider.

Ernst Reuter mit 7 Jahren Die erste Wahl der Stadtverordnetenversammlung Berlins im Herbst 1946 ergab eine klare Mehrheit für die SPD. Dieser Umstand bescherte der Stadt mit Otto Ostrowski einen sozialdemokratischen Oberbürgermeister. Im sowjetischen Sektor hatte sich jedoch bereits die Zwangsvereinigung von Ost- SPD und KPD zur SED ereignet. Während Ostrowski um Ausgleich bemüht war, verlor er darüber den Rückhalt seiner Partei und trat im April 1947 zurück. Sein gewählter Nachfolger wurde der Stadtrat für Verkehr und Versorgungsbetriebe, Ernst Reuter. Doch an ihm schieden sich die Geister.

Ernst Reuter stammte aus bürgerlichen Verhältnissen, hatte aber bereits früh Anschluss an sozialistische Kreise gefunden. Im Ersten Weltkrieg geriet er im August 1916 in russische Kriegsgefangenschaft, wo er die Oktoberevolution 1917 miterlebte. Es gelang ihm, aus der Gefangenschaft heraus einen Auftrag als politischer Kommissar in den Gebieten der Wolgadeutschen zu erhalten. Im Dezember 1918 schickte ihn Moskau schließlich als KPD-Funktionär zurück nach Deutschland, wo er als Generalsekretär Aufbauarbeit leisten sollte, jedoch stattdessen 1922 aus der Partei ausgeschlossen wurde. Er schlug sich als Journalist und Redner durch, bis die SPD ihm 1926 den Posten des Stadtrats für Verkehrswesen anbot. Ernst Reuter zeigte sich als begeisterter Verfechter des öffentlichen Nahverkehrs. Auf seine Initiative entstand 1929 die BVG, die Berliner Verkehrs AG, damals das größte öffentliche Nahverkehrsunternehmen der Welt. 1932 als Magdeburger Oberbürgermeister in den Reichstag gewählt, brachte ihn seine ablehnende Haltung gegenüber den Nationalsozialisten ab 1933 in den Fokus der neuen Machthaber. Er musste zwei KZ-Inhaftierungen und schwere Misshandlungen über sich ergehen lassen, dann floh er 1935 ins türkische Exil, wo er als Berater im Wirtschaftsministerium tätig wurde. 1946 kehrte Reuter mit Billigung der britischen Botschaft in Ankara nach Deutschland zurück und wurde erneut mit der Organisation des Berliner Nahverkehrs beauftragt. Bereits seine Einsetzung als Mitglied des Magistrats erfolgte gegen den Willen der Sowjets, aber auf ausdrückliches Beharren der Briten und Amerikaner. Diese schätzten seine selbstbewusste Persönlichkeit, hoffte man doch auf aktive Beteiligung deutscher Demokraten beim Aufbau eines neuen freiheitlichen Staates.

Der Ex-KPD-Funktionär Reuter wurde folglich 1947 zwar zum Oberbürgermeister gewählt, sein Amtsantritt jedoch durch das Veto der sowjetischen Machthaber verhindert. An seiner Stelle übernahm die Sozialpolitikerin Louise Schroeder die Amtsgeschäfte. Diese kämpferische Frau, die bereits 1919 im Reichstag saß und maßgeblich an der Gründung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) beteiligt gewesen war, hatte sich 1933 als Reichstagsabgeordnete gegen die NSDAP gestellt und war so ins politische Abseits geraten. Nach Kriegsende beteiligte sie sich an der Neugründung der SPD und der AWO und war 1948 auch im Gründungsausschuss der Freien Universität Berlin vertreten. Doch auch die Neubesetzung des Bürgermeisterstuhls vermochte die weitere Eskalation zwischen den Besatzungsmächten nicht zu verhindern. Bereits im Februar 1948 fand in London eine Sechsmächtekonferenz ohne die Sowjetunion statt, in der über föderale Strukturen eines neuen deutschen Staates verhandelt wurde. Gleichzeitig gefährdeten Inflation und Schwarzmarkt den wirtschaftlichen Wiederaufbau. Doch auch in diesem Punkt konnten sich die Siegermächte nicht einigen, sodass die West-Alliierten schließlich den finanzpolitischen Alleingang für ihre Zonen beschlossen. Mit der Durchsetzung der Währungsunion für die westlichen Sektoren Deutschlands am 20. Juni 1948 brach der Konflikt offen aus. Die sowjetische Führung reagierte mit einer eigenen Währungsreform, die das gesamte Berlin mit einschließen sollte. Die Westberliner Bürger zeigten sich empört, sodass die westlichen Alliierten am 23. Juni die Einführung der D-Mark auch für ihre Sektoren Berlins ankündigten.Briefmarke mit Ernst Reuter

Noch in der Nacht auf den 24. Juni unterbrachen die Sowjets die Stromversorgung Westberlins. In den frühen Morgenstunden folgte die Abriegelung aller Verkehrsverbindungen. Der Westteil der Stadt mit seinen über 2 Millionen Einwohner war von jeglicher Versorgung aus dem Westen abgeschnitten. Die Aufgabe der Stadt wurde in Erwägung gezogen. Doch der amerikanische Militärgouverneur Lucius Clay appellierte mit Nachdruck an seinen Präsidenten Harry S. Truman, die Versorgung Westberlins mit allen Mitteln durchzusetzen. Angesichts eines drohenden Kriegsausbruchs besann man sich auf die Versorgung der Stadt aus der Luft, ein in der Geschichte beispielloses Vorhaben. Bereits am 26. Juni landeten die ersten B-29 Langstreckenbomber mit Nahrungsmitteln in Berlin Tempelhof. 332 Tage lang versorgten die „Rosinenbomber“ der Berliner Luftbrücke die Menschen mit dem Nötigsten, während die Machthaber hinter verschlossenen Türen verhandelten. Am 9. September 1948 ergriff Ernst Reuter vor dem Reichstag das Wort, doch sprach er zu den Menschen außerhalb Berlins und außerhalb Deutschlands. Mit Inbrunst verteidigte er das Recht der Berliner, ihr Schicksal mitzubestimmen. Die Bürger seien kein Tauschobjekt auf dem Verhandlungstisch. Reuter gelang es mit dieser charismatischen Rede, Berlin als Symbol eines Kampfes herauszustellen, in dem die freie Welt sich eine Kapitulation weder politisch noch moralisch leisten könne. Er sprach den Berlinern aus der Seele und wurde damit selbst zum Symbol für die unnachgiebige Haltung der Stadt gegenüber dem Kommunismus. Unter seiner Leitung erfolgte die Verlegung der Berliner Stadtverordnetenversammlung in den Westteil, um sie den zunehmenden Störungen durch die Sowjets zu entziehen. Die Spaltung Berlins vollzog sich auf allen Ebenen, die politische Trennung erfolgte endgültig am 30. November 1948 mit der Einsetzung eines neuen Magistrats durch die SED im Ostsektor. Für Spezialisten unter den Briefmarkensammlern stellt gerade diese Zeit der Doppelwährung und des sich daraus ergebenden „Postkriegs“ ein hochinteressantes Forschungsgebiet dar.

Nach elf Monaten beendeten die Sowjets die Blockade Berlins. Der gewünschte Effekt – das massenhafte Überlaufen der Berliner – war ausgeblieben. Die Westmächte beschleunigten nunmehr die Gründung eines Westdeutschen Staates. Louise Schroeder stand diesem Entschluss skeptisch gegenüber, da sie zu Recht fürchtete, die Teilung würde so zementiert. Doch Ernst Reuter sprach sich für einen solchen Staat aus – unter Einbindung Berlins. Am 7. Dezember 1948 erneut zum Oberbürgermeister gewählt, konzentrierte er sich auf die Lösung der Währungsproblematik und setzte wirtschaftliche Hilfen für Berlin durch. Zwar blieb der Stadt der geforderte Status als Bundesland vorerst verwehrt, doch hatte die Krise eine Verbundenheit der Berliner mit ihren westdeutschen Landsleuten und den Alliierten bewirkt, die sich maßgeblich auf die weitere politische Entwicklung auswirken sollte.

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Unterwegs in Berlin – Vom Botanischen Garten zum Berliner Zoo

Berlin – das ist die Metropole, Deutschlands erste Millionenstadt, die auch noch heute aus allen deutschen Großstädten heraussticht. Mit knapp doppelt so vielen Einwohnern wie die nächstgrößte Stadt zieht Berlin darüber hinaus Besucher aus aller Welt an, die ein wenig von der berühmten „Berliner Luft“ schnuppern wollen, die der Komponist Paul Lincke einst in der heimlichen Nationalhymne der Stadt verewigte. Damals wie heute zog sie die Menschen in den Bann, und zahlreiche Künstler verewigten „ihr Berlin“ in Versen oder Bildern. Doch jenseits der prächtigen Alleen und des funkelnden Lichtermeers der Großstadt bietet Berlin eine unvergleichliche Vielfalt an Ausflugszielen und Naherholungsgebieten, seien es die Tempelhofer Freiheit, der Volkspark Friedrichshain oder die Gärten der Welt in Berlin-Marzahn und das alte Gelände der Bundesgartenschau im Stadtteil Britz. Mit über 2500 Parks und Grünanlagen ist Berlin eine ausgesprochen grüne Stadt.

Der erste Botanische Garten Berlins stammte bereits aus dem 16. Jahrhundert. Dort, wo sich heute der Lustgarten auf der Museumsinsel befindet, legte einst der fürstliche Hofgärtner Desiderius Corbianus im Schatten des Stadtschlosses eine Pflanzensammlung an. Die Idee fand bald Nachahmung, als der alte Schloss- und Apothekengarten einem Festungsbau weichen musste. Auf dem Gelände des heutigen Kleistparks in Berlin-Schöneberg stand damals bereits ein Hopfengarten für die königliche Brauerei. Diesen stellte der Große Kurfürst dem „Hofmedicus und Hofbotanicus“ Johann Sigismund Elsholtz zur Verfügung, um dort einen neuen Hof- und Mustergarten anzulegen. Die so geschaffene Anlage aus dem Jahre 1679 gilt heute als die Geburtsstunde des Botanischen Gartens Berlin. Dass dieser mittlerweile seit über 100 Jahren in Berlin-Lichterfelde beheimatet ist, lag an der damaligen Stadtentwicklung, die dringend neues Bauland benötigte. Und so verblieb in Schönefeld nur ein Teil des Areals als Parkanlage, benannt nach dem großen Dichter Heinrich von Kleist, während sich der heutige Botanische Garten auf seinem neuen Grund mächtig ausdehnen konnte. Heute ist er mit 43 Hektar der weitläufigste seiner Art in ganz Deutschland. Das berühmte Tropenhaus, zu sehen auf der Jubiläums-Sondermarke, gehört noch immer zu den größten Stahl-Glas-Konstruktionen weltweit.

Bau des TropenhausesAuch der artenreichste Zoo der Welt findet sich in Berlin. Mehr als 17.000 Tiere beheimatet der Zoologische Garten Berlin, der nach wie vor zu den bedeutendsten Besucherattraktionen der Hauptstadt gehört. Wieder bildete eine herrscherliche Spende die Keimzelle der Anlage. König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen stellte dem Zoologen Martin Hinrich Carl Lichtenstein einen Teil seiner Fasanerie am Tiergarten zur Verfügung, damit dieser seinen Plan umsetzen konnte, den er gemeinsam mit Alexander von Humboldt gefasst hatte. Denn Paris und London hatten bereits ihre Zoos, Berlin durfte dem nicht nachstehen. Unterstützt wurden sie dabei von dem Gartenbauarchitekten Peter Joseph Lenné, der seinen Teil zur Gestaltung beisteuerte. Am 1. August 1844 öffnete der Zoologische Garten zum ersten Mal seine Tore, allerdings ohne jegliche öffentliche Anteilnahme. Grund dafür war ein Attentat auf den König wenige Tage zuvor, welches große Feierlichkeiten verbat. Dennoch entwickelte sich das prestigeträchtige Objekt unter dem frischgebackenen Zoodirektor Lichtenstein und seinen nicht weniger ambitionierten Nachfolgern rasant. 1857 wurde für 2500 Taler ein Elefant gekauft – die Berliner Attraktion des Jahres. Unter Heinrich Bodinus entstanden etliche Tierhäuser im populären „afrikanischen Stil“, so auch das Antilopenhaus, in dem sich am 8. September 1872 die drei Kaiser Wilhelm I., Franz Joseph von Österreich und Alexander II. von Russland treffen sollten.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs war der Zoologische Garten restlos zerstört. Von etlichen tausend Tieren überlebten weniger als einhundert. Mit begrenzten Mitteln und unermüdlichem Eifer wurde der Zoo neu erbaut. Einen Rückschlag erlitt dabei das 1913 errichtete Aquarium Berlin, das bis auf seine Grundmauern niedergebrannt war. In den Jahren bis zu seiner Wiedereröffnung 1952 waren durch den Mangel der Nachkriegszeit minderwertige Materialien verbaut worden. Während eine Sondermarke 1977 das 25. Jubiläum feierte, musste das Gebäude grundlegend saniert werden.

Doch es sind nicht allein die großen Sehenswürdigkeiten, die sich der Besucher anschauen sollte. Einige alltäglich anmutende Dinge sind in Berlin etwas ganz Besonderes. Zur selben Zeit, als Johann Sigismund Elsholtz an seinem Mustergarten arbeitete, verwandelte sich das Bild Berlins noch auf ganz andere Weise, und zwar nachts. Denn 1679 wurde die erste Straßenbeleuchtung installiert. Die frühen Laternen – anfangs waren es nur einige wenige – wurden mit Öl betrieben, später verwendete man Gas. Dieses sogenannte „Stadtgas“ wurde von städtischen Gaswerken mithilfe der neu entwickelten Kohlevergasung gewonnen. Ein unterirdisches Rohrnetz versorgte die Kandelaber. Auch nachdem Werner von Siemens 1867 einen Weg entdeckt hatte, mithilfe eines Dynamos Strom zu erzeugen, blieben zahlreiche Städte ihrer Gasbeleuchtung treu. Das lag unter anderem daran, dass die Leuchtmittel noch nicht sehr ausgereift waren. In Berlin beschränkte sich 1882 die elektrische Straßenbeleuchtung auf den Potsdamer Platz. Und auch heute noch stehen in Berlin über 40.000 Gaslaternen, etwa die Hälfte aller weltweit erhaltenen. Entgegen aller Pläne, die Hauptstadt mit einer flächendeckenden elektrischen Beleuchtung zu versehen, kämpfen die Berliner seit Jahren für den Erhalt ihrer Gasleuchten. In einem Freilichtmuseum im Tiergarten können über 90 Exemplare aus den Epochen der Stadtgeschichte betrachtet werden. Noch ist Berlin „Welthauptstadt der Gasbeleuchtung“.

Ein weiteres Relikt aus vergangenen Tagen, welches man bei Streifzügen durch Berlin vielerorts erblicken kann, sind die historischen Straßenpumpen. Früher gehörten diese Schwengelpumpen zur öffentlichen Wasserversorgung, aber bis heute sind sie – oft ergänzt durch moderne Exemplare – Teil des Netzwerks an Trinkwassernotbrunnen. Diese Einrichtung soll im Falle eines Ausfalls der regulären Wasserversorgung das Überleben der Bevölkerung sichern.

Eine letzte Berliner Sehenswürdigkeit darf nicht unerwähnt bleiben, zumal die Wenigsten wissen, dass sie eine ist. Weit über 50.000 Stück stehen – oder drehen sich – im deutschen Straßenbild und verkünden ihre Botschaften: die Litfaßsäulen. So wie heute mancher Bürger angesichts der allgegenwärtigen Werbeflut zu stöhnen beginnt, so litten die Berliner Straßen Mitte des 19. Jahrhunderts unter den Auswüchsen des Plakatwesens. Wildplakatierer nutzten alle verfügbaren Flächen für ihre Aushänge, bis der Drucker Ernst Litfaß eine brillante Idee hatte: das Aufstellen von Säulen, an denen die Menschen – gegen eine Gebühr – ihre Plakate aufhängen konnten. Die erste „Annociersäule“ wurde 1854 genehmigt, ein Jahr später folgten 100 Stück. Auf seinem Monopol für zwanzig Jahre ruhte sich Litfaß aber keineswegs aus. Als Drucker entwickelte er die Technik großformatiger Drucke weiter, die er seinen Werbekunden anbot. Später produzierte er im großen Stil Depeschen und Meldungen für den König und wurde gar zum Geheimen Kommissions-Rat ernannt. Eine ganz besondere Litfaßsäule mit seinem Antlitz darauf steht in der Nähe des Alexanderplatzes. Manchmal sieht man dort auch einen Drehorgelmann stehen.

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Mit Volldampf in die Zukunft – August Borsig und der Siegeszug der Eisenbahn

Am 29. Oktober 1838 nahm die neue Eisenbahnlinie zwischen Berlin und Potsdam ihren Betrieb auf. Damit brach auch für die preußische Hauptstadt das Zeitalter des Schienenverkehrs an.

Teile für den Streckenbau wurden von einem jungen Unternehmer namens August Borsig hergestellt, der mit seiner Borsigschen Maschinenbau-Anstalt deutsche Industriegeschichte schreiben sollte. Anfangs produzierte die Fabrik Dampfmaschinen, bald konzentrierte man sich ganz auf den Wachstumsmarkt Eisenbahn. Waren die ersten Berliner Lokomotiven noch bei Robert Stephenson in England bestellt worden, konstruierte Borsig innerhalb der nächsten Jahre ein Dutzend Fahrzeuge nach amerikanischem Vorbild. 1844 stellte August Borsig bei der Berliner Industrieausstellung schließlich die erste eigenständig in Deutschland entwickelte Lokomotive vor: die „Beuth“. Namenspatron war niemand Geringeres als der Leiter des Königlichen Gewerbeinstituts Peter Christian Wilhelm Beuth, Borsigs ehemaliger Dozent. Dieser hatte ihm mit den Worten, aus ihm werde niemals etwas werden, ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt, sodass Borsig seinerzeit die Ausbildung abbrach.

Doch nun expandierte sein Unternehmen im großen Maßstab. Der Siegeszug der Dampflokomotiven brach sich im ganzen Land seine Bahn. August Borsig war dabei. 1849 nahm sein neues Eisenwerk in Moabit den Betrieb auf. Drei Jahre später kaufte er eine weitere Eisengießerei und ein Maschinenbauwerk auf. Bald beschäftigte er knapp 2000 Arbeiter. Das Jahr 1854 sah die 500. Borsig-Lokomotive das Werk verlassen. Nahezu alle preußischen Bahnen fuhren mit seinen Loks, und der Studienabbrecher Borsig wurde vom Fürsten zum Geheimen Kommerzienrat ernannt. Weniger bekannt ist, dass Borsig auch die Fontänen des Schlosses Sanssouci mit einer automatischen Dampfpumpenanlage bestückte. Die Kuppeln des königlichen Schlosses und der Potsdamer Nikolaikirche waren ebenfalls Konstruktionen aus seinem Hause. Mit seinem Vorsitz über die Vereinigung deutscher Arbeitgeberverbände hatte er sich an die Spitze der deutschen Industrie gearbeitet.

In seinen Betrieben sollte Borsig Maßstäbe moderner Unternehmensführung setzen. Der von seinem Tatendrang angetriebene Industrielle führte ein strenges Regiment, investierte aber gleichzeitig in fortschrittliche Einrichtungen zugunsten seiner Mitarbeiter. Lange vor Bismarcks Einführung der deutschen Sozialversicherung schuf August Borsig eine Betriebskrankenkasse, gefolgt von Spar- und Sterbekassen zur Versorgung der Familien. Gleichzeitig setzte er auf Fortbildung im Unternehmen und stellte den Arbeitern Sporteinrichtungen zur Verfügung, um deren Leistungsfähigkeit durch gesundheitsfördernden Ausgleich zu bewahren. Privat trat er gern als Förderer auf und wurde zu einem bedeutenden Mäzen der Kunst.

Borsig wusste seinen Reichtum zu genießen und bezog die in Berlin-Moabit errichtete Villa Borsig, wo er bis zu seinem frühen Tod 1854 in Luxus lebte. Die auf den Sondermarken „Berliner Ansichten“ abgebildete Borsig-Villa war der Wohnsitz seines Enkels, Ernst Borsig, der auf den alten Humboldtschen Ländereien Großer und Kleiner Reiherwerder den neuen Familiensitz errichten ließ. Heute dient das prächtige Bauwerk als Gästehaus und Ausbildungszentrum des Auswärtigen Amtes. Unternehmensteile des einstigen Borsig-Imperiums existieren noch heute, auch wenn der Name seine damalige Bedeutung weitgehend eingebüßt hat.

August Borsig stand natürlich nicht allein. Er war ein Kind seiner Zeit, wenn auch eines der erfolgreichsten. Europaweit führte die flächendeckende Industrialisierung zu einer ungekannten wirtschaftlichen Dynamik. Zwar gab es viele kritische Stimmen, die in der rasanten Entwicklung auch gesellschaftliche Probleme ausmachten. Doch insgesamt überwog ein unerschütterlicher Optimismus in die Segnungen des Fortschritts. Nach der Gründung des Kaiserreichs 1871 lief insbesondere die deutsche Wirtschaft auf Hochtouren. Französische Reparationsleistungen spülten große Geldmengen in den Markt. Die legendären Gründerjahre strotzten vor Selbstbewusstsein, bis im Frühjahr 1873 von Wien ausgehend der „Gründerkrach“ die Wirtschaft erschütterte. Spekulationen an den Börsen hatten Aktienblasen entstehen lassen, die nun in einer Kettenreaktion platzten. Die Auswirkungen spürte man bis nach Übersee, wo die New Yorker Börse nach einigen spektakulären Firmenpleiten erstmalig geschlossen wurde.Preußische T 12 von Borsig von 1921

Für die Berliner boten diese bewegten Zeiten manche neue Errungenschaft. Zwar blieben Droschken und Postomnibusse im Stadtverkehr weiterhin unentbehrlich, aber die Eisenbahnen verbanden die Metropole mit ihren Nachbarstädten auf wesentlich bequemere Art, als dies früher mit den Postkutschen der Fall gewesen war. Pferdestraßenbahnen hingegen waren in den Städten des 19. Jahrhunderts keine Seltenheit. Fast alle später elektrifizierten Straßenbahnnetze hatten ihren Betrieb mit Pferdestärken begonnen. Allein in Deutschland gab es über 90 solcher Verkehrsbetriebe. Die erste elektrifizierte Straßenbahnlinie fuhr 1881 in der Stadt Lichterfelde bei Berlin. Die Sondermarke aus der Reihe „Berliner Verkehrsmittel“ zeigt einen dieser Triebwagen von Siemens & Halske, die tatsächlich umgebaute Pferdebahnwagen waren. Der Testbetrieb erwies sich als sehr erfolgreich, und ab 1895 verkehrten auch in Berlin selbst diese Bahnen.

Die Sondermarkenreihe „Berliner des 19. Jahrhunderts“ zeigt anschaulich das Nebeneinander von Tradition und Moderne, in dem sich nicht nur die Berliner bewegten. Das Markenmotiv zur Borsig-Schmiede verdeutlicht, dass auch die modernste Technik häufig in Handarbeit konstruiert wurde. Bis zur industriellen Fließbandproduktion sollten noch ein paar Jahrzehnte vergehen, auch wenn sie in der Nahrungsmittelproduktion bereits hier und da Einzug gehalten hatte. Der Schuster und sein Gehilfe hingegen bekamen seit den 1870er-Jahren dramatisch zu spüren, dass sich die Zeiten änderten. Die maschinelle Schuhproduktion lieferte preiswerte Massenware, und das alte Handwerk verlor an Kundschaft, auch wenn die neuen Schuhe qualitativ längst nicht mithalten konnten. Der Schuhmachermeister fertigte seine Schuhe stets als Maßanfertigung für den individuellen Kunden an. Stammkunden hatten einen eigenen Leisten, der perfekt der Form seines Fußes nachgebildet war. Allerdings konnte sich auch nur eine Minderheit derartig aufwändige – und damit kostspielige – Schuhe leisten. Bis zum Zweiten Weltkrieg waren Holzschuhe weit verbreitet. Der Schusterjunge der Sondermarke lieferte offensichtlich an wohlhabende Leute aus: feine Damenschuhe und hohe Stiefel, wie sie für gewöhnlich zur Uniform getragen wurden. Er selbst trug sehr einfaches Schuhwerk.

Auch die Modewelt unterlag den Wandlungen des Zeitgeists. So trugen die Berlinerinnen der Zeichnung Franz Krügers von 1839 noch Schuten auf den Köpfen, auch Kiepen- oder Biedermeierhüte genannt. Die Frisurenmode um die Mitte des 19. Jahrhunderts harmonierte aber nicht mehr mit diesen großen Stoff- oder Strohhüten. Seit 1860 verschwand die Schute weitgehend aus dem öffentlichen Leben. Christian W. Allers Szene am Brandenburger Tor von 1889 zeigt zwei Damen mit wesentlich elaborierteren Kopfbedeckungen. Männer trugen Krempenhüte oder Zylinder. Doch der Fortschritt entstand in den Köpfen und führte mit Volldampf in die Zukunft.

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Die dramatischen Siebziger - Gesellschaft in der Krise

Es war der ehemalige Regierende Bürgermeister Berlins, Willy Brandt, der 1970 mit einer kleinen Geste große Resonanz erzielte. Als Bundeskanzler Brandt im Dezember des Jahres als erster deutscher Regierungschef Polen besuchte, führte ihn der Staatsbesuch auch zum Denkmal für die Gefallenen des Warschauer Ghettoaufstandes. Sein Kniefall an der Gedenkstätte öffnete viele Türen für seine „neue Ostpolitik“. Gegen große innenpolitische Widerstände trat Brandt für einen „Wandel durch Annäherung“ an den Ostblock ein. Für die Berliner schlug sich dieser Kurs konkret in den Ergebnissen des Viermächteabkommens vom 3. September 1971 nieder. Die Sowjetunion billigte darin unter anderem die Erleichterung des Transitverkehrs zwischen der Bundesrepublik und Westberlin. Dem gleichzeitig stetig wachsenden Aufkommen an Flugpassagieren begegnete man mit einem neuen Flughafen. Nach nur fünf Jahren Bauzeit wurde dieser am 1. November 1974 in Berlin-Tegel eröffnet, 25 Jahre nach dem Ende der Berlinblockade. Er war mit seinen Baukosten von 430 Millionen D-Mark aus heutiger Sicht vergleichsweise preiswert.

Doch die leichte Harmonisierung in der Außenpolitik stand in absolutem Gegensatz zur innenpolitischen Lage. Die rasanten Entwicklungen der vergangenen Dekade überschritten nun zahlreiche Grenzen und liefen ins Extreme. Schrille Mode, Diskofieber und die Entdeckung der Freizügigkeit in den Medien konnten nicht verbergen, dass etliche Konflikte ungelöst waren, andere in neuer Qualität ausbrachen. Konnte Bundespräsident Gustav Heinemann noch die Protestbewegung der 68er als demokratischer Staatsmann behandeln und sie gesellschaftlich einzubinden versuchen, entstand in Berlin eine Terrorgruppe politischer Extremisten, die das Jahrzehnt auf grauenvolle Weise prägen sollte: die „Rote Arme Fraktion“. Die RAF sah sich als bewaffnete Stadtguerilla und suchte den „Kampf gegen den Imperialismus“. Raubüberfälle, Bombenattentate und schließlich die spektakulären Entführungen und Morde, die auf ihr Konto gingen, erschütterten die Öffentlichkeit. 1972 stürmten palästinensische Terroristen das israelische Quartier der Olympischen Spiele in München, um unter anderem auch inhaftierte Rote-Armee- Mit glieder freizupressen. Und die Entführung des Passagierflugzeugs Landshut im Zuge der Schleyer-Entführung ging ebenfalls auf diese unselige Zusammenarbeit zurück. Die RAF veränderte tatsächlich den Staat, aber in der Hinsicht, dass er mit immer schärferen Maßnahmen der Lage Herr zu werden versuchte. Rasterfahndungen und die massive Aufrüstung der Sicherheitsapparate waren die Folge. Ein weiteres Instrument war der sogenannte Radikalenerlass von 1972, der die Überprüfung und den Ausschluss von politisch extremen oder subversiven Personen aus dem Staatsdienst ermöglichte. Insgesamt wurden fast eineinhalb Millionen Bürger überprüft. Mit der gleichen Radikalität wie die RAF ging nach dem Tod Benno Ohnesorgs die „Bewegung 2. Juni“ vor. Eines ihrer Mord opfer war der Berliner Kammergerichtspräsident Günter von Drenkmann am 10. November 1974. Ein Jahr später entführten sie den Landesvorsitzenden der Berliner CDU, Peter Lorenz. Nach der Eskalation des „Deutschen Herbstes“ 1977 schlossen sich die verbliebenen Juni-Aktivisten der RAF an. Gustav Heinemann blieben diese blutigen Ereignisse erspart. Er verstarb 1976. Doch gab er der Nachwelt noch einen Rat mit auf den Weg, der ihn einmal mehr als großen Verfechter der freiheitlichen Demokratie auszeichnete: „Es muss darauf geachtet werden, dass das Grundgesetz nicht mit Methoden geschützt wird, die seinem Ziel und seinem Geist zuwider sind.“

Aber auch in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens kriselte es. Denn die Weltpolitik unterlag ebenfalls dramatischen Entwicklungen. Der Jom-Kippur-Krieg, in dem Ägypten und Syrien vergeblich versuchten, Israel zu bezwingen, löste die erste weltweite Ölkrise aus. Die arabischen Mitglieder der OPEC hatten aus Protest gegen die westliche Einflussnahme auf den Nahostkonflikt die Erdölproduktion gedrosselt. Die Preise stiegen explosionsartig und Deutschland sah sich mit Engpässen konfrontiert. Autofreie Sonntage sollten den Treibstoffverbrauch senken. Der Berliner Kuhdamm verwandelte sich in eine riesige Fußgängerzone. Auch die berühmte AVUS, seit mehr als 50 Jahren Schauplatz der beliebten Autorennen, wurde von den Berlinern zu benzinfreien Sonntagsfahrten genutzt, gegen den Willen der Behörden. Heute findet alljährlich eine Fahrradsternfahrt auf der Berliner Stadtautobahn statt.

Die Berliner Verkehrs-Betriebe erlangten auf ganz andere Weise überregionale Berühmtheit, nachdem sie 1972 die Fahrpreise erhöht hatten. Die linke Rockband „Ton Steine Scherben“ widmete der Verkehrsgesellschaft einige wütende Zeilen, in denen sie lieber die Busse der BVG brennen sähen, als dass sie die hohen Preise akzeptierten. Auf der Suche nach einer gerechteren Gesellschaft befanden sich auch die Gründungsmitglieder der „Alternativen Liste“ in Berlin. Am 5. Oktober 1978 startete die junge Partei in Westberlin ihre politischen Aktivitäten. Heute finden sich ihre Mitglieder nach dem Zusammenschluss mit dem „Bündnis 90“ bei den Grünen.

Die Post feierte in diesen bewegten Jahren lieber Ereignisse aus der Vergangenheit. 1971 erinnerte man an die Reichsgründung durch Kaiser Wilhelm, politisch vielleicht nicht besonders sensibel. Auch die Materialprüfung und die Bundesdruckerei feierten 1971 und 1979 ihr jeweils 100. Jubiläum. Ein Bibliotheksneubau kam indes ebenfalls zu philatelistischen Ehren. Die alte Staatsbibliothek durch die Berliner Teilung im Ostteil der Stadt. Seither fehlte eine neue Heimat für die nach dem Krieg verbliebenen Bestände. Erst 1978 öffnete die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz ihre Tore. Nun gab es zwei Bibliotheken, die das Erbe der Preußischen Staatsbibliothek getrennt voneinander verwalteten.

Ein anderer Großbau polarisierte 1979 innerhalb der Westberliner Bürgerschaft. Das Internationale Congress Centrum Berlin gilt bis heute als einer der bedeutendsten Neubauten der deutschen Nachkriegszeit. Es ist eines der größten Kongresshäuser der Welt. Mit seinen gewaltigen Dimensionen von 320 Metern Länge, 80 Metern Breite und 40 Metern Höhe ist der gewaltige Komplex prägend für das gesamte Stadtteilbild. Diverse Spitznamen wie „Raumschiff“, „Panzerkreuzer Charlottenburg“ oder „Arche Noah“ belegen die skeptische Haltung mancher Bürger gegenüber diesem architektonischen Ungetüm. Heute wird vor allem die massive Verbauung von Asbest als Brandschutz kritisiert. Dennoch konnte man sich nicht zum Abriss, wie seinerzeit beim Palast der Republik, durchringen. Immerhin handelt es sich um das teuerste Gebäude Berlins, zumindest noch…

Gleichzeitig herrschte Wohnraummangel in Westberlin. Gerade jüngere Menschen waren oft vergeblich auf der Suche nach einer bezahlbaren Unterkunft. Durch Flächensanierungskonzepte waren in etlichen Stadtvierteln Wohnhäuser „entmietet“ worden, sie standen also leer, und harrten nun Abriss und neuer Bebauung. Das zog sich jedoch über Jahre hin und die Frustration der Wohnungssuchenden wuchs. Das Jahr 1979 sah die erste große Hausbesetzung von „entmieteten“ Wohnungen im Stadtteil Kreuzberg. Diese Problematik sollte im kommenden Jahrzehnt noch für sehr viel Ärger sorgen.

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Wiedervereint - Die Stadt Berlin und ihr unteilbares Erbe

In den späten Abendstunden des 9. November 1989 geschah das Unfassbare: die Berliner Mauer öffnete ihre Tore. 28 Jahre lang hatte dieses Ungetüm aus Stahl und Beton die beiden Teile der Stadt getrennt. Zahllose Menschen waren bei dem Versuch, in den Westen zu fliehen, umgekommen. Die Mauer war das beeindruckendste und ungeheuerlichste Symbol für die vom Kalten Krieg gespaltene Nation gewesen. Und nun verlor sie innerhalb einer einzigen Nacht ihre Bedeutung und ihren Schrecken.

Das Ende der gewaltsamen Teilung Deutschlands war bereits seit 1985 mit langsamen aber mächtigen Schritten im Anmarsch gewesen. Mit der grundlegenden politischen Reform des Ostblocks durch den neuen sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow – Glasnost und Perestroika – sollte der Ost-West-Konflikt seinen Zenit überschreiten. Das jahrzehntelange Wettrüsten hatte den Warschauer Pakt wirtschaftlich zerrüttet. Gorbatschow setzte dem ein Ende. Und er entließ darüber hinaus die Blockstaaten aus dem festen Griff Moskaus. Trotz teilweise heftiger Widerstände der regierenden Kader breitete sich über Osteuropa eine Welle der Liberalisierung aus. Allein die DDR sperrte sich dieser Entwicklung. Obwohl die dramatische Wirtschaftslage des ostdeutschen Staates mittlerweile zu einer verzweifelten Abhängigkeit von westdeutschen Milliardenkrediten geführt hatte, verweigerte man die Öffnung der Grenzen. Doch damit vermochte die Regierung in Ostberlin den Lauf der Geschichte nicht aufzuhalten. Vielmehr bewirkte sie ihr eigenes Ende. In der Bevölkerung der DDR brodelte es bereits seit Jahren. Bürgerrechtsgruppen organisierten sich überall im Land und die Staatsmacht sah sich am Vorabend ihrer Entmachtung einer übermächtigen Opposition des Volkes gegenüber. Als Ungarn und die Tschechoslowakei schließlich ihre Grenzen nach Westen öffneten, nutzten tausende DDR-Bürger die Chance, sich abzusetzen. Der politische Protest aus Ostberlin wurde vor den Augen der Weltöffentlichkeit von Gorbatschow abgeschmettert, als dieser anlässlich der 40-Jahr-Feier der DDR im Oktober 1989 verlautbaren ließ, er würde ein restriktives Eingreifen nicht dulden.

Mit der am 9. November im Rahmen einer Pressekonferenz live in Funk und Fernsehen übertragenen Zusage des SED-Sekretärs Günter Schabowski, die „Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD“ stünden „ab sofort“ offen, kapitulierte das Regime endgültig vor dem Freiheitswillen der Bevölkerung. Die Grenzposten zogen sich zurück, und Berlin erlebte in jener Nacht und den darauf folgenden Tagen eine Wiedervereinigungsfeier von historischem Ausmaße. Die Menschen zeigten der Welt, dass Berlin auch nach Jahrzehnten der Spaltung eine unteilbare Stadt war.

Ost und West als Konstruktion einer in die Sackgasse geratenen Weltmachtpolitik konnte nicht mehr Bestand haben. Das Erbe der reichen Stadtgeschichte belegt dies ausgiebig. Die großen Söhne Berlins, Alexander und Wilhelm von Humboldt, wurden seit jeher verehrt. Hätte Alexander von Humboldt verstanden, dass die Schüler der nach ihm benannten Oberschule in Ostberlin nicht sein Grab im Westteil besuchen durften? Was hätte Wilhelm von Humboldt, Gründer und Namenspatron der ältesten Universität Berlins, dazu gesagt, dass der Wissenschaftsbetrieb seiner Hochschule der halben Stadt vorenthalten wurde? Auch der große Philosoph und Aufklärer Moses Mendelssohn, 1979 auf einer Sondermarke gefeiert, war einfach nur Berliner, obwohl sein Grab im Ostteil der Stadt gelegen war. Gleiches gilt für den bedeutenden Historiker Leopold von Ranke, seinerzeit königlich preußischer Geschichtsschreiber. Die Königskolonnaden des Baumeisters Karl Philipp von Gontard waren sogar in beiden Stadthälften errichtet worden, was auf amüsante Weise die kunsthistorische Unteilbarkeit Berlins belegt. Ursprünglich nahe dem Alexanderplatz errichtet, wurden die gewaltigen Säulengruppen Anfang des 20. Jahrhunderts im Zuge städtebaulicher Umgestaltungen an den Kleistpark versetzt.

Aber auch während der Teilung Berlins war es immer wieder die Kunst, die versucht hatte, Brücken zu schlagen. Die Berlinale, 1951 auf Initiative eines Mitarbeiters der US-amerikanischen Militärregierung ins Leben gerufen, hatte unmittelbar zur Einführung eines konkurrierenden ostdeutschen Filmfestivals geführt. Doch bereits mit Willy Brandts neuer Ostpolitik öffnete sich die Veranstaltung der Filmkunst aus der Sowjetunion und der DDR. Einen ähnlichen kulturellen Dialog bildeten die Berliner Festspiele ab. Die Ausstellung „Deutschlandbilder“ des Kunsthistorikers Eckhart Gillen im Martin-Gropius-Bau 1997 und 1998 griff dabei auf Gillens intensive Betrachtung ostdeutscher Kunst seit den 1970er-Jahren zurück. Die Auseinandersetzung mit der Kunst im geteilten Deutschland wird noch lange anhalten und die Aufteilung des deutschen Kunstschaffens in Ost und West als geschichtlich bedingtes Phänomen bestehen bleiben, doch sind es gerade die Künstler, die noch verbliebene Grenzen in den Köpfen einreißen.

Für die Berliner selbst bieten die Besonderheiten der Stadtbezirke mit ihrer kulturellen und sozialen Vielfalt heute weitaus wichtigere Orientierungspunkte als die ehemalige Trennung in Ost und West. Der architektonische Reichtum Berlins ist einmalig, und die zahllosen Denkmäler ziehen Besucher aus der ganzen Welt in ihren Bann. Die Sondermarken der Berliner Ansichten-Serie bieten einen willkommenen Wegweiser, sich diese schönen Plätze zu erschließen, ob Havelauen, Tiergarten oder das Schloss Belvedere. Neben der Kirche zu Alt-Lichtenrade kann man auch die Zitadelle Spandau im Markenbild erkennen. Diese mächtige Festungsanlage aus der Renaissance dominiert noch heute das Stadtbild. Spandau selbst erlitt nach dem Zweiten Weltkrieg ein ähnlich tragisches Schicksal wie Berlin. Der Ortsteil Staaken wurde 1951 geteilt, West- Staaken fiel an die Sowjetische Besatzungszone, der Rest blieb unter britischer Verwaltung. Grund dafür war der Flughafen Gatow, den die Royal Airforce benötigte. Dieser lag aber teilweise auf sowjetisch verwaltetem Gebiet in Brandenburg. Die Alliierten handelten einen Gebietstausch aus, der Staaken in Nord-Süd-Richtung, durchschnitt. Dass der Ort verwaltungstechnisch durchaus noch zu Groß-Berlin gezählt wurde, schlug sich nach der Teilung in der Tatsache nieder, dass ein Telefongespräch von Ostberlin nach West-Staaken als Ortsgespräch abgerechnet wurde. Seit dem 3. Oktober 1990 liegt West-Staaken wieder im Berliner Bezirk Spandau.

Dass Flüsse sowohl eine trennende als auch eine verbindende Funktion haben können, zeigte sich auch in Berlin sehr deutlich. Die einst belebte Binnenschifffahrt war in den Zerstörungen des Krieges komplett zum Erliegen gekommen. Die Wiederbelebung dieses traditionsreichen Verkehrsnetzes fand in den Jahren des Wiederaufbaus fortan getrennt in Ost und West statt. 1975 zeigte eine Sondermarkenserie einige der wichtigsten Flussschiffe Berlins, angefangen bei der „Prinzessin Charlotte“, dem ersten in Deutschland gebauten Dampfschiff, das von 1816 bis 1818 auf Havel und Spree seinen Dienst tat. Das Motorschiff „Moby Dick“ befährt bis heute die Wasserstraßen und gilt wohl zu Recht als das kurioseste Fahrzeug seiner Art. Die „Weiße Flotte Berlin“ und die „Stern und Kreisschiffahrt“ fusionierten 1992 zu einem gemeinsamen Unternehmen, welches heute mit über 30 Fähren einen wichtigen Bestandteil der Berliner Tourismusbetriebe darstellt. Seither vereinen die Wasserwege wieder Berlin, wie sie es vor der Teilung getan haben und hoffentlich für immer tun werden.

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Streitsache Briefmarken - Der „Postkrieg“ und die Ausgabe zum 17. Juni

Eine Briefmarke auf ihre Funktion als Postwertzeichen zu reduzieren, wird ihr nicht gerecht. Seit ihren Anfangstagen haben die kleinen „gezackten Botschafter“ als Repräsentanten des Ausgabelandes eine ganz besondere Bedeutung inne. Sie stehen für die Landeshoheit, können politische Standpunkte vertreten oder aber auf ganz konkrete Ereignisse Bezug nehmen. In letzterer Funktion wurden Briefmarken bereits sowohl zu Auslösern politischer Konflikte als auch zu wichtigen historischen Dokumenten der Zeitgeschichte.

Bereits 1948/49 hatte es einen „Berliner Postkrieg“ zwischen den Besatzungszonen der Westmächte und der Sowjetunion gegeben. Dieser fiel ursächlich und auch zeitlich mit der Berlin-Blockade und der Luftbrücke zusammen. Nach der Währungsreform vom 20. Juni 1948 für die drei westlichen Besatzungszonen hatte die Sowjetische Zone zum 24. Juni eine eigene Reform vollzogen und deren Gültigkeit für das ganze Berlin verkündet. Das wurde von den Westalliierten nicht anerkannt und mit der Einführung der D-Mark für Westberlin beantwortet. Im September 1948 waren schließlich überdruckte Berlin-Marken „Sowjetische Besatzungszone“ mit Ostmark-Währung und Kontrollratsausgaben mit Überdruck „Berlin“ in D-Mark im Umlauf, die jeweils von der Gegenseite nicht anerkannt wurden. Rücksendungen und Nachportoforderungen machten einen regulären Postverkehr fast unmöglich. Erst im September 1949 einigten sich die vier Alliierten auf eine künftige Handhabe der Markenwährung. Gleichzeitig hatte die westdeutsche Steuermarke „Notopfer Berlin“ für Ärger gesorgt. Zur finanziellen Unterstützung der durch die Blockade in Not geratenen Westberliner war das Aufbringen dieser Marke zu zwei Pfennig angeordnet worden. Dies galt seit 1. Dezember 1948 für alle Briefe innerhalb der Westsektoren, jedoch nicht in die SBZ oder Westberlin. Wurde sie dennoch auf Sendungen in den Osten verwendet, wurden die Sendungen zurückgeschickt. Berlin wurde, wie auch in der Verfassung der DDR 1949 festgehalten, als Teil des eigenen Einflussbereiches gesehen. Wieder hatte die Politik des Kalten Krieges sich postalisch niedergeschlagen. Doch auch Briefmarken-Motive blieben ein sensibles Thema, welches jederzeit zu Sanktionen und Boykotts führen konnten.

Eine unscheinbare, in Grau gehaltene Sondermarke der Bundespost ließ am 9. Mai 1953 erneut die postalischen Wellen hochschlagen. „Gedenkt unserer Gefangenen“ hieß es darauf, und die Marke zeigte einen kahlgeschorenen Kopf hinter Stacheldraht. Anlass waren die zahlreichen deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion, von denen jede Nachricht fehlte. Die DDR-Führung fasste die Briefmarke als Provokation auf. Briefe mit dieser Frankatur wurden entweder zurückgeschickt, vernichtet oder aber die Marke selbst zerrissen oder unkenntlich gemacht. Auch besondere Vignetten kamen zum Einsatz. Diese wurden über die Gefangenen-Marke geklebt und trugen die Aufschrift: „Gedenkt unserer gefangenen Friedenskämpfer, die in Adenauers Kerkern schmachten.“ Drei Monate später fand die Auseinandersetzung der Systeme auf Briefmarken ihre Fortsetzung.

Als die Berliner Sondermarken „Volksaufstand am 17. Juni in der DDR und Ostberlin“ am 17. August 1953 an die Postschalter kamen, waren die Erinnerungen an die dramatischen Ereignisse vom 17. Juni noch frisch: Aufgrund einer angekündigten Erhöhung der Arbeitsnormen und vor dem Hintergrund allgemeiner Unzufriedenheit mit den Lebensbedingungen und dem politischen System hatten im Ostteil Berlins zahlreiche Menschen die Arbeit niedergelegt. Trotz massiven Durchgreifens der Polizei hatte sich aus dem Streik ein landesweiter Aufstand entwickelt, der erst durch die sowjetische Armee niedergeschlagen werden konnte. Der Westen zeigte sich betroffen, blieb aber jenseits verbaler und symbolischer Proteste machtlos. Unterdessen griffen Volkspolizei und die Sowjetische Militärverwaltung hart gegen die Bevölkerung durch. Standrechtliche Erschießungen, Haftstrafen sowie Deportationen nach Sibirien trafen sowohl aktiv am Aufstand Beteiligte wie auch unglücklich in die Unruhen geratene Unschuldige. Gleichzeitig begann eine propagandistische Umschreibung der Ereignisse. „Agenten aus dem Westen“ hätten versucht, einen Staatsstreich anzuzetteln. Mitunter wurden bereits exekutierte Bürger nachträglich zu solchen Provokateuren ernannt, wie etwa im Falle Willi Göttlings. Der war auf dem Weg zu seinem zuständigen Arbeitsamt in der Sonnenallee unvermutet in eine Polizeikette geraten und abgeführt worden. Am 19. Juni meldete das Neue Deutschland: „Hiermit wird bekanntgegeben, dass Willi Göttling, Bewohner von West-Berlin, der im Auftrage eines ausländischen Aufklärungsdienstes handelte und einer der aktiven Organisatoren der Provokationen und der Unruhen im sowjetischen Sektor von Berlin war und an den gegen die Machtorgane und die Bevölkerung gerichteten banditenhaften Ausschreitungen teilgenommen hat, zum Tode durch Erschießen verurteilt wurde. Das Urteil wurde vollstreckt. Militärkommandant des sowjetischen Sektors von Berlin. gez. Generalmajor Dibrowa.“ Willi Göttling wurde am 25. März 2003 vom Militäroberstaatsanwalt der Russischen Föderation vollständig rehabilitiert. Laut Gutachten gab es „in den Materialien der Strafsache nicht einen einzigen Beweis für die Schuld Göttlings, die ihm in der Voruntersuchung zur Last gelegten Verbrechen begangen zu haben“.

Doch die willkürlichen Maßnahmen fruchteten. Angst und Einschüchterung ließen den Aufstand vom 17. Juni so rasch in sich zusammenbrechen wie er ausgebrochen war. Für die politische Führung in Ostberlin waren die Ereignisse dennoch eine erschütternde Niederlage. Die Kontrolle war ihnen restlos entglitten. Bereits Ende Mai hatte der Hohe Kommissar der Sowjetunion in der DDR, Wladimir Semjonow, gedroht, sollte die DDRRegierung ihren harten Kurs nicht aufgeben, könnten sie innerhalb von 14 Tagen ihren Staat verlieren. Beinahe wäre diese Prophezeiung Wirklichkeit geworden. Das hilflose Zurückrudern und die Rücknahme der Arbeitsnormerhöhung am 16. Juni hatte ebenso wenig Wirkung gezeigt, wie die Flucht der DDR-Politiker in den sowjetischen Sperrbezirk ihr Ansehen hatte retten können.

Das Erscheinen der Berliner Sondermarken zum 17. Juni und ihre grafische Gestaltung stießen auf erwartbare Reaktionen. Alle Briefe mit diesen Marken wurden konfisziert oder zurückgeschickt. Die gesprengten Ketten waren ein unmissverständliches Symbol für Sklaverei und Unterdrückung und wenig subtil. Auch das scheinende Licht hinter dem Brandenburger Tor machte deutlich, dass der Grafiker sich eine Morgenröte gewünscht hatte, die den finsteren Osten erhellen möge. So sehr diese Westberliner Sondermarken in ihrer Gestaltung selbst mit propagandistischer Grafik spielten, so sehr drückten sie die Anteilnahme mit den Brüdern und Schwestern im Ostteil der Stadt aus, deren Hoffnungen in den blutigen Junitagen enttäuscht worden waren. Als historisches Dokument der deutsch-deutschen Geschichte bleiben diese Marken von unbezahlbarem Wert.

Bis zur Wiedervereinigung sollte es noch einige Male Verstimmungen über die politischen Motive der verausgabten Postwertzeichen geben. So verweigerte die Bundesrepublik etwa Schmuckumschlägen zur Feier des „Antifaschistischen Schutzwall“ den Transport.

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Fortschritt und Pflichterfüllung – Aufstieg und Glanz des alten Preußen

Als sich der brandenburgische Kurfürst Friedrich III. am 18. Januar 1701 in der Königsberger Schlosskirche als „Friedrich I.“ die Königskrone auf das Haupt setzte, stellte er eine wichtige Weiche für den weiteren Aufstieg Preußens, der die künftige europäische Geschichte nachhaltig prägen sollte. Doch muss man weiter zurückblicken, um zu verstehen, wie aus einem kleinen Kurfürstentum eine europäische Großmacht entstehen konnte.

„Preußen“ war ursprünglich der Name eines baltischen Stammes, der in den Zeiten der mittelalterlichen Ostbesiedelung vom deutschen Ritterorden unterworfen worden war. Nach dem Zusammenbruch des Ordensstaates gelangte die Region 1525 als Herzogtum Preußen unter polnische Lehenshoheit. Dem ersten Herzog, Albrecht von Preußen aus dem Hause Hohenzollern, gelang es unter dem Einfluss Martin Luthers, im jungen Herzogtum gegen Widerstände von Kirche und Reich die Reformation einzuführen. Weiter investierte er ausgiebig in die Bildung und gründete in Königsberg das erste Gymnasium und 1544 die Albertus-Universität. Aber erst mit der Übernahme der Regentschaft Preußens durch den Kurfürsten von Brandenburg und die zweite Reformation hin zum Calvinismus durch Johann Sigismund entstand die Blaupause für das zukünftige Preußen. Einerseits übte die calvinistische Weltanschauung maßgeblichen Einfluss auf spätere Herrscherpersönlichkeiten aus, andererseits sollte diese Religionszugehörigkeit nach dem Dreißigjährigen Krieg ungeahnte Chancen eröffnen. Dieser europäische Krieg hatte die brandenburgischpreußischen Lande besonders hart getroffen. Ganze Regionen waren entvölkert und die Wirtschaft durch die Besetzungen und Plünderungen durch schwedische und kaiserliche Truppen weitgehend zum Erliegen gekommen. In diesem zerrütteten Land trat am 1. Dezember 1640 der junge Friedrich Wilhelm von Brandenburg die Herrschaft an. Doch der „Große Kurfürst“, wie er heute genannt wird, hatte durchaus eine Vorstellung davon, wie er sein Fürstentum wieder aufbauen konnte. Lange Jahre des Exils in den Niederlanden hatten ihm neue Perspektiven aufgezeigt, die er tatkräftig umzusetzen begann. Mit Luise Henriette von Oranien stand ihm dabei eine finanzkräftige und kluge Gemahlin zur Seite, die darüber hinaus zahlreiche holländische Künstler, Handwerker und Kaufleute ins Land brachte. Niederländische Produktionsmethoden waren die fortschrittlichsten Europas und die „holländischen Kolonien“ in Berlin und Potsdam wirkten sich sehr positiv auf den Wiederaufbau des Landes aus. Die Eröffnung der Berliner Börse im Jahr 1685 stellte eine ebenso weitsichtige Entscheidung des Herrschers dar. Zwar belastete der Aufbau eines stehenden Heeres das Volk bis an seine Grenzen, doch die neue Stärke des Kurfürstentums, gepaart mit dem diplomatischen Geschick des Herrscherpaares, schenkte dem Land gleichzeitig zunehmende Souveränität. Als Ludwig XIV. von Frankreich 1685 den protestantischen Glauben unter Strafe stellte, öffnete Friedrich Wilhelm mit dem „Edikt von Potsdam“ am 29. Oktober 1685 die Landesgrenzen für seine flüchtigen Glaubensbrüder. Ihnen stellte der Kurfürst Religionsfreiheit, Bürgerrechte, finanzielle Unterstützung bei der Existenzgründung, Land und kostenloses Baumaterial in Aussicht. Diese großzügige Unterstützung gewährte er jedoch nicht allein aus Menschenliebe. Die Immigration der über 20.000 französischen Hugenotten sollte für Brandenburg-Preußen eine wesentliche Stärkung der Wirtschaftskraft darstellen. Denn die „Réfugiers“ waren in ihrer Heimat oft hervorragende Handwerker, Wissenschaftler, Mediziner oder Landwirte gewesen. Sie brachten neue Fertigungstechniken ins Land, wie etwa die Seidenproduktion. Auch der vorher kaum bekannte Spargel erfreute sich großer Beliebtheit, obwohl er natürlich nicht die Bedeutung der unter Friedrich dem Großen eingeführten Kartoffel erlangte.

Kunst und Kultur entwickelten sich ebenfalls dank der Hugenotten. Der Architekt Friedrich David Gilly etwa entstammte einer Einwandererfamilie. Er sollte als Freund und Lehrer des großen Karl Friedrich Schinkel Spuren hinterlassen. Schinkel setzte anfangs die Arbeiten des jung verstorbenen Gilly fort. Später schuf er selbst berühmte Bauten, wie das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, das Alte Museum oder das auf einer Sondermarke gezeigte Nationaldenkmal für die Befreiungskriege. Auch der erste Preußenkönig Friedrich I. schätzte die französische Kultur sehr und engagierte den Pariser Antoine Pesne als Hofmaler. Seinen Sohn Friedrich Wilhelm I., den späteren „Soldatenkönig“, ließ er ebenfalls von einer hugenottischen Gouvernante erziehen, sodass dieser, wie auch nach ihm Friedrich der Große, eher die französische als die deutsche Sprache beherrschte. Unter der Führung des „Soldatenkönigs“ verbanden sich die Ideen der protestantischen Arbeitsethik mit der Profitorientierung des Merkantilismus in ihrer extremsten Form. Friedrich Wilhelm I. stellte Arbeitseifer, Sparsamkeit und Pflichterfüllung für sich und alle Untertanen an oberste Stelle. Er verachtete die kostspielige Hofhaltung seines Vaters, straffte die preußische Finanzverwaltung, investierte in die Binnenwirtschaft, führte die Schulpflicht ein und setzte die Einwanderungspolitik des Großen Kurfürsten konsequent fort. 1731 sorgte er für die Ansiedlung von rund 17.000 aus dem Fürsterzbistum Salzburg vertriebenen Protestanten in Ostpreußen. Ein Jahr später folgten Glaubensflüchtlinge aus Böhmen, die bei Rixdorf eine neue Heimat fanden. Mit den steigenden Staatseinnahmen trieb der König den Ausbau der preußischen Armee voran und schuf mit den „Langen Kerlen“ seine legendäre Garde. Der Adel, der durch den absolutistischen Regierungsstil und die sparsame Hofhaltung einige Privilegien verloren hatte, wurde über die Armee fest in das Staatswesen integriert. Für den Nachwuchs schuf Friedrich Wilhelm I. eine eigene Kadettenakademie. Entgegen seines Rufes, hielt sich der „Soldatenkönig“ aber von militärischen Abenteuern fern. Stattdessen schuf er die Basis für die zahlreichen Kriege seines Sohnes.

1740 als Friedrich II. auf den Preußenthron gefolgt, sollte „Friedrich der Große“ das Land in eine Reihe schwerer militärischer Auseinandersetzungen führen, die im Siebenjährigen Krieg nach der verheerenden Niederlage bei Kunersdorf im August 1759 beinahe den Untergang Preußens bewirkt hätten. Trotz großer Verluste und wirtschaftlicher Härten gelang es dem Preußenkönig aber, sein Land als neue Großmacht in Europa zu positionieren. Preußens Wort hatte fortan Gewicht, und mit der Annexion Schlesiens und der Ersten Teilung Polens vergrößerte Friedrich der Große sein Reich in gewaltigem Ausmaß. Ein Reiterstandbild des Bildhauers Christian Daniel Rauch Unter den Linden in Berlin erinnert daran, dass der König höchstpersönlich bei seinen Truppen zu stehen pflegte. Bei Kunersdorf sollen ihm zwei Pferde unter dem Leib weggeschossen worden sein. Kurz nach Friedrichs Tod entstand das wohl bekannteste Wahrzeichen Berlins: das Brandenburger Tor. Entworfen von Carl Gotthard Langhans, sollte es an die großen Siege des „Alten Fritz“ erinnern. Dass das preußische Militär unter Friedrich zu den fortschrittlichsten seiner Zeit gehörte, lässt sich auch daran erkennen, dass sein Hauptmann Friedrich Wilhelm von Steuben nach dem Ausscheiden aus der preußischen Armee in den amerikanischen Kolonien George Washingtons Milizen in eine schlagkräftige Armee verwandelte und maßgeblich am Erfolg des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges beteiligt war.

Dabei ließen Kindheit und Jugend Friedrichs seinen Ruhm als Kriegsherr nicht unbedingt erahnen. Im persönlichen Konflikt mit seinem durch und durch militärischen Vater hatte sich der junge Kronprinz früh in Kunst und Kultur zurückgezogen. Unter der Anleitung seines Flötenlehrers Johann Joachim Quantz erwarb er große musikalische Fähigkeiten. Die Freundschaft mit dem Maler und Architekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, einem Schüler Antoine Pesnes, hinterließ ebenfalls deutliche Spuren in Berlin. Im Auftrag des späteren Königs entwarf von Knobelsdorff unter anderem die alte Staatsoper Unter den Linden, übernahm die Neugestaltung des Tiergartens sowie Arbeiten an den Schlössern Monbijou, Charlottenburg und dem Potsdamer Stadtschloss. Seine wohl bekannteste Arbeit war aber sicherlich die Gestaltung des Schlosses Sanssouci, als „preußisches Versailles“ Symbol für den Glanz des alten Preußen.

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Vermittler und Mahner – Bundespräsidenten auf Berliner Freimarken

Noch lebende Personen werden in Deutschland nicht auf Briefmarken abgebildet. Von dieser Regel gibt es lediglich zwei Ausnahmen. Entweder die betreffende Person hat sich auf unvergleichliche Weise um die Geschichte Europas verdient gemacht, oder es handelt sich um das Staatsoberhaupt. Nur zwei Präsidenten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben von ihrem Recht Gebrauch gemacht, auf einer Freimarkenserie abgebildet zu werden: Theodor Heuss und Gustav Heinemann. Dem zweiten Präsidenten, Heinrich Lübke, wurden immerhin zwei Briefmarkenausgaben gewidmet, diese waren aber anlassbezogen zu seiner Wiederwahl. Seine Amtsnachfolger verzichteten auf diese philatelistische Ehre.Briefmarke mit Theodor Heuss

Die Berliner Freimarken „Bundespräsident Theodor Heuss“, deren fünf Werte ab dem 31. Januar 1959 bis Mitte Mai des Jahres an die Postschalter kamen, waren die ersten Präsidenten-Dauermarken in der Postgeschichte Berlins. Die aufgrund ihrer Gestaltung „Heuss Medaillon“ genannte Ausgabe wird unter Sammlern auch als „Heuss 3“ bezeichnet, da in den westlichen Bundesländern bereits zwei Vorgängerausgaben erschienen waren. Anlässlich der neu gestalteten dritten Reihe erfolgte aber erstmals die gemeinsame Ausgabe von Freimarken in der Bundesrepublik und Berlin. Motivgleich bis auf die Erweiterung der Inschrift um das Wort „Berlin“ kamen sie am selben Tag in Umlauf. Seit den Heuss-Briefmarken wurden die Dauermarken Westdeutschlands und Berlins immer gemeinsam verausgabt. Damit war Theodor Heuss nicht nur der erste Bundespräsident der Republik und der erste auf Briefmarke, sondern auch der Anlass dieser verbindenden Ausgabepolitik.Briefmarke mit Theodor Heuss

Die drei niedrigeren Werte wurden im Buchdruck produziert, für die beiden höheren zu 40 und 70 Pfennig kam der aufwendigere Stichtiefdruck zum Einsatz. Alle Briefmarken wurden sowohl in Bogen als auch in Rollen gedruckt. Das Motiv der Berliner Heuss-Freimarken stammte von Max Eugen Cordier, einem Maler und Grafiker aus dem Elsass. Seine klare Gestaltung im Rund der umlaufenden Schrift überzeugte den Kunstbeirat. Die Vorlage war, wie bereits bei den beiden westdeutschen Heuss-Ausgaben, eine Fotografie von Lieselotte Strelow, deren Porträt-Aufnahmen in den 1950er- und 1960-Jahren weltberühmt waren. Zahlreiche Prominente aus Kultur und Gesellschaft wurden von ihr auf Film gebannt. Die Berliner Heuss-Freimarken erschienen zu einem Zeitpunkt, als sich Heuss zehnjährige Präsidentschaft bereits dem Ende zuneigte. Am 12. September 1959 ging er in den Ruhestand und übergab das hohe Amt an seinen gewählten Nachfolger, den CDU-Politiker Heinrich Lübke. Theodor Heuss hatte sich rund 60 Jahre lang für eine liberale Politik eingesetzt. So war er auch maßgeblich an der Gründung der Freien Demokratischen Partei (FDP) beteiligt gewesen, zu deren Vorsitzendem er am 12. Dezember 1948 gewählt worden war. Im Parlamentarischen Rat hatte er weiter an der Ausarbeitung des Grundgesetzes der Bundesrepublik mitgewirkt. Als Präsident gelang es Theodor Heuss, das Ansehen Deutschlands in der Welt behutsam zu verbessern. Dabei konnte er von seinen Auslandserfahrungen der Vorkriegsjahre profitieren, in denen ihn sein politisches Engagement unter anderem nach Griechenland geführt hatte. Dieses Land wagte schließlich den ersten Schritt auf die neue deutsche Republik zu. Aber auch das restliche Europa erkannte Heuss als Persönlichkeit an, selbst wenn auf diplomatischer Ebene Zurückhaltung geboten schien. Innenpolitisch gelang dem Staatsoberhaupt die Trennung von persönlicher politischer Meinung und überparteilicher Amtsführung. Seine Ehefrau Elly Heuss-Knapp stand bis zu ihrem Tod 1952 stets an seiner Seite. Obwohl selbst politisch aktiv, widmete sie ihren Einfluss als Präsidentengattin vor allen Dingen wohltätigen Zwecken. Sie wird bis heute als Mitbegründerin des Müttergenesungswerks verehrt. Weniger bekannt ist ihre Rolle als quasi Erfinderin des deutschen Radiojingles. Mit erfolgreichen Werbekampagnen hatte sie während der Zeit des Dritten Reichs die Familie über Wasser gehalten, da das Regime dem Journalisten Heuss Berufsverbot erteilt hatte. Theodor Heuss überlebte seine Gattin um rund elf Jahre. Er verstarb am 12. Dezember 1963 in Stuttgart.

Der dritte Bundespräsident, Gustav Heinemann, war bereits am 23. Juli 1970 erstmals auf Dauermarken geehrt worden. Der Markengrafiker, Karl Hans Walter, hatte schon auf anderen Briefmarken seine Expertise unter Beweis gestellt. Für den Präsidenten entschied er sich gegen eine Profilabbildung. Stattdessen blickte Heinemann, aus der Sicht des Betrachters, nach links aus dem Bild heraus. Zwischen Mai 1971 und März 1972 wurde die Präsidenten-Serie um vier fehlende Werte ergänzt. Die vorliegende dritte Heinemann-Ausgabe musste noch einmal passende Briefmarken für die neuen Portostufen beisteuern. Es blieb die letzte während seiner Amtszeit. Auch diese sieben Freimarken wurden sämtlich im Stichtiefdruck produziert und erschienen ausschließlich in 100er-Bogen. Als Rollenmarken fand die Ausgabe „Unfallverhütung“ Verwendung. Unter den letzten Heinemann-Marken befand sich, wie bereits bei der ersten Ausgabe, eine Wertstufe, die nicht parallel für die Bundesrepublik hergestellt wurde. Es handelt sich um den 15-Pfennig-Wert. Dieser stand für den Versand einer Postkarte innerhalb Berlins, der für die anderen Bundesländer entsprechend obsolet gewesen wäre. Natürlich wurde diese Wertstufe auch als Wertstempel für Postkarten verwendet. Insgesamt erschienen in Berlin 14 Heinemann-Ganzsachen, zwei mehr als in der Bundesrepublik.

Der streitbare Demokrat übte sein Amt mit hohem moralischem Anspruch aus und blieb stets seinem Gewissen verpflichtet. Wie bereits in den Chronik-Kapiteln beschrieben, zwang ihn seine Ablehnung der Wiederbewaffnung Deutschlands zum Austritt aus der CDU und zum Rücktritt von seinem Ministerposten. Zeit seines Lebens blieb er ein vehementer Gegner der atomaren Aufrüstung. Im Gegensatz zur allgegenwärtigen Kalten-Kriegs-Logik sprach er diesen Massenvernichtungswaffen die Einstufung als Instrument der Notwehr grundsätzlich ab. Der Jurist argumentierte, dass dem Tatbestand der Notwehr der Charakter der begrenzten Abwehr innewohne. Da die atomare Waffentechnik jedoch gleichbedeutend mit der vollständigen Entgrenzung von Konflikten sei, stelle sie schlussendlich sogar die Lehre vom „gerechten Krieg“ in Frage. Auch in gesellschaftlichen Fragen verblüffte er immer wieder durch eine Haltung, die von moralischer Tiefe zeugte und gleichzeitig in ihrer Schlichtheit entwaffnete – oder provozierte, je nach Standpunkt des Hörers. Berühmt ist seine Äußerung zum Thema Patriotismus: „Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau; fertig!“ Zu seinen Neujahrempfängen lud er im Gegensatz zur bisherigen Tradition nicht ausschließlich politische Würdenträger ein, sondern auch einfache Arbeitnehmer, Zivildienstleistende oder Gastarbeiter. Außenpolitisch vermochte er mit seiner Haltung sehr viel zum Ansehen der Bundesrepublik beizutragen. Bereits 1945 hatte er als Ratsvertreter der Evangelischen Kirche das Stuttgarter Schuldbekenntnis unterzeichnet, also die Erklärung der Mitschuld christlicher Kirchen an den NS-Verbrechen. Als Bundespräsident bekannte er bei Staatsbesuchen freimütig die Verantwortung Deutschlands für millionenfaches Leid und öffnete damit manche Türen. Als erstes Staatsoberhaupt Nachkriegsdeutschlands besuchte Heinemann beispielsweise die Niederlande.

Am 1. Juli 1974 schied Gustav Heinemann aus seinem Amt. Er fühlte sich aus gesundheitlichen Gründen nicht für eine zweite Amtszeit berufen. Er verstarb zwei Jahre später, am 7. Juli 1976.

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Kulturerbe im Kleinformat – Die Freimarkenserie Burgen und Schlösser

Am 13. Januar 1977 erschienen in Berlin und der Bundesrepublik die ersten Werte einer neuen Freimarkenserie, die vor allem als Rollenmarken, aber auch in Markenheftchen sowie, an die Adresse der Briefmarkensammler gerichtet, in Bogen verkauft wurde. Die „Burgen und Schlösser“ waren Arbeiten des renommierten Grafikers Heinz Schillinger, der diese Serie bis zu ihrem Abschluss 1982 komplett gestaltete. Schillinger war bereits Anfang der Sechzigerjahre in Kooperation mit der Deutschen Bundespost getreten. Philatelisten sind seine Motive unter anderem durch die Sondermarken zum „Fremdenverkehr“ und den „Hauptstädten der Bundesländer“ vertraut. Seine wohl bekannteste Briefmarke erschien 1985 zum 750. Jubiläum des Limburger Doms. Dieses Meisterwerk erhielt wenige Jahre später vom Weltpostverein die Auszeichnung „Schönste Briefmarke der Welt“.

Bereits 1977 startete die neue Serie mit echten Ikonen der deutschen Architektur. Die Burg Eltz etwa, zu sehen auf dem Wert zu 40 Pfennig, gilt als eine der besterhaltenen Höhenburgen Deutschlands. Sie befindet sich seit den Anfängen im frühen 12. Jahrhundert in Familienbesitz und wurde niemals durch Feindeshand genommen. Einzig dem Bischof von Trier gelang es 1333, die Ritter von Eltz nach zweijähriger Belagerung durch Aushungern zur Aufgabe zu bewegen. Nicht minder berühmt ist das Motiv der 50-Pfennig-Briefmarke. Sie zeigt König Ludwigs II. „Märchenschloss“ Neuschwanstein. Die Mauern dieses Fantasiegebildes dienten immerhin einmal dem Zwecke der Verteidigung, als am 10. Juni 1886 eine Regierungskommission zur Absetzung des als „seelengestört“ entmündigten Monarchen das Schloss betrat. Die Herren wurden kurzerhand im Torhaus Neuschwansteins festgesetzt und mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen. Die weiteren Werte der Ausgabe zeigen Schloss Glücksburg, das Berliner Schloss Pfaueninsel, das Wasserschloss Mespelbrunn und Schloss Bürresheim sowie die Burg Ludwigstein und die UNESCO-geschützte Marksburg am Rhein. Das Berliner Havel-Schlösschen erhielt interessanterweise auf den Werten zu 20 und 120 Pfennig Einzug und ist mit der Freimarke der „Berliner Stadtbilder“ vom 16. November 1957 bereits auf drei Briefmarken philatelistisch vertreten. Aufgrund einer Portoerhöhung zum 1. Januar 1979 erschienen unmittelbar zum Jahreswechsel vier weitere Werte. Lediglich die Päckchen-Marke zu 230 Pfennig konnte noch im November 1978 ausgegeben werden. Sie zeigt die pfälzische Burg Lichtenberg, die heute mit ihrer Jugendherberge Besucher aus aller Welt empfängt. Im Januar folgten die Werte zu 25 Pfennig für Massendrucksachen und 90 Pfennig für den Auslandsbrief. Sie bilden die Wasserburgen Gemen und Vischering aus dem Münsterland ab. Im Februar erschien schließlich die Klever Schwanenburg zu 210 Pfennig zur Freimachung einfacher Einschreiben. Deren Aufschlag lag bei 150 Pfennig, die auf das neue einfache Briefporto von 60 Pfennig aufgeschlagen werden mussten. Da bisher noch die Vorgaben des Weltpostvertrages bezüglich der farblichen Gestaltung von Wertstufen berücksichtigt wurde, folgte noch im November 1979 das Schloss Rheydt in korrektem Rot. Zum 14. Februar 1980 erfolgte die farbliche Anpassung für inländische Drucksachen und Postkarten, eine braune 40-Pfennig-Briefmarke zeigte das Renaissance-Schloss in Wolfsburg, ein Wert zu 50 Pfennig das Wasserschloss Inzlingen. Damit existierten drei gleichwertige Briefmarkenpaare innerhalb derselben Freimarkenserie, ein Umstand, der bei den „Burgen und Schlössern“ letztmalig in der deutschen Postgeschichte eintrat.

Auch die letzte Reihe dieser Freimarkenserie war einer Portoerhöhung geschuldet, die Postminister Kurt Gscheidle zum 1. Januar 1982 durchsetzen konnte. Der Minister hatte sich vorgenommen, die defizitär arbeitende Post finanziell zu sanieren. Kurioserweise hatte die vorherige Portoerhöhung dazu geführt, dass Gscheidle wegen zu hoher Einnahmen eine „einmalige Sonderablieferung“ von 1,1 Milliarden D-Mark an die Staatskasse abführen musste. Damals unterstand dem Minister neben der Post zwar auch die noch viel verlustreicher arbeitende Bahn, aber sein drittes Pferd im Stall, das staatlich monopolisierte Fernmeldewesen, erwirtschaftete Rekordgewinne, welche die Verluste der anderen beiden Sparten weit übertraf. Die Anzahl der Telefonanschluss-Neuanmeldungen hatte sich bis zu 1,5 Millionen pro Jahr gesteigert, und parallel waren die Grundgebühren sowie die Gesprächskosten kräftig angehoben worden. Trotz Rückstellungen in Milliardenhöhe, sah er sich also gezwungen, einen Teil seiner Gewinne abzuführen. In Sachen „unkonventioneller Wertschöpfung“ wurde der Minister schließlich nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsbetrieb zur Legende, als die zurückgezogene Olympiabriefmarke von 1980 nachlässig von seinem privaten Schreibtisch aus in den Postumlauf geriet – angeblich sei es seine Frau gewesen. Diese 90-Pfennig-Zuschlagsmarken erzielen mittlerweile bekanntlich fünfstellige Eurobeträge.Gebäude der Pfaueninsel 1810

Die letzte Gebührenerhöhung aus Gscheidles Amtszeit bescherte den Philatelisten für den Versand von Massendrucksachen das Schloss Lichtenstein, auch bekannt als das „Württemberger Märchenschloss“. Dieser von der Romantik inspirierte Neubau des 19. Jahrhunderts entstand auf Wunsch eines Vetters des Württembergischen Königs, Herzog Wilhelms I. von Urach, der ein passendes Ambiente für seine Waffen- und Kunstsammlung suchte. Die olivgrüne Freimarke für Standardbriefe mit dem Kassler Schloss Wilhelmsthal dokumentiert bereits die aufgegebenen Farbregeln. Das Berliner Schloss Charlottenburg durfte künftig für Auslandsbriefe verwendet werden. Es war bereits ebenfalls am 30. Juli 1957 Motiv der „Berliner Stadtbilder“ gewesen und erhielt am 15. Januar 1987 einen Platz auf dem Jubiläumsblock zum 750. Geburtstag der Stadt, bevor es ab 4. Mai 1987 sogar aus den Berliner Briefmarkenautomaten gezogen werden konnte. Ehre, wem Ehre gebührt, wird der Berliner zustimmen. Das Schloss Ahrensburg in Schleswig-Holstein, versehen mit der neuen Wertstufe für Einschreiben, befand sich einst im Besitz des berühmt-berüchtigten Heinrich Carl von Schimmelmann. Dieser war im Siebenjährigen Krieg als preußischer Getreidelieferant zu Wohlstand gekommen und hatte später die von Preußen konfiszierten Meißner Porzellanbestände gewinnbringend veräußert. Der Schlossherr stieg anschließend am königlichen Hofe von Kopenhagen in den Grafenstand auf und war zwischenzeitlich der bedeutendste dänische Sklavenhändler in Westindien. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Schloss Ahrensburg von der örtlichen Sparkasse gekauft und in ein Museum umgewandelt. Fernsehzuschauern wird der Bau vielleicht noch aus einigen Edgar-Wallace-Verfilmungen im Gedächtnis sein, in denen er als Kulisse für düstere Kriminalfälle diente. Das Schloss Herrenhausen ziert abschließend die Freimarke zu 300 Pfennig, dem neuen Tarif für den Päckchenversand. Streng genommen tut es das aber gar nicht. Denn seelengeweder entspricht das abgebildete Portal den alten Abbildungen des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Baus, noch ähnelt es dem Neubau. Stattdessen hatte Heinz Schillinger das angrenzende Galeriegebäude der Hannoverschen Gartenanlage zum Motiv gewählt. Die Berliner Freimarkenserie „Schlösser und Burgen“ verbindet, wie man sieht, Architektur, Kulturgeschichte und philatelistische Zeitgeschichte auf ganz vortreffliche Weise. Darüber hinaus bieten die schönen Motivmarken eine erste Grundlage für die Entdeckung eines spannenden Spezialgebiets. Denn durch die unterschiedlichen Ausgabeformen als Rollen-, Heftchen- und Bogenmarken können Sammler nach Herzenslust verschiedene Zähnungen, Fluoreszenzen und Druckverfahren differenzieren. Beispielsweise wurden die 10- und 30-Pfennig- Werte von 1977 zehn Jahre später noch einmal im Letterset-Druckverfahren nachproduziert. Neun Motive fanden darüber hinaus Verwendung als Werteindruck für Postkarten, drei von ihnen exklusiv in Berlin, da es einst für den Versand innerhalb Berlins eigene Portostufen gab. So wie ihre Heimatstadt bietet auch diese Freimarkenserie noch etliche Geheimnisse, die es zu entdecken gilt. Berlin ist immer eine Sammlung wert.

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Musikalischer Prometheus – Berlins Gedenken an Ludwig van Beethoven

Eine der begehrtesten und wertvollsten Einzel-Briefmarken Berlins erschien am 26. März 1952 zu Ehren des 125 Jahre zuvor verstorbenen Komponisten Ludwig van Beethoven. Die Arbeit des Markenstechers Leon Schnell zeigt eine Gesichtsmaske des Meisters. Dieses Porträt war eine Arbeit des Wiener Bildhauers Franz Klein, der Lorbeerkranz eine Ergänzung des Grafikers. Was auf den ersten Blick wie eine Totenmaske erscheint, war in Wirklichkeit ein Abdruck des noch sehr lebendigen Beethoven und stammte aus dem Jahr 1812, also noch vor der Beendigung seiner drei letzten großen Symphonien. Doch wohl fühlte er sich nicht. Bereits in jungen Jahren hatte Ludwig van Beethoven körperliche Leiden entwickelt, deren schlimmste Auswirkung bekanntlich der vollständige Verlust seines Gehörs war. Weiter quälten ihn Fieberanfälle und Leibschmerzen, die sich in immer wiederkehrenden Koliken äußerten. Sein Tod im 57. Lebensjahr gibt der Forschung bis heute Rätsel auf. Lange vermutete man eine schleichende Bleivergiftung, für die es zwar zahlreiche Indizien, aber keine abschließenden Beweise gibt. In jedem Fall litt der Künstler in den letzten Lebensjahren an den Folgeerkrankungen einer Leberzirrhose. Ob diese allein aufgrund von übermäßigem Alkoholgenuss ausgebrochen war, ist nicht mehr zu diagnostizieren. Familiär vorbelastet war er in jedem Fall.Portrait Beethovens von Karl Joseph Stieler 1820

Bereits in frühester Kindheit war Ludwig van Beethoven von seinem ehrgeizigen Vater, einem Musiker der kurkölnischen Hofkapelle, gründlich musikalisch ausgebildet worden. Der Junge hatte zweifelsohne großes Talent, doch sein alkoholkranker Vater neigte zu häuslicher Gewalt. Möglicherweise vor diesem Hintergrund vermittelte Beethovens Klavierlehrer, der Hoforganist Christian Gottlob Neeve, dem jungen Schüler einen vom Kurfürsten bezahlten Studienaufenthalt in Wien, wo er bei Wolfgang Amadeus Mozart in die Lehre gehen sollte. Doch diese Reise währte nur kurz. Beethovens Mutter war schwer erkrankt, und seinem Vater entglitten die Dinge zunehmend. Zurück in Bonn, konnte er noch von seiner Mutter Abschied nehmen, bevor diese verstarb. Bald darauf wurde der Vater vom Hofe suspendiert, und mit gerade einmal 19 Jahren übernahm Ludwig van Beethoven die Verantwortung für seine jüngeren Brüder. Er arbeitete fortan als Berufsmusiker und baute sich mit der Zeit einen guten Ruf auf. Joseph Haydn lud ihn nach Wien ein, um das junge Talent persönlich zu unterrichten. Die Donaumetropole sollte seine neue Heimat werden. Nach dem Tod seines Vaters 1792 und dem Einmarsch Frankreichs im Rheinland zwei Jahre später gab es für Beethoven keinen Grund mehr, die funkelnde und kulturell blühende Hauptstadt der Habsburger zu verlassen, zumal er bald reiche Förderer fand, die seine Karriere mit der notwendigen finanziellen Sicherheit unterstützten. Sein wichtigster langjähriger Patron war der kaiserliche Kammerherr Karl Lichnowsky, der ihn nicht nur einige Zeit in seinem Haus wohnen ließ, sondern ihm sogar ein jährliches Gehalt zahlte.

Der Erfolg blieb nicht aus, und ab 1795 begeisterte der Pianist Beethoven die Wiener Musikwelt, insbesondere mit seinen beeindruckenden Improvisationen. Ein Jahr später ging er in Begleitung seines Mäzens auf Tournee. Schon aus Prag, der ersten Station, schrieb er seinem Bruder vom finanziellen Erfolg seiner Konzerte. Die nächsten Ziele waren Dresden, Leipzig und Berlin. Am Hofe des Preußenkönigs, Friedrich Wilhelm II., stieß der Wiener Virtuose auf allseitige Begeisterung. Nach einigen Konzerten, so berichtete Beethoven in seinen Briefen, habe ihn der König persönlich reich beschenkt. Zum Dank erhielt der Monarch eine Sonate gewidmet, dessen Vetter, Prinz Louis Ferdinand, ein Klavierkonzert. Auch die wohl bekannteste Symphonie Beethovens, die gewaltige Neunte mit der Vertonung der Ode „An die Freude“ aus der Feder Friedrich Schillers, wurde einem preußischen König gewidmet, Friedrich Wilhelm III. Es heißt, Beethoven habe sich von dieser Zueignung eigentlich einen Orden erhofft, jedoch lediglich ein nüchternes Dankesschreiben und einen wertlosen Ring erhalten. Vorangegangene Widmungen für den russischen Zarenhof hatten sich als lukrativer erwiesen. Eine weitere, etwas morbide Anekdote Berliner Lokalpatrioten unterstellt dem einmaligen Aufenthalt des Komponisten an der Spree gar, die Ursache für seine spätere Taubheit gewesen zu sein. Angeblich sei Beethoven von einem Floh gebissen und mit dem damals grassierenden „Flecktyphus“ infiziert worden.

Briefmarke BeethovenMedizinisch gibt es für die frühe Schwerhörigkeit aber eine große Zahl möglicher Erklärungen abseits einer Infektion, von Masern bis zu übermäßigem Alkoholkonsum. Dafür musste ihm kein Berliner Floh ins Ohr gesetzt werden. Ab 1798 wurde die Schwerhörigkeit für Beethoven immer belastender und entwickelte sich zu einer bis an sein Lebensende reichenden Tortur. Etliche Behandlungsmethoden wurden von diversen Ärzten an ihm ausprobiert, von Mandelöl-Ohrtropfen über Meerrettich-Baumwolle bis hin zu Zugpflastern und Bäderkuren in der Donau. Dass unter den hygienischen Bedingungen der Zeit durch diese Therapien mitunter weitere Komplikationen ausgelöst wurden, versteht sich von selbst. Die Folge waren immer wiederkehrende Entzündungen und Schmerzen. 1802 stand Beethoven an der Schwelle zum Selbstmord. Die schlimmsten Folgen seiner Erkrankung waren sozialer Natur. Komponieren konnte er auch allein im Geiste, doch verstand er seine Mitmenschen nicht mehr. Dabei galt der junge Musiker als geselliger Zeitgenosse, der gern mit den Damen parlierte. Scham, Stolz und soziale Isolation forderten ihren Tribut. In einem Brief vom 29. Januar 1801 klagte er: „Ich bringe mein Leben elend zu. Seit zwei Jahren meide ich alle Gesellschaften, weils mir nicht möglich ist, den Leuten zu sagen, ich bin taub.“ Sein Naturell wurde mürrisch und aufbrausend, und der ohnehin schon zuweilen exzentrische Mann entwickelte jetzt einen beängstigenden Starrsinn. Berühmt ist die Anekdote seines Treffens mit Goethe im Juli 1812, als die beiden Genies gemeinsam durch den Teplitzer Park flanierten und ihnen eine hochadelige Gesellschaft begegnete. Während der Dichterfürst beiseite trat und ehrerbietig den Hut lüpfte, soll Beethoven beharrlich vorangeschritten sein, sodass die hohen Herrschaften ihm ausweichen mussten. Goethe bescheinigte ihm anschließend eine gewisse Wunderlichkeit. Betrachtet man die überlieferten Porträts dieser Jahre, kann man den manifesten Niederschlag des Leidens in einem beängstigend beschleunigten Altersprozess verfolgen.

Daheim in Wien bediente Beethoven sich für seine Arbeit am Klavier anfangs verschiedener Hilfsmittel. Der damals berühmte Ingenieur und Wundermaschinenbauer Johann Nepomuk Mälzel – sein mechanisches Blasmusikorchester „Panharmonikon“ war unter Zeitgenossen legendär – hatte für den Ertaubenden eigens spezielle Hörrohre entwickelt. Ein weiteres Instrument war ein am Flügel befestigter Holzstab, den Beethoven zwischen die Zähne nehmen und so anhand der Vibrationen die Tonhöhen erfühlen konnte. Für die Bühne taugten solche Hilfsmittel natürlich nicht, und 1814 nahm der Meister endgültig Abschied von der Bühne. Lediglich als Dirigent wagte er sich noch vor das Publikum. Gelegentlich erschien er auch dabei sehr verloren, wenn er nach dem Ende einer Aufführung erst von seinen Musikern in Richtung Publikum gewandt werden musste, da er den einsetzenden Applaus nicht mitbekommen hatte. Für die Nachwelt barg dieses Verhängnis indes einen besonderen Nachlass, da ab 1818 Gespräche mit Beethoven nur noch schriftlich geführt werden konnten. Über 400 sogenannte Konversationshefte sind erhalten, in denen der Leser faszinierende Einblicke in das Privatleben des Komponisten gewinnt. Wer sich diese und andere Hinterlassenschaften des großen Ludwig van Beethoven im Original anschauen möchte, kann natürlich nach Wien oder Bonn fahren, doch viel einfacher ist ein Besuch in der Berliner Staatsbibliothek, die über einen reichhaltigen Fundus des Genies verfügt.

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Profis und Amateure – Ein sportlicher Berliner Bilderbogen

Die Vorfreude war groß. 1952 durften erstmalig wieder deutsche Sportler an den Olympischen Spielen teilnehmen. Vier Jahre zuvor waren die als Kriegsaggressoren angesehenen Nationen Japan und Deutschland noch von den Spielen in London ausgeschlossen gewesen. Aber nun reisten gleich zwei Teams ins finnische Helsinki, eines für die Bundesrepublik und eine Auswahl aus dem autonomen französischen Protektorat Saarland. Politisch war diese Trennung freilich eine Last, doch angesichts des verbindenden Gedankens der Olympischen Spiele musste man sich freuen, überhaupt wieder dabei zu sein. Der deutsche Staat im Osten konnte sich nicht zu einer Teilnahme mit einem gesamtdeutschen Team überwinden. Das Internationale Olympische Komitee hatte das Nationale Komitee der DDR nicht anerkannt und damit die Teilnahme mit einer eigenen Sportlerauswahl ausgeschlossen. Da wollte man sich auch nicht auf sportlicher Ebene dem politischen Gegner unterordnen. Erst 1956 kam eine gesamtdeutsche Mannschaft zustande.

Auch in der geteilten Stadt war die Stimmung gereizt. Ostberlin kapselte sich zunehmend ab. Die Telefonverbindungen zwischen den Stadthälften wurden abgeschaltet, wichtige Straßen und Brücken für den öffentlichen Verkehr gesperrt, und Besucher aus dem Westen mussten jetzt erstmals Anträge für die Einreise in den Ostteil stellen. In Westberlin wurde trotzdem gefeiert. Unter dem Motto „Vorolympische Festtage“ drehte sich vom 20. Juni bis zum 6. Juli 1952 in der Spreemetropole alles um den Sport. Höhepunkt waren natürlich die Qualifikationen des Nationalen Olympischen Komitees in den olympischen Kernsportarten. Dabei war auch die arg lädierte Boxauswahl, die sich in ihren Vorbereitungen ein wenig zu sehr angestrengt hatte. Zwei Mitglieder mit geplatzter Braue und angebrochener Hand hielten sich tapfer, aber der Halbschwergewichtsmeister Helmut Pfirrmann hatte sich im Trainingslager einen Kieferbruch zugezogen und konnte nicht antreten. Unter dem Funkturm lockte indessen eine Sport- und Gesundheitsausstellung Besucher an und informierte über gesunde Ernährung, und für den Nachwuchs hatte die Deutsche Sportjugend ein Olympisches Jugendlager organisiert. „Ostbewohner“, wie es auf den zahlreichen Veranstaltungsplakaten hieß, waren ebenfalls willkommen. Ihnen wurde bei den Eintrittspreisen der Wechselkurs „1 : 1“ versprochen. Pünktlich zur Eröffnung der Feierlichkeiten am 20. Juni fiel auch die Post in den Jubel mit ein und bot eine eigene Sondermarkenausgabe an. Die drei im Offsetdruck hergestellten Werte zu 4, 10 und 20 Pfennig zeigen die Olympische Fackel vor den fünf Ringen.

Bekanntlich warben Berliner Briefmarken schon immer engagiert für den Sport, und als ehemalige Olympiastadt standen diese internationalen Wettkämpfe dabei stets im Fokus. Dass der Nachwuchs für eine Sportnation von besonderer Bedeutung ist, liegt auf der Hand. Ausgehend von einer Initiative der Zeitschrift „Stern“ gibt es seit 1969 den Schulsportwettbewerb „Jugend trainiert für Olympia“. In mehreren Ausscheidungswettkämpfen können sich die Teilnehmer für die jeweils nächst höhere Ebene qualifizieren. Die Landessieger treffen sich anschließend in Berlin beim Bundesfinale. Am 6. April 1976 erschien dazu eine passende Sondermarken-Ausgabe mit Zuschlägen für die Jugend. Auf den von Heinz Schillinger gestalteten Motiven werden die Sportarten Hockey, Handball, Schwimmen und Kugelstoßen vorgestellt, letzteres explizit für die Damen. Dass im westdeutschen Team durchaus Nachwuchsbedarf an Kugelstoßerinnen herrschte, bewies es im Juli in Montreal. Die Essenerin Eva Wilms hatte keinerlei Medaillenchancen und landete auf dem siebten Platz, hinter drei Sportlerinnen aus der DDR auf den Plätzen vier bis sechs. In Berlin nahm man den Aufbau junger Talente 1976 augenscheinlich besonders ernst. Denn noch bevor die Schuljugend ihre Kräfte maß, präsentierte die Berliner Sportjugend Anfang März des Jahres erstmalig einen „Sport-Kindergarten“. Dieser war allerdings keine feste Institution, sondern eine einwöchige Sonderaktion. Die bot im Rahmen der „Internationalen Boots-, Sport und Freizeitschau“ den Kleinen die Möglichkeit, sich zwischendurch einmal ordentlich auszutoben.

Blickt man auf die Anfänge des organisierten deutschen Sports zurück, können dem Betrachter durchaus ähnliche Assoziationen kommen. Der erste Turnplatz auf der Berliner Hasenheide von 1811 hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit modernen Abenteuerspielplätzen. Der Gründervater, Friedrich Ludwig Jahn, der am 13. Juli 1978 zu seinem 200. Geburtstag mit einer Berliner Sondermarke gefeiert wurde, hatte allerdings ungleich sublimere Vorstellungen von seiner Institution. „Turnen gegen Napoleon“, könnte man seine Maxime zusammenfassen. Der euphorische Nationalist sah den Jugendsport ganz im Zeichen der Wehrertüchtigung für die anstehende Befreiung Deutschlands vom französischen Joch. Dieses bekämpfte er auch durch flammende Streitschriften gegen die französische Sprache, die er als „Lutetiens stehende Lache“ bezeichnete, die den deutschen Jüngling verführe. Nach den Franzosen sollten seine Turner dann gleich noch die fürstliche Kleinstaaterei beseitigen. Jahns Vision eines „Großdeutschland“ propagierte bereits den Anschluss Dänemarks, Hollands und der Schweiz, und dass der Turnvater auch noch der Mitinitiator der teilweise antisemitisch motivierten Bücherverbrennung im Rahmen des Wartburgfests 1817 war, scheint nur folgerichtig. Den Behörden wurden die Aktivitäten des nationalen Vorturners schließlich zu bunt, und Friedrich Ludwig Jahn wurde für einige Jahre eingesperrt. Glücklicherweise hat sich der organisierte Sport in der Nachkriegszeit sehr viel ziviler entwickelt, als es sich sein Gründervater gewünscht hatte. Dessen allgemeine Würdigung wird gemeinhin ohne Berücksichtigung seiner politischen Einstellungen betrieben, während sich der Wehrsport im Jahnsche Geiste eher im Interessenbereich des Verfassungsschutzes bewegt. Dass Jahn auch mehrfach auf Briefmarken der DDR gewürdigt wurde, kann man als Beleg dafür nehmen, dass die Ausblendung seiner Person vor dem Hintergrund seines Erbes allseits erfolgreich betrieben wurde.

Die letzte Berliner Briefmarkenausgabe zum Thema Sport erschien am 15. Februar 1990 und war erneut eine Zuschlagsmarke zugunsten der Sporthilfe. Das Thema, mit dem sich der Grafiker Gerd Aretz auseinandersetzte, lautete „Beliebte Sportarten“. Ganz modern – die Wertstufen erinnern an die Anzeige einer Digitaluhr – präsentieren die Sondermarken „Wasserball“ und „Rollstuhl- Basketball“. Diese Auswahl überrascht. Wasserball soll quasi zufällig aus dem wilden Duschgebaren einer britischen Rugbymannschaft entstanden sein. Diese hätte sich nach dem Spiel gemeinsam mit ihrem Trainer in einem nahe gelegenen Waschhaus erfrischt, das auch über ein Schwimmbecken verfügte. Am Ende hätten alle gemeinsam im Wasser herumgeplanscht und sich den Ball zugeworfen. Es gab verschiedene Ansätze, dieses Bade-Vergnügen als „Wasser-Baseball“ oder „Wasser-Polo“ in Regeln zu fassen. 1885 war es schließlich soweit, dass der englische Schwimmverband Wasserball als eigene Sportart anerkannte. 1900 wurde die neue Sportart olympische Disziplin. Heute ist sie allerdings deutschlandweit eher in der Nische beheimatet, und die Landessportverbände erwägen sogar, die Förderung von Wasserball-Vereinen einzustellen, da sich keine Spitzenleistungen einstellen. Rollstuhl-Basketball war ursprünglich eine Erfindung US-amerikanischer Kriegsversehrter um 1946. Heute wird es weltweit in über 80 Ländern gespielt und ist bereits seit 1960 eine Disziplin der Paralympics. Es ist kaum bekannt, dass die Teams auch Menschen ohne Gehbehinderung aufnehmen – solange sie sich an die Regeln halten. Die mit den Briefmarken postulierte Beliebtheit der beiden Sportarten scheint aber wohl eine spezifisch Berliner Sichtweise widerzuspiegeln.

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Jederzeit Sicherheit – Die Freimarkenserie „Unfallverhütung“

Stand es damals tatsächlich so schlimm um die Sicherheit der Bundesbürger? Die Freimarkenserie „Unfallverhütung“ mit dem Slogan „Jederzeit Sicherheit“, die ab dem 10. September 1971 sukzessive herausgegeben wurde, legt diese Vermutung nahe, denn ganz ohne Grund wurde das Thema sicherlich nicht aufgegriffen. In einer 1977 erschienenen kritischen Analyse öffentlicher Unfallstatistiken verzeichneten die Autoren gravierende Abweichungen zwischen den Zahlen der Arbeitgeberverbände und anderen Quellen. Laut Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände waren in den Jahren bis 1975 so große Fortschritte in der betrieblichen Unfallverhütung erzielt worden, dass man sich selbst die niedrigsten Unfallzahlen seit 20 Jahren attestierte. Dennoch sind für die Jahre 1971 bis 1976 – also auch den Ausgabezeitraum der Freimarken – jeweils rund zwei Millionen Arbeitsunfälle verzeichnet, die jährlich zwischen 25 und 30 Milliarden Mark Folgekosten verursachten. Diese Zahlen enthielten nur die Unfälle, die zu mehr als drei Tagen Arbeitsausfall führten. Mindestens 3000 Menschen starben jedes Jahr an ihren Verletzungen, in einzelnen Jahren sogar die doppelte Zahl. Die analysierenden Wissenschaftler ermittelten aus anderen Quellen, wie beispielsweise dem Mikrozensus, zwischen 30 und 80 Prozent höhere Unfallzahlen. Die IG-Metall postulierte sogar eine Dunkelziffer von über 90 Prozent. Das Statistische Bundesamt sah sich zu keiner fundierten Aussage befähigt, da es zwar Daten aus dem Mikrozensus ausgewertet hatte, die Fähigkeit der Befragten zur Unterscheidung von Arbeits-, Wege- und Privatunfall jedoch anzweifelte – was wiederum berechtigten Zweifel am Sinn dieser Erhebungen weckt.

Bei all diesen Annahmen darf nicht vergessen werden, dass diese Berechnungen sich allein auf Arbeitsunfälle bezogen. Die Unfallverhütung im Privatleben war eine noch viel schwierigere Herausforderung. In einer Drucksache des Deutschen Bundestags aus dem Februar 1973 wurde eingeräumt, dass man die Zahl der Unfälle in Haus und Freizeit nur grob schätzen konnte. 10.000 tödliche Unfälle und mehrere Millionen Verletzungen galten als wahrscheinlich. Staatlicherseits steuerte man mit der Aktion „Das Sichere Haus“ gegen, einem Informationsbüro, das bis heute kostenlos über mögliche Gefahren im Haushalt berichtet. Das Bewusstsein für solche Aufklärungsarbeit war zum Ausgabezeitpunkt der Freimarkenserie noch im Entstehen begriffen. Betrachtet man den allgemeinen Wandel im Alltag der Bundesbürger seit Beginn des Wirtschaftswunders, kann man unschwer eine exponentielle Zunahme der Risikofaktoren feststellen. Wie viele neue Elektrogeräte waren in den vergangenen 15 Jahren angeschafft worden? Die Freimarke zu 40 Pfennig verweist auf die Gefahr defekter Stromkabel. Auch der 20-Pfennig-Wert zeigt, inwiefern der Fortschritt das Unfallrisiko hob. Konnte sich der unaufmerksame Heimwerker schon mit einem Fuchsschwanz erhebliche Verletzungen zufügen, wie viel gravierender fielen die Verstümmelungen aus, wenn erst einmal eine eigene Kreissäge in der Werkstatt stand? Wie viele PKW-Zulassungen hatten die Verkehrsdichte erhöht? War das Spielen der Kinder auf der Straße in der Nachkriegsdekade noch Normalität, erwuchsen aus dem veränderten Verkehrsaufkommen ganz neue Gefahren. Und um betrunken Auto zu fahren, wovor die Freimarke zu 25 Pfennig warnt, musste man erst einmal ein Auto haben. 1955 gab es im gesamten Bundesgebiet laut Kraftfahrt-Bundesamt 1.747.555 zugelassene PKW, 1970 waren es bereits 13.941.079. Allein auf deutschen Landstraßen kamen im Jahre 1970 9753 Menschen ums Leben, hinzu kamen 8480 in geschlossenen Ortschaften und 944 auf den Autobahnen, insgesamt also 19.177 Tote. In Nordrhein-Westfalen hatte man mit einem Verkehrserziehungsprogramm wirkungsvoll gegensteuern können. Eine Informationskampagne nutzte alle verfügbaren Kommunikationskanäle: Plakate, Zeitungsannoncen, Kino-Werbung, Aufkleber, Tragetaschen, Streichholzschachteln, Wanderausstellungen, Straßentheater und Schüler-Aufsatzwettbewerbe. Tausende Lehrer und Kindergärtnerinnen wurden zu Verkehrserziehern ausgebildet. Die Zahl der Verkehrstoten sank um über acht Prozent. Vor diesem Hintergrund machte die neue Freimarkenserie „Unfallverhütung“ in jedem Fall Sinn, und sie lag ganz im Aufklärungs-Trend der Zeit. Die Botschaft fand über dieses Forum ein breites Publikum, zusammengerechnet lag die Gesamtauflage der Serie in Berlin und den westlichen Bundesländern bei rund einer Viertelmilliarde.

Die Ausgabe der elf Briefmarken dieser Ausgabe erstreckte sich vom September 1971 bis in das Jahr 1974 hinein. Die im Buchdruck produzierten Freimarken erschienen sowohl im Kleinbogen als auch auf Rollen, die Werte zu 10, 20, 30 und 40 Pfennig auch im Markenheftchen. Bei letzteren muss zwischen drei Varianten unterschieden werden. Die erste Ausgabe von 1972 enthielt noch vollständig gezähnte Marken. 1974 kamen jedoch zwei weitere Markenheftchen an die Postschalter, bei denen erstmals in der Bundesrepublik eine Markenseite geschnitten war. Je nach Variante konnte die ungezähnte Seite oben oder unten liegen. Der Preis für solche Freimarken liegt im Schnitt zehnmal höher als bei rundum gezähnten Exemplaren. Es existieren auch einige Plattenfehler, die zu suchen durchaus lohnenswert ist. Überhaupt entdecken immer mehr Sammler den Reiz der Spezialisierung auf Freimarken. Diese sind in großen Mengen im Umlauf gewesen und dadurch auch echt gelaufen erhältlich. Der Blick ins Detail verspricht dennoch manch schöne Überraschung. Mit den elf Freimarken der vollständigen Serie „Unfallverhütung“ liegt ein Grundstock vor, auf den man aufbauen kann.

Die letzte Freimarke Berlins war bekanntlich ein Wert der Serie „Sehenswürdigkeiten“, die seit 1987 parallel zu den „Frauen der deutschen Geschichte“ ausgegeben wurde. Die entsprechende Briefmarke erschien am 21. Juni 1990 und zeigt eine Dame, die für ihre hoch gewachsene Gestalt und ihre Härte bekannt ist, deren Fassade aber nach über 150 Jahren zusehends bröckelt: die „Lange Anna“. Diese beeindruckende Felsformation an der Nordwestseite der Insel Helgoland war ursprünglich Teil der Steilküste. Von der ewigen Brandung der Nordsee ausgehöhlt, hatte sich aber zu ihren Füßen ein Brandungstor gebildet, sodass der Felsen bald nur noch durch eine natürliche Brücke mit der Hauptinsel verbunden war. Am 16. Mai 1860 stürzte diese ein und ließ die 47 Meter hohe Felsnahe frei stehen. Es gab mehrere Versuche, das Wahrzeichen der Insel vor dem weiteren Verfall zu retten. Mittlerweile musste jedoch eingesehen werden, dass der natürlichen Erosion kein Einhalt zu gebieten ist. Seither wird lediglich darauf geachtet, dass der unweigerliche Sturz der „Langen Anna“ keine Menschenleben gefährden wird – wann immer dieses Ereignis eintritt.

Auch die zweite „Sehenswürdigkeit“ dieser Lieferung hat einen maritimen Hintergrund. Die Freimarke vom 11. August 1988 zeigt das Hamburger Chilehaus, ein Kontorgebäude, das zwischen 1922 und 1924 vom Architekten Fritz Höger erbaut wurde, dem führenden Vertreter des norddeutschen Backsteinexpressionismus. Auftraggeber war der Hamburger Unternehmer und Bankier Henry B. Sloman, der mit dem Import von Salpeter ein Vermögen verdient hatte. Sloman war in jungen Jahren nach Chile ausgewandert und hatte dort 1892 seine erste Fabrik zur Gewinnung des begehrten Rohstoffs gegründet. Der Transport des Salpeters erfolgte auf gewaltigen Lastenseglern, die von Chile aus um das gefürchtete Kap Hoorn nach Europa fuhren. Das Risiko war groß – die Gewinne hingegen gewaltig. 1912 galt Sloman als der reichste Hamburger. Dass sein imposanter Neubau aus der Luft betrachtet die Form eines riesigen Schiffsrumpfs hat, war sicher kein Zufall. Der Architekt des Backsteinkolosses hat sich übrigens auch in Berlin verewigt. In Pankow steht die alte Zigarettenfabrik von Josef Garbáty und in Wilmersdorf die Backsteinschönheit der Kirche am Hohenzollernplatz.

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Blumen, Bauten, Buddelpeter – Berliner Briefmarken zwischen Kunst und Natur

Berlin ist eine grüne Stadt. Die Kombination aus brodelnder Metropole und naturnahen Rückzugsräumen und Erholungsgebieten ist einzigartig und zieht ungebrochen Berliner, Besucher und angehende Berliner in ihren Bann. Diese menschenfreundliche Gestaltung des urbanen Lebensraums ist jedoch kein Produkt des Zufalls. Seit Jahrhunderten wird in Berlin die Kunst des Gartenbaus gepflegt. In diesem Zusammenhang fällt immer wieder der Name Peter Joseph Lenné. Der preußische „General-Gartendirektor“ hinterließ zahlreiche Spuren in Berlin und dem Umland. Der gebürtige Bonner konnte bereits in jungen Jahren erste gartenbauliche Erfahrungen in Paris, München und Wien sammeln, bis ihn das Angebot einer Gehilfenstelle Anfang des 19. Jahrhunderts nach Preußen lockte. Mit viel Talent und Durchsetzungsvermögen schaffte es Lenné bald in die „Königliche Gartendirektion“. 1923 ernannte ihn König Friedrich Wilhelm III. gar zum Direktor der Landesbaumschule und der Potsdamer Gärtnerlehranstalt. Kraft dieses hohen Amtes widmete sich Lenné immer größeren Garten- und Parkanlagen. Sein eigener Stil mit dem offenen Landschaftsbild und zahlreichen Sichtachsen weckte große Begeisterung und bescherte ihm auch außerhalb Preußens etliche prestigeträchtige Aufträge. Unter Friedrich Wilhelm IV. wurde Peter Joseph Lenné zunehmend in die Stadtplanung der rasch wachsenden Spree-Metropole eingebunden. Auf beispiellose Weise bemühte er sich, Wohnraum, Erholungsgebiete und Gartenkunst in Einklang zu bringen. Bei den Berlinern brachte ihm die rege Bautätigkeit den Spitznamen „Buddelpeter“ ein. 2016 feierte Berlin Lennés 150. Todestag mit einem „Lenné-Jahr“. Doch bereits zu seinem 200. Geburtstag hatte die Postverwaltung ihm eine eigene Sondermarke gewidmet. Diese erschien am 10. August 1989 und zeigt neben dem Geehrten einen Verschönerungsplan des Berliner Zoos.

Einen gänzlich anderen Zugang zur Natur hatte die 1647 geborene Maria Sibylla Merian, deren Porträt die Freimarke vom 17. September 1987 ziert, die zweite Ausgabe der Serie „Frauen der deutschen Geschichte“. Die Tochter des berühmten Frankfurter Kupferstechers und Verlegers Matthäus Merian der Ältere war ein strenggläubiges Mädchen. Nach dem frühen Tod des Vaters 1650 erhielt sie bei dessen Schülern Malunterricht. So begann die junge Merian Blumen zu zeichnen und entdeckte für sich mit der Zeit die Faszination der Insekten. Sie züchtete Raupen und dokumentierte deren Verwandlung in Schmetterlinge – für Maria Sibylle Merian ein „Wunder der Schöpfung“. Ihre gezeichneten, in Kupfer gestochenen und kolorierten Naturbilder sollten für den Rest ihres Lebens Passion und Lebensunterhalt bleiben. Ihre ersten Veröffentlichungen waren aber bezeichnenderweise Anleitungsbücher für Blumenstickereien. Als Frau war es ihr nicht einmal gestattet mit Ölfarben zu malen. Das verbot die damalige „Maler-Ordnung“. Wenig später folgte ein Büchlein über Raupen. Aus ihrer unglücklichen Ehe floh sie schließlich zu ihrem Stiefbruder in die Niederlande. In Amsterdam erlangte die Künstlerin Anerkennung als Naturforscherin, und so reifte der Plan, eine „große und teure Reise“ in die Tropen zu unternehmen, der Heimstatt der exotischsten Raupen und Insekten. Zusammen mit ihrer jüngsten Tochter fuhr sie nach Surinam an der Nordküste Südamerikas. Zwei Jahre arbeitete sie unermüdlich an ihren Zeichnungen, bevor sie 1701 an Malaria erkrankt nach Amsterdam zurückkehrte. Vier Jahre später erschien ihr Meisterwerk über die Insekten Surinams. Reich wurde die gefeierte Forscherin damit nicht. Bis zu ihrem Tod gab sie Malunterricht und verkaufte Malerbedarf. Doch dem Namen der Familie machte die mutige Pionierin alle Ehre.

Auch der bekannte Briefmarkengestalter Heinz Schillinger hat viele Stunden seines Lebens mit dem Zeichnen von Blumen verbracht. Seine Wohlfahrtsmarken für die Post der Bundesrepublik und Berlins erreichten ein Millionenpublikum. Am 15. Oktober 1974 wurde ihm die Ehre zuteil, die Motive zum 25. Jubiläum der Wohlfahrtsmarken zu gestalten. Vier Blumensträuße gratulierten, einer für jede Jahreszeit. Der grafischen Entwicklung von Briefmarkenmotiven blieb Schillinger noch lange Jahre treu, und er gehörte zwischenzeitlich zu den fleißigsten und erfolgreichsten Markenkünstlern Deutschlands. Obwohl er seit 1979 als ordentlicher Professor an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg lehrte, kreierte er eine Briefmarke nach der anderen. Am 14. Oktober 1982 erschienen wieder vier Wohlfahrtsmarken, erneut mit Blumenmotiven, aber diesmal mit einer thematischen Klammer: Gartenrosen. Es kommt vermutlich zu einem nie verstummenden Streit, wenn sich Freunde von Orchideen und Rosen über die Schönheit ihrer Zuchtobjekte austauschen. Beiden Gattungen ist gemein, dass sie aufgrund ihrer prächtigen Blüten seit Menschengedenken gehegt und gepflegt werden. Es existieren mehrere hundert Arten von Rosen, die sich wiederum in rund 30.000 Rosensorten unterteilen lassen. Die von Heinz Schillinger ausgewählten Motive zeigen auch zwei Floribundarosen, also Kreuzungen aus Polyantharosen mit Teehybriden. Sowohl die kleine Polyantha als auch die Teerosen stammen aus Ostasien. Aus einer Kreuzung der Teerosen mit der europäischen Remontant-Rose entstanden die Teehybriden, die als Klassiker unter den modernen Rosen gelten.

Unmittelbar nach Erscheinen der oben genannten Freimarke mit Maria Sibylla Merian startete in Berlin und dem Bundesgebiet eine neue Freimarkenserie. Sie knüpfte thematisch an die 1982 abgeschlossene Reihe „Burgen und Schlösser“ an, war aber weniger spezifisch konzipiert. Sie hieß schlicht „Sehenswürdigkeiten“ und hatte am 6. November 1987 ihren Ersttag. Zwei Jahre später erschienen die drei höheren Werte auch in Markenheftchen, deren teilweise geschnittenen Freimarken unter Sammlern begehrt sind. Die vier Motive der ersten Ausgabe waren das Celler Schloss, das Freiburger Münster, die Münchner Bavaria und die Zeche Zollern II in Dortmund. Die beiden ersten Bauten haben ihre Wurzeln im Mittelalter, was bei dem Prachtbau in Celle kaum noch zu erkennen ist. Die einstige Wasserburg mit ihrem wehrhaften Graben wurde über die Jahrhunderte durch immer neue Anbauten erweitert. Die auffälligen Turmdächer stammen aus der Zeit Herzog Georg Wilhelms von Braunschweig-Lüneburg, der die Anlage zu einem barocken Ensemble ausbauen ließ. Auch das Freiburger Münster, dessen hoch aufragender Turm gern als „schönster Turm der Christenheit“ bezeichnet wird, war ursprünglich anders geplant, als es heute erscheint. Allerdings vollzog sich der Stilwechsel relativ früh. Um 1200 als spätromanische Kirche begonnen, folgten die Baumeister rund 25 Jahre später der architektonischen Revolution der französischen Gotik. Nur das Querschiff und die Fundamente der Türme sind romanisch. Der Ausschnitt auf der Freimarke zeigt das außergewöhnliche Turmdach des Freiburger Münsters. Derart filigrane Strukturen waren 1330, zur Zeit der Fertigstellung, bei der Gestaltung von Fenstern nicht unüblich, zum Abschluss eines Kirchturms hatte man diese Technik aber noch nicht angewendet. Das dritte Motiv auf der Freimarke zu 60 Pfennig zeigt die bayerische Patronin vor der Ruhmeshalle. Der 18,5 Meter hohe Bronzeguss, der imposant seinen Eichenkranz in die Luft hält, kostete übrigens nur etwas weniger als die Hälfte der gesamten Ruhmeshalle, und das obwohl für die funkelnde Dame teilweise Altmetall verwendet wurde. Es handelte sich aber nicht um profanen Metallschrott, sondern um eingeschmolzene Bronzekanonen versenkter türkischer Schiffe. Schrott mit Botschaft, könnte man sagen. Ganz und gar praktischer Natur war das letzte Gebäude auf dem Wert zu 80 Pfennig. Die Zeche Zollern II förderte von 1899 bis 1955 Steinkohle aus den Tiefen der Erde. Die Verzierungen des Eingangs zur Maschinenhalle mit ihrer Jugendstiloptik stellten damals keineswegs Kunst am Bau dar – sie waren schlichtweg modern. Dass sie heute noch die Menschen erfreuen, beweist, dass sich Vergangenheit und Gegenwart miteinander arrangieren können. In Berlin ist dieses Miteinander allgegenwärtig.

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Länderübergreifend – Berliner Freimarken zeigen Architekturdenkmäler

In den Jahren 1964 bis 1969 erschien in der Bundesrepublik und in Westberlin eine neue Freimarkenserie mit dem Titel „Deutsche Bauwerke aus zwölf Jahrhunderten“. Die beiden Teile der Serie werden mit den römischen Ziffern „I“ und „II“ unterschieden, obwohl viele Freimarken motivgleich sind. Die Grafiken des Markenkünstlers Otto Rohse zeigen aber hinsichtlich der Ausgestaltung deutliche Unterschiede. Die ersten acht Werte Berlins aus 1964 und 1965 präsentieren in recht schlichter Ausarbeitung den Dresdner Zwinger, das Schloss Tegel in Berlin, die Torhalle von Lorsch, die Burg Trifels in der Pfalz, den Torbau des Schlosses ob Ellwangen, das Treptower Tor, das Soester Osthofentor sowie das Ellinger Tor in Weißenburg. Die niedrigeren Werte zu 10, 15 und 20 Pfennig wurden im Buchdruck als Rollen- und Bogenmarken produziert. Lediglich die Freimarke zu 10 Pfennig erschien darüber hinaus im Markenheft. Ab der Wertstufe von 40 Pfennig wurde der hochwertigere Stichtiefdruck verwendet, und die Marken zu 40 und 70 Pfennig erschienen neben der Bogenform auch in Rollen. Alle acht Marken gibt es in identischer Zeichnung aus der Bundesrepublik, lediglich mit veränderter Hoheitsangabe.

Ihre Fortsetzung erfuhr diese Freimarkenserie aber nicht aus künstlerischen Beweggründen, sondern aus postalischer Notwendigkeit. Im Februar 1966 wurde im deutschen Bundestag heftig über die Post diskutiert. Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, Richard Stücklen, hatte eine Portoerhöhung angekündigt. Opposition und Presse warfen ihm darauf hin Wahlkampftaktik vor, da vor der Bundestagswahl vom September 1965 eine solche Erhöhung stets dementiert worden war. Ungeachtet dessen konnte die Post zur „Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse“ eine grundlegende Erhöhung zum 1. April 1966 durchsetzen. Für die Freimarken Berlins bedeutete dies zweierlei: Neue Wertstufen mussten produziert werden, und alte Wertstufen, die künftig eine andere postalische Leistung freimachten, erhielten eine farbliche Anpassung. Noch hielt man sich an die Farbregelungen des Weltpostvereins, die seit dem 19. Jahrhundert in Kraft waren. Der Inlandsbrief beispielsweise erforderte eine rote Freimarke. Als der Tarif von 20 auf 30 Pfennig erhöht wurde, musste eine 30-Pfennig-Marke in rötlicher Färbung produziert werden. Im zweiten Teil der „Deutschen Bauwerke“ mit seinen nunmehr 16 Freimarken fällt dies dadurch besonders ins Auge, dass die im Januar 1966 erschienene 30-Pfennig-Marke noch in Schwärzlich-grünlich-oliv an die Schalter gekommen war. Sie wurde binnen eines Jahres in Schwärzlich-rosa-rot neu aufgelegt und erfüllte somit wieder die Farbvorgaben. Die Ausgabe Berlins enthielt darüber hinaus eine Extramarke, da der Tarif für Postkarten innerhalb des Stadtgebiets zu 8 Pfennig keinerlei Entsprechung im bundesdeutschen Portosystem besaß. Aber noch in einer anderen Hinsicht fiel die Neuauflage aus der Reihe.

Erstmalig wurde eine komplette Freimarkenserie in einem Druckverfahren – nämlich dem Stichtiefdruck – produziert. Diese Technik ermöglichte dem Grafiker, sehr viel detailreicher zu arbeiten, sodass die sich ergebenden Markenpärchen zwar streng genommen motivgleich, aber dennoch vollkommen unterschiedlich sind. Gelegentlich unterstrich der Künstler diesen Sachverhalt durch leicht veränderte Perspektiven oder Ausschnitte. Betrachtet man beispielsweise die beiden 40-Pfennig-Briefmarken, wird einerseits deutlich, dass der Künstler sein Motiv zuerst aus der Nähe, später aus größerer Entfernung betrachtet hat. Darüber hinaus dokumentieren die beiden Ausgaben die seit 1954 vorgenommene Sanierung des Trifels, in deren Zug der Hauptturm der Burg aufgestockt wurde. Abgesehen von solchen interessanten Details muss man dieses Motiv aber als unglückliche Wahl bezeichnen. Die echte Burg, in der einst Richard Löwenherz gefangen gehalten wurde, war bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu einer Ruine verfallen und von der lokalen Bevölkerung weiter abgetragen worden. Man nutzte die vorhandenen Steine für eigene Bauvorhaben. Der heute existierende Bau wurde ab 1938 ohne jegliche historische Genauigkeit zu propagandistischen Zwecken errichtet und passt insofern nur schwerlich in das Thema der Freimarkenserie.

Hinsichtlich der Motive hatte Otto Rohse auch sonst wenig Fingerspitzengefühl bewiesen. Neben fünf Bauwerken aus der Bundesrepublik zeigte die erste Ausgabe zwei Bauten aus Ostdeutschland und mit dem Tegeler Schloss natürlich eine Ikone Berlins. Diesem Ansatz folgte er auch bei der Neuauflage und ergänzte neben dem Melanchthonhaus in Wittenberg mit dem Berliner Tor ein Baudenkmal, das im heute polnischen Stettin steht. Dieses Tor hatte einst der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. errichten lassen, und der ehemalige Wehrbau ist das letzte Relikt der 1875 geschleiften Festung Stettin. Ebenfalls in Polen liegt heute das alte schlesische Löwenberg, polnisch Lwówek Slaski. Das pittoreske Markenmotiv zu 2 Mark zeigt die Bürgerhalle des Rathauses. Auf russischem Territorium liegt heute das ehemalige Königsberg, seit 1946 Kaliningrad. Das Zschockesche Stift auf der Freimarke zu 90 Pfennig war einst ein prächtiges Symbol für die wohlhabende Kaufmannschaft der Ordensstadt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts diente das Stift als Herberge für verarmte unverheiratete Töchter aus gehobenem Bürgerstand. Im Sommer 1944 fiel die gesamte Anlage einem alliierten Bombenangriff zum Opfer. Warum der Künstler sich für ein Königsberger Motiv entschieden hatte, lässt sich aus seiner Biographie leicht erklären. Denn er stammte aus dem ostpreußischen Insterburg und hatte seit 1943 an der Kunstakademie Königsberg studiert. Erst im Anschluss an seine Kriegsgefangenschaft gelangte er nach Hamburg, wo er seine Ausbildung und Arbeit fortsetzte.

Weiter nahm Rohse den Pfalzgrafenstein in die Serie mit auf, um die bereits erwähnte Berliner Wertstufe von 8 Pfennig zu illustrieren. Dieses beliebte Touristenziel liegt bei Kaub auf der Rheininsel Falkenau. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts hatte der Pfalzgraf Ludwig der Bayer einen Turm errichtet, von dem aus der Schiffsverkehr auf dem Rhein kontrolliert werden konnte. Mit der Zeit erfuhr die Anlage ihre Erweiterung bis hin zur barocken Turmspitze aus dem 18. Jahrhundert. Noch bis in die Nachkriegszeit diente der Bau als Standort einer Signalstation zum Schutz der Rheinschiffe. Auch das Flensburger Nordertor hatte anfangs durchaus wehrhaften Charakter und war Teil der schützenden Stadtmauer. Bis 1796 durfte nördlich dieses Tores nicht gebaut werden. Es kennzeichnete somit über Jahrhunderte lang die Stadtgrenze Flensburgs. Die Freimarke zeigt die Südseite mit der Toruhr. Auf der Nordseite prangen bis heute das Stadtwappen sowie das Wappen des dänischen Königs Christian IV. Die letzte Ergänzung der „Deutschen Bauwerke“ bildete das Trinitatishospital in Hildesheim. Auch dieses Gebäude existiert heute nicht mehr, es wurde wenige Monate vor Kriegsende 1945 restlos zerstört. Lediglich ein Altaraufsatz ist erhalten, der heute in der Kirche St. Bernward bewundert werden kann.

Der Versuch Otto Rohses, das gemeinsame architektonische Erbe jenseits der aktuellen Landesgrenzen abzubilden, stieß indes auf harsche Kritik seitens der Ostblock-Staaten. Der Bundesrepublik wurde vorgeworfen, mit der Verwendung von extraterritorialen Motiven Anspruch auf die verlorenen Gebiete zu erheben. Mit echtgelaufenen und von den Postanstalten der DDR, Polens und der Sowjetunion zurückgeschickten Belegen, die diese Freimarken tragen, lässt sich also ein weiteres Kapitel im Ost-West-Konflikt dokumentieren. Für die Berliner war der „Postkrieg“ aber seinerzeit sicherlich das geringste Übel.

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Steter Fortschritt – Auf den Spuren der Postbeförderung

1990 wird für immer als ein „Berliner Jahr“ im Gedächtnis bleiben. Die geteilte Stadt durchlebte im Kleinen und auf engstem Raum die dramatischen, spannenden und glücklichen Momente der Wiedervereinigung, die sich deutschlandweit vollzogen. Was folgte, waren Veränderung, Annäherung, Erfahrungen des Fremdseins, Ängste, Neuanfänge und Hoffnungen. Und so wie für manchen Bürger persönlich eine Welt unterging, bildete das Jahr auch für viele Philatelisten einen tiefen Einschnitt. Noch vor Jahresende war das Sammelgebiet Berlin Geschichte. Den Auftakt bildete indes eine Sondermarkenausgabe, die den Donnerhall der Geschehnisse eindrücklich dokumentierte. Eine Gemeinschaftsausgabe der Bundesrepublik, der DDR, Berlins sowie Belgiens und Österreichs – das hatte es in der Postgeschichte noch nicht gegeben.

Am 12. Januar 1990 feierte der Postreiter aus der Feder Albrecht Dürers 500 Jahre internationale Postverbindungen in Europa. Dieses Jubiläum bezog sich auf die erste Einrichtung eines zentral organisierten Postkurses durch die Familie der von Taxis, die später unter dem Namen Thurn und Taxis als Betreiber der Kaiserlichen Reichspost in die Postgeschichte eingingen. 1490 hatten Franz von Taxis und sein Bruder Janetto im Auftrag Kaiser Maximilians I. eine Postverbindung vom Hof in Innsbruck bis in die Niederlande aufgebaut. Der politische Nutzen und die Effizienz der neuen Nachrichtenverbindung waren so groß, dass das Netz in den folgenden Generationen stetig weiter ausgebaut wurde. Die Boten waren beritten. Ihnen standen in regelmäßigen Abständen Wechselstationen für Pferde und Reiter zur Verfügung, sodass die Übermittlung von Nachrichten erstmalig exakt kalkulierbar war. Die berittenen Boten schafften auf diese Weise durchschnittliche Tagesstrecken von rund 166 Kilometern. Von Innsbruck nach Brüssel bedeutete dies eine Laufzeit von fünfeinhalb Tagen. Lediglich für den Winter wurde ein Extratag gebilligt. Das Bildmotiv zeigt beispielhaft einen solchen Botenreiter. Seine Ausstattung mit Dolch und langem Schwert belegt die Gefährlichkeit der Straßen in der frühen Neuzeit.

Innerhalb des letzten Jahres der Berlin-Briefmarken erschienen zwei weitere Sondermarkenausgaben zugunsten der Wohlfahrtspflege, die anschaulich die Entwicklung des Postwesens präsentieren. Ausgabetag der ersten war der 12. Oktober 1989, der zweiten am 27. September 1990. Beide Ausgaben verfügen übrigens über jeweils ein Pendant aus der Bundesrepublik, mit dem die Motivstrecke abgerundet wurde. 1989 zeigt der Wert zu 60+30 Pfennig einen Briefboten des ausgehenden Mittelalters. Das Motiv stammt aus einem Kartenspiel des 15. Jahrhunderts und wurde vom Grafiker nur leicht verändert: Der Hut wird ein wenig höher gelüftet, der Arm ein bisschen gehoben. Zum Vergleich kann eine DDR-Briefmarke von 1990 hinzugezogen werden, die das Original abbildet. Allen Variationen gemeinsam ist natürlich die lebensnahe Ausstattung des Boten. Sein Botenschild mit dem kaiserlichen Wappen weist ihn als unter höchstem Schutz stehenden Kurier aus, der Brief ist versiegelt, und halb unter seiner Tasche versteckt hängt ein langer Dolch.

Die zweite Wohlfahrtsmarke der Ausgabe zeigt einen Postwagen aus der Zeit um 1680. Auch für dieses Motiv bediente sich der Markenkünstler einer historischen Vorlage, nämlich einer Zeichnung von Ludwig Burger, die detailgetreu kopiert wurde. Die brandenburgischen Lande hatten bereits früh damit begonnen, unabhängig von der Reichspost eine eigene Landespost aufzubauen. Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm gilt als deren Begründer. Seine Staatspost stand im Gegensatz zu den Einrichtungen der Thurn und Taxis auch der Bevölkerung offen. Kein Wunder also, dass bereits früh eine sogenannte „Fahrpost“ eingerichtet wurde, die neben Wertsendungen und Gütern auch eine begrenzte Anzahl Passagiere aufnehmen konnte. Ein Blick ins Detail zeigt, dass die ungefederte Kalesche nicht einmal mehr Platz auf dem Kutschbock bot, so überladen war das Gefährt. Der Postillon musste folglich mit einem Platz auf dem Zugpferd vorlieb nehmen. Das Originalwerk zeigt darüber hinaus, was auf der Briefmarke rechts abgeschnitten wurde: einen gewaltigen mit Schnüren verzurrten Gepäckwulst, der weit über das Heck der Kutsche hinausragte. Bequem war eine solche Reise nicht. Aber Alternativen gab es zu dieser Zeit kaum. Die letzte Sondermarke zeigt zwei preußische Postbeamte aus dem 19. Jahrhundert. Sie sind mit einem Handwagen unterwegs und damit der Stadtpost zuzuordnen. Ihre Arbeitstage waren lang, denn mit einem für heutige Maßstäbe kaum vorstellbaren Personalaufwand wurde mehrfach täglich die Post zugestellt. Das war man der ehrwürdigen preußischen Institution schuldig.

Die drei Wohlfahrtsmarken aus dem Herbst 1990 zeigen Motive aus der jüngeren Postgeschichte. Der niedrigste Wert gibt eine Szene mit dem Titel „Paketpost am Schlesischen Bahnhof in Berlin“ wieder. Das zugrunde liegende Gemälde stammt von Otto Antoine, gewissermaßen dem „Haus-Maler“ der Reichspost. Der talentierte Landschaftsmaler war von Heinrich von Stephan persönlich entdeckt und angeworben worden. Zahlreiche seiner Werke dokumentieren anschaulich die Arbeit der fleißigen Postbeamten. Die auf der Sondermarke abgebildeten normierten Schubwagen zeugen von der steten Beschleunigung des Be- und Entladungsprozesses. Der Postverkehr war um die Jahrhundertwende so rasant angestiegen, dass man schon allein aus dieser Not heraus offen gegenüber allen technischen Neuerungen war. Eine andere Innovation, die dem Generalpostdirektor von Stephan sehr am Herzen gelegen hatte, war das Telefon. „Jedem Bürger sein Telefon“, lautete seine Devise, und unter seiner Ägide wurde ab 1881 das Telefonnetz in Deutschland planmäßig ausgebaut. Die beiden Beamten und ihr Gehilfe auf der Briefmarke zu 80+35 Pfennig könnten also aus dieser Zeit stammen, auch wenn sie auf dem Motiv nicht ganz vorschriftsmäßig arbeiten. Schon damals wurde nämlich größter Wert auf die Sicherheit in luftigen Höhen gelegt. Mindestens ein Gurt mit Karabiner hätte dem Mann auf dem Mast zugestanden. Schön zu erkennen sind aber die alten Isolatoren aus Porzellan.

Die letzte Marke erinnert daran, dass manche vermeintliche Neuheit historisch gesehen auf breiten Schultern steht. Während heutzutage das Thema Elektromobilität ein viel diskutiertes aber kaum verwirklichtes Nischendasein führt, war der Einsatz akkubetriebener Fahrzeuge zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts in den Metropolen eine Selbstverständlichkeit – so auch bei der Post. Der abgebildete Paketzustellwagen der Hansa-Lloyd Werke aus dem Jahr 1928 war ein bereits fortgeschrittener Wagentyp. Philatelisten ist vielleicht noch die bundesdeutsche Europamarke von 2013 in Erinnerung, auf der ein Lloyd-Elektrowagen von 1911 abgebildet ist. Im Gegensatz zu jenem frühen Modell verfügte der moderne Zustellwagen über eine geschlossene Fahrerkabine, Scheinwerfer, Rückspiegel und eine fest installierte Leiter zum Besteigen der Dachablagefläche. Wegen der charakteristischen Geräusche der Übertragungskette des Hinterradantriebs wurden die Fahrzeuge der Firma Bergmann im Volksmund auch als „Suppentriesel“ bezeichnet. Erste Versuche mit Elektrofahrzeugen hatte die Reichspost bereits 1899 unternommen, doch bis in die 1920et-Jahre dominierten die alten Pferdwagen der Paketpost das Berliner Stadtbild. Dann war die Technik soweit ausgereift, dass die Umstellung innerhalb weniger Jahre vorgenommen werden konnte. Mit rund 60 Kilometern Reichweite wurde das Stadtgebiet ausreichend abgedeckt. Hinzu kam, dass die neuen Paketwagen eine maximale Zuladung von zwei Tonnen bewältigen konnten. Bis 1938 hatte die Reichspost ihren Elektro-Wagenpark auf über 2500 Fahrzeuge erweitert. Manche dieser äußerst robusten Gefährte taten bis in die 1960er-Jahre ihren Dienst. In Berlin kann man also auch mit einem Blick zurück in die Zukunft schauen.

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„Berlin bleibt doch Berlin“ – Eine philatelistische Reise in die Musikhauptstadt

„Solang noch Untern Linden die alten Bäume blühn, kann nichts uns überwinden, Berlin bleibt doch Berlin.“ Mit diesen Worten setzte der gebürtige Ostpreuße Walter Kollo seiner geliebten Wahlheimat ein klingendes Denkmal, das noch heute als die heimliche Hymne der Stadt gilt. Bereits in den harten Jahren des Ersten Weltkriegs hatte der Konservatoriums-Absolvent erkannt, dass die Menschen sich tief in ihren Herzen nach leichter Unterhaltung sehnten. Die um die Jahrhundertwende etablierte „Berliner Operette“ erfüllte diese Sehnsucht und wurde zu Kollos großer Leidenschaft. Musikalisch fußten ihre Wurzeln in Wien und Paris, doch gelang den Berliner Komponisten eine derartig erfolgreiche Verschmelzung der Operette mit dem Lokalkolorit, dass sie den Klang mehrerer Dekaden prägten. Wegweisend hatte sich der 1866 in Berlin geborene Paul Lincke um die Musikkultur verdient gemacht. Seine oft zackigen Lieder rissen das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin und wurden zu regelrechten Gassenhauern. Gleichzeitig schaffte es Lincke, auch in der europäischen Operetten-Hauptstadt Paris zu einer festen Größe zu werden. Als Erster Kapellmeister des legendären „Apollo-Theaters“ in der Friedrichstraße führte er am 2. Mai 1899 seine „Frau Luna“ auf, die sich über Jahrzehnte in den Programmen der Singspieltheater hielt und erfolgreich den Sprung in den Tonfilm schaffte. In den 20er-Jahren öffnete sich die „Berliner Operette“ Einflüssen aus Übersee, was dem Zeitgeist entsprach und dem Genre zu anhaltendem Erfolg verhalf, bis der kulturelle Zusammenbruch der nationalsozialistischen Machtergreifung den goldenen Jahren der weltoffenen Musikhauptstadt ein jähes Ende bereitete.

Diese bittere Erfahrung musste auch der österreichische Komponist Robert Stolz machen. Aus einer musikalischen Wiener Familie stammend, sollte Stolz für lange Jahre die musikalische Leitung des „Theaters an der Wien“ innehaben. Dort inszenierte er unter anderem die Uraufführung von Franz Lehárs „Die lustige Witwe“, bevor er Mitte der 20er-Jahre ebenfalls sein Glück in Berlin versuchte. Doch seine größten Erfolge feierte der „Meister der Wiener Operette“ in seiner Heimat, bis ihn der Anschluss Österreichs 1938 ins Exil zwang. Bereits 1933 hatte Stolz mit seinem Privatwagen politisch Verfolgte aus Deutschland herausgeschmuggelt. Ein Leben unter den Nationalsozialisten schien ihm unmöglich. Und so lehnte er alle Angebote des Regimes ab, die den erfolgreichen Musiker als Aushängeschild im Lande behalten wollten, und emigrierte schließlich nach New York, wo er mit ungebrochenem Erfolg weiterarbeitete. Zurück in Wien vermochte er ab 1946 an seinen Ruhm der Zwischenkriegszeit anzuknüpfen. Eine seiner Spezialitäten waren die sogenannten „Eis-Operetten“ der „Wiener Eisrevue“, die er bis zu deren Ende federführend prägte. Doch Berlin zog in seiner langen Geschichte nicht nur Vertreter der leichten Muse an. Einige der bedeutendsten Komponisten und Dirigenten fanden an der Spree ihre Wirkensstätte, andere ließen sich von der Stadt inspirieren. So begegnete Johann Sebastian Bach im Winter 1718/19 in Berlin dem musikbegeisterten Onkel des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., Christian Ludwig von Brandeburg-Schwedt. Dieser zeigte sich vom Können des Komponisten so begeistert, dass er ihn aufforderte, eigens für ihn Kompositionen zu schaffen. Dieser willigte ein und schenkte dem Kurfürstentum Brandenburg mit der Widmung von sechs seiner Konzerte einen festen Platz in der Musikgeschichte. Eine Sondermarke feierte entsprechend die Übersendung der „Brandenburgischen Konzerte“ von 1721 mit einer eigenen Ausgabe. Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel schaffte es sogar an den Hof Preußens, wo er gemeinsam mit dem Flötisten Johann Joachim Quantz wirkte. Das Gemälde „Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci“ von Adolph Menzel zeigt beide an der Seite des wohl mächtigsten Berliner Musikers aller Zeiten.

Ein Motiv Menzels ziert auch die Sondermarke zum 100. Jubiläum der Berliner Hochschule für Musik. Diese war 1869 gegründet worden und stellte eine der Vorläufereinrichtungen der Universität der Künste Berlin dar, der größten Kunsthochschule Europas und eine der ältesten weltweit. Rektor der neuen „Königlich Akademischen Hochschule für ausübende Tonkunst“ war niemand geringeres als Joseph Joachim, einer der einflussreichsten Musiker seiner Zeit. Joachim galt als musikalisches Wunderkind und wuchs mit Unterstützung von Felix Mendelssohn Bartholdys zu einem beeindruckenden Violinisten heran, meisterhaft von Menzel skizziert. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft hatte Joseph Joachim immer wieder mit antisemitischen Vorbehalten zu kämpfen, forciert von einflussreichen Wagner-Anhängern. Einer seiner größten Gegner war tragischerweise der Klaviervirtuose und Dirigent Hans von Bülow, der 1882 an der Gründung der Berliner Philharmoniker beteiligt war. Von Bülow galt als Revolutionär der Orchestermusik und formte aus dem Ensemble, das aus der populären „Meininger Hofkapelle“ entstanden war, ein hochprofessionelles Gesamtkunstwerk, welches er selbst mit eiserner Hand leitete. Bis heute wird zu Ehren des Stardirigenten die „Hans-von-Bülow-Medaille“ verliehen.

Ein weiterer Chefdirigent der Berliner Philharmoniker wurde 1986 zu seinem 100. Geburtstag mit einer Sondermarke geehrt: Wilhelm Furtwängler. Ihm war die schwere Aufgabe beschieden, das Orchester durch die Zeit des Dritten Reiches zu führen. Nachdem die Philharmoniker in den 20er-Jahren zu einem international renommierten Ensemble aufgestiegen waren, nahm das Regime ab 1933 massiven Einfluss auf dessen Arbeit. Furtwängler widersetzte sich, indem er Werke von Mendelssohn oder Hindemith aufführte. Mit der Veröffentlichung der Streitschrift „Der Fall Hindemith“ 1934, in der sich Furtwängler für den als „entartet“ eingestuften Komponisten einsetzte, eskalierte der Konflikt, und der Chefdirigent wurde offiziell seiner Ämter enthoben, leitete aber als Gastdirigent weiterhin sein Orchester. Dadurch hatte Furtwängler nach dem Krieg mit dem Ruf als „Regime-Musiker“ zu kämpfen, wurde jedoch öffentlichkeitswirksam von dem Meisterviolinisten Yehudi Menuhin unterstützt. Otto Klemperer, einer der prominentesten Kollegen Furtwänglers, wurde von den Nationalsozialisten geächtet. Klemperer ging 1933 ins Exil in die USA und setzte von dort aus seine Karriere erfolgreich fort, sodass er bis ins hohe Alter als Dirigent weltweit gefeiert wurde.

Doch besteht die Musik nicht nur aus großen Namen. Im Schatten der Meister wachsen stetig Generationen junger Musiker heran, die sich auf den Bühnen ihre ersten Lorbeeren zu verdienen suchen. Der Weg zum Berufsmusiker ist, gemeinsam mit anderen Künsten, sicherlich einer der härtesten. Unterstützung erhalten die Nachwuchskünstler dabei von Mentoren, Stiftungen oder auch von staatlicher Seite. Der Deutsche Musikrat hat dazu 1963 einen landesweiten Wettbewerb ins Leben gerufen, der die größten kleinen Talente sucht: „Jugend musiziert“. Mit mehr als 20.000 Teilnehmern pro Jahr erzielt diese Einrichtung eine große Breitenwirkung und kann auf zahlreiche heute prominente Teilnehmer aus über 50 Jahren zurückblicken.

Abschließend sei noch auf eine weitere Verknüpfung aus Musik und zukunftsorientiertem Handeln verwiesen. Der Berliner Musiker Ernst Rudorff war Zeit seines Lebens ein großer Naturfreund, der sich gegen die Zersiedelung der heimischen Landschaften gewehrt hatte. Auf ihn geht die Gründung der ältesten deutschen Naturschutzorganisation zurück, der „Bund Heimat und Umwelt in Deutschland“, seinerzeit noch „Bund Heimatschutz“ genannt. Heute vertritt der Bund die Interessen von rund einer halben Million Mitglieder. Musiker gibt es sehr viel mehr in Deutschland, und unter ihnen gilt Berlin nach wie vor als eine der wichtigsten Städte überhaupt.

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Zum Wohle der Menschheit – Berlin – Zentrum der medizinischen Forschung

Bekanntlich ist die deutsche Hauptstadt nicht nur kulturell, sondern auch in Wissenschaft und Forschung eine Metropole ersten Ranges. Mit der traditionsreichen Charité, die 2010 ihr 300-jähriges Bestehen feierte, besitzt Berlin sogar das größte Universitätsklinikum Europas. Der Klinikverbund gehört heute zu den wichtigsten Arbeitgebern der Stadt. Gleichzeitig kann die Spreemetropole stolz auf zahlreiche Nobelpreisträger verweisen, die in Berlin geforscht und gearbeitet haben.

Der wohl bekannteste Vertreter der medizinischen Forschung war Robert Koch, der 1866 zum Abschluss seines Studiums nach Berlin zog, wo er mit Rudolf Virchow einen der größten zeitgenössischen Mediziner zum Lehrer hatte. Nach zahlreichen weiteren Stationen in Deutschland erhielt Koch 1880 schließlich die Berufung an das Kaiserliche Gesundheitsamt in Berlin. 1885 folgten eine Professur am Hygienischen Institut der Berliner Universität und 1891 schließlich die Ernennung zum Direktor des Instituts für Infektionskrankheiten. Grundlage für diese außerordentliche Karriere war der ausgeprägte

Forscherdrang Kochs, der bereits in seinen jungen Jahren als Amts- und Militärarzt nebenbei private bakteriologische Forschungen durchgeführt hatte. Zwar ist seine Würdigung als „Entdecker des Milzbranderregers“ nicht korrekt, Kochs Arbeiten zu dem Thema überflügelten aber die bisherigen Ergebnisse seiner Kollegen, insbesondere durch die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Methodik. Die heute aus dem Schulunterricht bekannten Glasträgerplatten für mikroskopische Untersuchungen entwickelte Robert Koch zur besseren Analyse von Bakterienkulturen und gab damit den folgenden Generationen an Forschern ein wichtiges Werkzeug an die Hand. Der erste Brutschrank für Bakterienkulturen geht ebenfalls auf Koch zurück, der sich ein solches Gerät von einem Berliner Kunstschlosser nach Maß anfertigen ließ. Seine wohl bedeutendste Leistung bestand schließlich in der Entdeckung des Tuberkuloseerregers. Diese Erkrankung war im 19. Jahrhundert in Europa noch eine Volkskrankheit, der bis zu 30 Prozent der Bevölkerung zum Opfer fiel, insbesondere wenn die Lebensbedingungen durch Armut, Mangelernährung und hygienische Missstände geprägt waren. Die Isolierung und Beschreibung des Erregers „Mycobacterium tuberculosis“ 1882 und vor allen Dingen die Identifizierung der Atemluft als Übertragungsweg war eine Entdeckung von historischem Ausmaß. Kochs Versuch, ein wenig ausgereiftes und fahrlässig entwickeltes Gegenmittel namens „Tuberkulin“ auf den Markt zu bringen, schmälerte allerdings seinen Ruf nachhaltig. Fortan unternahm er zahlreiche Auslandsreisen, bei denen er sich der Untersuchung von Infektionskrankheiten wie Cholera, Malaria oder Typhus widmete. Auch hier blieben ihm nachhaltige Erfolge in der Bekämpfung verwehrt. Dennoch müssen seine Entdeckungen, wie etwa die Existenz äußerlich gesunder Überträger von Krankheiten, als wichtige Grundlagen für die heutige Tropenmedizin gewertet werden. Der Nobelpreis 1905 würdigte ihn zu Recht für sein Lebenswerk.

Ein prominenter Zeitgenosse Kochs arbeitete ebenfalls in Berlin an wissenschaftlicher Grundlagenforschung: Hermann von Helmholtz. Der war Physiker aus Leidenschaft. Als promovierter Mediziner an der Charité hatte er sich der Anatomie verschrieben, seine Veranlagung, über die Grenzen hinaus zu schauen, ließen ihn jedoch zu einem Universalgelehrten wachsen. Aus der Analyse von Gärung und Fäulnis gelang ihm die endgültige Ausformulierung des Energieerhaltungssatzes, eines der elementaren physikalischen Gesetze, an dem bereits zeitgenössische Kollegen gearbeitet hatten. Mithilfe mathematischer Berechnungen gelang ihm weiter die Entwicklung der Resonanztheorie des Hörens. Ebenso versuchte er sich in der mathematischen Analyse von Wetterphänomenen, sodass Helmholtz als Begründer der modernen Meteorologie gilt. Die von ihm entwickelte Helmholtzspule ist bis heute ein grundlegendes Werkzeug für magnetische Experimente und der Helmholtz-Resonator findet etwa in der Automobilindustrie immer noch Verwendung.

Eine weitere Entwicklung des Universalgenies Helmholtz sollte in einem anderen Fachgebiet der Medizin große Bedeutung erlangen: der Augenspiegel. Dieses auch als „Ophtalmoskop“ bezeichnete Gerät ermöglicht eine nicht-invasive Untersuchung des Augeninnenraums, also der Netzhaut und der im inneren liegenden Blutgefäße. Der Einsatz dieses Spiegels in der Augenheilkunde wurde seinerzeit vom Augenarzt Albrecht von Graefe zum Standard erhoben. Der gebürtige Berliner hatte nach Stationen in Prag, Wien, Paris und London 1852, im Alter von 24 Jahren, in seiner Heimatstadt eine private Augenklinik eröffnet. Hier festigte er seinen internationalen Ruf durch die erfolgreiche Behandlung des Grünen Stars und die praxisorientierte Forschung hinsichtlich der Augenchirurgie. Es heißt, Graefe habe über 10.000 Operationen persönlich durchgeführt. Auch die erste Fachzeitschrift der Augenheilkunde erschien auf seine Initiative hin. Hoch geehrt und als Leiter der Augenheilkunde der Charité verstarb Albrecht von Graefe jedoch 1870 mit nur 42 Jahren an der bereits erwähnten Massenerkrankung Tuberkulose, zwölf Jahre vor der Identifizierung des Erregers. Neben der Benennung verschiedener Fachbegriffe nach Graefe blieb der Arzt auch aufgrund seiner sozialen Haltung in Erinnerung. In seiner Klinik wurden die Patienten unabhängig von ihren finanziellen Mitteln mit modernsten Methoden behandelt. Eine solche Haltung legte auch der „Stadtphysikus von Spandau“, Ernst Ludwig Heim, an den Tag. Dieser als Original geschätzte Mediziner ist Quell zahlloser geflügelter Worte und Berliner Anekdoten, in denen der Herr Doktor seinen Patienten, ungeachtet ihres mitunter fürstlichen Ranges, unverblümt und wortwitzig unbequeme Wahrheiten verordnete. Nichtsdestotrotz erlangte Heim sogar die Ehrenbügerwürde Berlins – und eine Sondermarke natürlich.

Zwischen diesen hochgeschätzten Herren der Forschung scheint im Ausgabeprogramm der Berliner Postverwaltung, eher unscheinbar im Rahmen der Dauermarkenserie „Frauen der deutschen Geschichte“, neben der Musikerin Fanny Hensel eine Dame auf, die Großes vollbracht hat, dafür jedoch in der zeitgenössischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Heute wird Cécile Voigt zwar als bedeutende Hirnforscherin geehrt, im wilhelminischen Deutschland musste die promovierte Pariserin aber lange Zeit ehrenamtlich als Assistentin ihres Mannes, des Neurologen Oskar Vogt, arbeiten. Philatelisten wissen, dass erst 1913 in Deutschland ein Professorentitel an eine Frau vergeben wurde. Die so wissenschaftlich geadelte Rachel Hirsch erlitt allerdings dasselbe Schicksal wie Cécile Voigt: Ihr wurde ein ordentliches Gehalt für ihre Arbeit vorenthalten.

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Unter dem Funkturm – Berlin als Zentrum der Kommunikationstechnik

„Wissen ist Macht“, schrieb der englische Philosoph Francis Bacon im Jahre 1597, und er nahm damit die grundlegende gesellschaftliche Stimmung des heutigen Informationszeitalters treffend voraus. Das moderne Ausmaß der Datenübermittlung wäre dem Viscount of St. Albans freilich niemals in den Sinn gekommen. Doch in den folgenden vier Jahrhunderten brach sich der Nachrichtenverkehr in immer neuer Ausgestaltung die Bahn, angefangen bei den zunehmend effektiver arbeitenden Postanstalten der Länder. Mit der Entdeckung und Entwicklung neuer Techniken der Fernübertragung von Botschaften rückte im frühen 19. Jahrhundert schließlich auch Berlin in den Fokus der Wissenschaftsgeschichte. Bis heute nimmt die Hauptstadt der Bundesrepublik eine prominente Rolle in der Nachrichtentechnologie ein. Das bedeutendste Aushängeschild der Stadt ist die Internationale Funkausstellung IFA, eine der ältesten Industriemessen Deutschlands und eine der größten Fachmessen weltweit.

1983 gedachte die Deutsche Post Berlin einer Pioniertat der Kommunikation in Deutschland, der Telegrafenverbindung zwischen Berlin und Koblenz von 1833. Dieser optische Telegraf bestand aus 62 Stationen mit mechanischen Schwenkarmen, die gleich dem Winkeralphabet der Seeleute codierte Nachrichten übermittelten. Auf hohen Gebäuden oder Kirchtürmen installiert, waren diese Telegrafenposten mit Militärbeamten besetzt, die per Fernrohr zur jeweils benachbarten Station spähten. Die 587 Kilometer lange Strecke von der preußischen Hauptstadt bis an den Rhein konnte ein Signal theoretisch innerhalb von 15 Minuten zurücklegen. Aufgrund der Abhängigkeit von Tageslicht und günstiger Witterung dauerte die Übertragung von Botschaften aber oft wesentlich länger. Mit der Entwicklung der elektrischen Telegrafie wurde das alte System schließlich aufgegeben.

Bis zum Ende des Jahrhunderts entwickelte sich Berlin zum Zentrum für Elektrotechnik. Werner von Siemens hatte 1847 die „Telegraphen Bau-Anstalt von Siemens & Halske“ gegründet und bereits im Folgejahr den Auftrag für eine Telegraphenleitung von Berlin nach Frankfurt am Main erhalten. Dort tagte die Nationalversammlung, und die preußische Landesregierung wollte einen direkten Draht zu den politischen Ereignissen haben. In Berlin förderte Siemens auch den technischen Nachwuchs. Mit Adolf Slaby, der 1883 zum ersten ordentlichen Professor für Elektrotechnik ernannt wurde, wuchs in der Hauptstadt einer der wichtigsten Pioniere der Funkübertragung heran. Dem Italiener Marconi folgend, entwickelte Slaby diese Zukunftstechnologie weiter, und bereits 1897 wurde erfolgreich von Schöneberg nach Rangsdorf gefunkt. 1903 war Slaby bei der Gründung der Firma „System Telefunken“ beteiligt, einem Gemeinschaftsunternehmen von AEG und Siemens, das auf Betreiben Kaiser Wilhelms II. entstanden ist.

Bis Ende 1923 nahmen neun regionale Rundfunkanstalten ihren Dienst auf. Grund genug für einen schönen Berliner Sondermarkenblock von 1973 zum 150. Jubiläum. Und 1924 wurde in Berlin schließlich die erste „Große Deutsche Funkausstellung“ veranstaltet. Mit über 170.000 Besuchern war die Messe ein großer Erfolg. Fortan fand sie jährlich statt, 1926 mit der feierlichen Übergabe des Berliner Funkturms an die Stadt. Dieses Wahrzeichen zierte auch die Sondermarkenausgaben Berlins anlässlich der nationalen Funkausstellungen von 1963 und 1967. Erstere präsentierte übrigens die Einführung der Kompaktkassette, letztere das bundesdeutsche Farbfernsehen, wie das Markenbild zeigt. Angesichts der Bedeutung Berlins für das Rundfunk- und Nachrichtenwesen wundert es nicht, dass hier auch andere themenverwandte Veranstaltungen zu Gast waren. So tagte 1969 die IPTT in der geteilten Stadt. Die „Internationale des Personals der Post-, Telegraphen- und Telefonbetriebe“ war von 1911 bis 1997 eine weltweite Arbeitnehmervertretung der Branchen. Der Weltkongress fand entsprechend seine Würdigung auf vier Sondermarken.

Hatte die Funkausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg zuerst an wechselnden Orten stattgefunden, beispielsweise in Stuttgart oder Düsseldorf, wurde Berlin ab 1971 die endgültige Heimat der Technologieschau. Die IFA-Sondermarke dieses Jahres zeigte den Fernmeldeturm, der von Berlin-Schäferberg aus die Verbindung in den Westen gewährleistete. Für diese sogenannte „Überhorizont-Richtfunkverbindung“ wurden auch die auf der Briefmarke abgebildeten Parabolantennen benötigt. Die beiden Kolosse, 18 Meter im Durchmesser, stellten damals große Anforderungen an die Statik des Baus. 1977 griffen die Gestalter der Briefmarke zur IFA ein weiteres Jubiläum der Kommunikationsgeschichte auf: 100 Jahre Telefonverbindung in Deutschland. Dabei wurde 1977 tatsächlich auch der erste ernsthafte Konkurrent für das gute alte Telefon vorgestellt, nämlich der Videotext, der als Vorausahnung des Internets erste Kommunikation über den Bildschirm erlaubte. Auf Sondermarke fand diese neue Technologie aber erst 1979 ihre Würdigung. 1981 feierte die Sondermarke zur Funkausstellung einen Bau mit historischer Bedeutung. Das Haus des Rundfunks aus dem Jahre 1931 hatte während des Dritten Reichs als Zentrale des Großdeutschen Rundfunks gedient und war nach der Besetzung Berlins durch die Alliierten zum Zankapfel zwischen Ost und West geworden. Bis 1956 unterstand es der sowjetischen Militäradministration. Der Sendebetrieb war noch bis 1950 aufrechterhalten worden. Dann war die Haustechnik klammheimlich demontiert und in den Ostteil Berlins verbracht worden. Die letzten Sondermarken zur Internationalen Funkausstellung in Berlin widmeten sich bedeutenden Jubiläen der Rundfunkgeschichte und bilden einen schönen Rahmen für Thematiker. Das Jubiläum „100 Jahre Fernsehtechnik“ von 1983 erinnerte an den Erfinder Paul Nipkow, dessen Nipkow-Scheibe das Zerlegen von Bildern in sendefähige Bildpunkte praktisch ermöglichte. Diese Erfindung, angeblich im Lichte einer Petroleumlampe in seiner Studentenbude in Berlin-Mitte erfolgt, wurde zwar von neuen Entwicklungen der Fernsehtechnik abgelöst, in einigen speziellen Bereichen von Raumfahrt und Wissenschaft findet das Abtastverfahren aber immer noch Verwendung. Der Fernsehrundfunk feierte 1985 sein rundes 50. Jubiläum, ebenfalls auf einer Sondermarke festgehalten. Neben der ersten Fernsehkamera ist im Hintergrund ein alter Fernsehempfänger von Telefunken zu erkennen, der damals noch das Format eines Schranks hatte. Der Begriff „Fernsehrundfunk“ bezog sich sowohl auf die ersten Fernseher, die 1935 bei der Berliner Funkausstellung vorgestellt worden waren als auch auf die Aufnahme des Betriebs des „Fernsehsenders Paul Nipkow“. Der produzierte und sendete ab 22. März 1935 ein regelmäßiges Programm.

Die Sendeleistung beschränkte sich damals allerdings auf 60 bis 80 Kilometer Reichweite. „Paul Nipkow“ blieb also Regionalfernsehen für Berlin. 1987 zeigte die IFA-Sondermarke ein Grammophon und ehrte damit die Schallplatte zu ihrem 100. Geburtstag. Dieser Tonträger war natürlich aus dem Sendebetrieb der Radios nicht wegzudenken. Den Abschluss der Serie machte 1989 die Abbildung eines Satelliten neben Details von der Oberfläche einer Parabolantenne. Ob die Zukunft von Fernsehen und Rundfunk langfristig im All liegen wird, bleibt abzuwarten. Schon deshalb werden die Augen der Welt weiterhin alle zwei Jahre auf Berlin gerichtet sein, wenn die Internationale Funkausstellung die neuesten Errungenschaften der Technik präsentiert.

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Sie folgten dem Stern – Die Berliner Weihnachtsmarken

Heute sind sie nicht mehr wegzudenken aus den Ausgabeprogrammen der Postverwaltungen: die Weihnachtsmarken. Alle Jahre wieder stimmen sie die Postkunden weltweit mit festlichen Motiven auf das Weihnachtsfest ein. In der Bundesrepublik und Berlin knüpfte man ab 1969 an diesen Brauch an. Die Gestaltung reichte dabei von traditionellen Symbolen bis hin zu modernen Umsetzungen des Themas. Manchmal erregten die kleinen Kunstwerke auch kontroverse Diskussionen, die aber am Ende doch nur belegten, dass die Festtage vielen Menschen nach wie vor sehr am Herzen liegen. Aber deutsche Weihnachtsmarken tun darüber hinaus noch mehr. Denn traditionell handelt es sich um Wohlfahrtsmarken mit einem Zuschlag, der die soziale Arbeit der Wohlfahrtsverbände unterstützt.

Wohltätige Gaben brachten laut der Weihnachtsgeschichte auch die Heiligen Drei Könige, die von den Protestanten als „Weise aus dem Morgenland“ bezeichnet werden, da Martin Luther ihre Königlichkeit ablehnte. Ihre Herkunft ist unklar, aber der Legende nach folgten sie einem Stern, der ihnen den Weg zum neugeborenen König weisen sollte. Im Gepäck trugen sie Gold, Weihrauch und Myrrhe, gut zu erkennen auf der ersten Weihnachtsmarke von 1969, deren Motiv eine Zinnfigurengruppe aus dem 19. Jahrhundert darstellt. Der Weihnachtsstern von 1973 orientierte sich an dem gleichnamigen Christbaumschmuck, der an den Leitstern der drei Reisenden erinnert. 1978 mussten sich die Herren mit einem bescheidenen Platz auf dem Blockrand begnügen. Das komplette Bild ist aber in der Münchner Frauenkirche zu bewundern. Dort erfüllt es als Glasfenster den Raum mit buntem Glanz. In den folgenden Jahren avancierten die Heiligen Drei Könige zu einem der häufigsten Motive auf Berliner Weihnachtsmarken. Die Ausgabe von 1981 griff auf eine Hinterglasmalerei aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Diese stammt aus dem südlichen Tschechien und zeigt die Könige unter dem Stern von Bethlehem. Ein Jahr später hatten sie das Jesuskind endlich gefunden, wie die Briefmarke von 1982 belegt. Deren Darstellung geht zurück auf einen der großen Künstler der deutschen Gotik, Meister Bertram. Der Maler, Bildhauer und Holzschnitzer aus dem Westfälischen hatte sich bereits in jungen Jahren nach Hamburg begeben und führte dort eine erfolgreiche Werkstatt. Zahlreiche Gesellen führten die Vorarbeiten aus oder schufen einzelne Werke im Namen des Meisters, der gewissermaßen als Marke über dem ganzen Unternehmen stand. Seine vorliegende „Anbetung der Könige“ ist Teil des sogenannten „Grabower Altars“, des frühesten erhaltenen Flügelaltars Norddeutschlands. Seinen Namen – und auch seine heutige Existenz – verdankte der Altar einem Glücksfall der Kunstgeschichte. Ursprünglich für die Hamburger St.-Petri- Kirche angefertigt, wurde das Stück im 18. Jahrhundert in das mecklenburgische Grabow überführt. Dort hatte ein Brand die Kirche zerstört, und die Hamburger überließen den Unglücklichen ihren Altar. Das Schicksal belohnte diese gute Tat. Als 1842 die Hamburger Innenstadt vom verheerenden „Großen Brand“ in Schutt und Asche gelegt wurde, brannte auch die Petri-Kirche nieder. Ihr Altar aber überstand im Grabower Exil das Feuer. Heute steht er, zurück in seiner Heimatstadt, in der Hamburger Kunsthalle. 1983 griff man erneut das Thema der Anbetung der Könige auf, allerdings in gänzlich anderer Form. Die Weihnachtsmarke zeigt Krippenfiguren aus Westafrika.

Dort lebt das Volk der Yoruba, einer frühen Hochkultur, die heute auf Nigeria und Benin verteilt ist. Während unter den Yoruba einst von Missionaren der christliche Glauben verbreitet wurde, herrscht heute der Islam vor. Zahlreiche altafrikanische Religionen der Region erfreuen sich hingegen in Südamerika großer Anhängerschaften. Die bekanntesten sind Macumba, Santeria und Voodoo. Zwei Jahre später besann sich die Postverwaltung dann wieder auf die abendländische Malerei und hob auf die Marke von 1985 ein Werk des Renaissance-Malers Hans Baldung. Der Dreikönigsaltar hat heute seinen Platz im Berliner Bode-Museum. Ein weiteres Altarbild zeigte 1986 die Heiligen Drei Könige. Dieses stammte aus dem hessischen Ortenburg aus der Hand eines unbekannten Meisters der Spätgotik. Ein weiteres Detail der Königsgeschichte folgte 1987. Die Miniatur aus dem 13. Jahrhundert erzählt in der oberen Bildhälfte vom Treffen der drei Suchenden mit dem König Herodes, bevor sie schließlich im zweiten Bildfeld den Heiland anbeten. Die Reihe der Berliner Weihnachtsmarken schloss 1989 mit zwei Ausschnitten des „Englischen Grußes“ von Veit Stoß. Der hat freilich nichts mit England zu tun, sondern leitet sich ab von der Verkündigung Marias durch den Erzengel Gabriel. Neben dem göttlichen Boten wurden auch in dieser Ausgabe auf der Marke zu 60 + 30 Pfennig die Heiligen Drei Könige porträtiert.

Engel sind ebenfalls ein beliebtes Motiv auf den Berliner Weihnachtsmarken. Bereits die zweite Ausgabe 1970 zeigte die äußerst pittoreske Darstellung eines Engels, angelehnt an eine österreichische Krippenfigur. 1971 folgte ein weiterer Vertreter des Kunsthandwerks, nämlich ein gedrechselter Weihnachtsengel, wie er bis heute im Erzgebirge hergestellt wird. Die Engel verkündeten aber nicht nur der Heiligen Jungfrau die Geburt des

Messias, sie verbreiteten die Kunde des bevorstehenden Ereignisses auch unter den Hirten auf den Feldern. Der Block von 1976 zeigt eine solche Verkündigungsszene als Glasbild der Esslinger Frauenkirche. 1980 fielen den Hirten vor Schreck fast die Mützen vom Kopf, was aber vermutlich nur dem handwerklichen Können des Handschriftenmalers des Manuskripts aus Altomünster geschuldet war. Nicht minder dramatisch stellt sich die Szene im Evangeliar Heinrichs des Löwen dar. Die 1988 abgebildete Miniatur lässt gar Feuer vom Himmel regnen. Als dritte Motivgruppe darf natürlich die Heilige Familie nicht fehlen. Diese wurde erstmals 1972 auf einer Sondermarke abgebildet. Die moderne Grafik verwundert durch einen offenbar überraschten Josef mit einer Stalllaterne. Ebenfalls untypisch ist die Tatsache, dass dem Jesuskind der übliche Heiligenschein vorenthalten wurde. Das Kölner Glasfenster auf dem Block von 1977 stellt Christus korrekt mit Gloriole dar. Oft wurden nur Mutter und Kind mit Glorienschein abgebildet. Josef, der Ziehvater, hatte keinen Anteil an der heiligen Geburt. Die mittelalterliche Miniatur auf der Briefmarke von 1979 setzt dieses Schicksal treffend in Szene und zeigt ihn im Hintergrund beim Wasserschöpfen.

Von den Berliner Weihnachtsmarken zeigen drei Briefmarken keine Motive aus der Weihnachtsgeschichte. 1974 entschied man sich für einen festlichen Strauß, wie er zur Weihnachtszeit die Tafel ziert. Gänzlich aus der Reihe fällt aber das Blumenmotiv von 1975. Die abgebildete Schneeheide wächst in den Mittelgebirgen Mittel- und Südeuropas und blüht ab Januar. Ihre Verwendung als Weihnachtsmotiv erschließt sich lediglich aus dem Zusammenhang. Das Ausgabeprogramm von 1975 sah nämlich bereits im Oktober die Sondermarken-Ausgabe „Alpenblumen“ vor. Die Weihnachtsmarke ergänzte also diese Blumenmarken. 1984 hingegen gelang der Postverwaltung ein schöner Streich, indem sie ein Motiv wählte, welches eindeutig nichts mit der Weihnachtsgeschichte zu tun hat, dennoch aber unser heutiges Weihnachtsfest prägt: der Heilige Nikolaus. Der Bischof von Myra soll etliche Wunder vollbracht haben, aber er war auch für seine Großzügigkeit bekannt. Erst in der Neuzeit wurde er dann zur „Vorlage“ für den modernen Weihnachtsmann. Und der ist nun aus unserer Zeit ebenso wenig wegzudenken wie die reiche Bescherung der Kinder.

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Vitale Kreativität – Bildende Kunst in Berlin

„Kunst ist dazu da, den Staub des Alltags von der Seele zu waschen“, soll Pablo Picasso einmal gesagt haben. Und in der Tat zieht sich das Kunstschaffen der Menschen durch alle Zeiten und Kulturen. Viele überlieferte Werke lassen sich über ihren Auftraggeber erklären. Sie stellen die repräsentative Seite der Kreativität dar. Manchmal erschöpfen sie sich im Bombast, der keine größere Aussage birgt als den individuellen Reichtum. Doch wenn die Zeit das Werk aus seinem unmittelbaren Kontext befreit hat oder aber der Künstler aus bloßer innerer Neigung tätig war, dann bricht sich die Kunst selbst die Bahn und erfüllt jenen Wunsch nach purer Schönheit oder der kurzzeitigen Flucht aus dem täglichen Leben. Die Großstadt als Inbegriff der postindustriellen Zweckgemeinschaft hat diese Befreiung nötiger denn je. Und so wundert es nicht, dass Berlin eine der größten Ansammlungen antiker, klassischer und zeitgenössischer Kunst beherbergt. 1982 präsentierte eine Sondermarkenausgabe stolz „Moderne Gemälde aus Berliner Sammlungen“. Vertreten waren darauf Max Pechstein und Otto Mueller. Doch der künstlerische Reichtum der Spreemetropole ist natürlich weitaus größer. 1967 weckte eine Briefmarkenserie aus Berlin das Bewusstsein für die vielfältigen plastischen Kunstschätze der Metropole. Angefangen bei einer mittelalterlichen Figurengruppe, folgte die Ausgabe weiter den ersten bildhauerischen Blüten der Renaissance von Tilmann Riemenschneider und Conrad Meit. Andreas Schlüters und Anton Feuchtmeyers Arbeiten auf den Markenmotiven führten schlussendlich hin zu der wohl bekanntesten Frauengestalt Berlins: der Victoria auf der Quadriga des Brandenburger Tors. Johann Gottfried Schadow, der Schöpfer dieser Skulptur, gilt heute zusammen mit seinem Schüler Christian Daniel Rauch als Begründer der Berliner Bildhauerschule. Dieser nachträglich geschaffene Begriff umfasst die naturalistischen, klassizistischen und teils auch neobarocken Arbeiten von rund 400 Bildhauern aus dem 19. Jahrhundert. Dabei gliederten sich diese Generationen von Künstlern wiederum in ihre spezifischen Schulen und Leitbilder. Reinhold Begas etwa gab sich dem Zeitgeist hin und verließ die Pfade Schadows und Rauchs. Inspiriert von seinen Romreisen, schuf Begas monumentale Werke, die in der wilhelminischen Epoche auf große Begeisterung stießen. Philatelisten ist eines seiner Werke nur zu vertraut: das Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I., welches die 3-Mark-Briefmarke von 1900 ziert. Wilhelm II. liebte Begas Pathos und verhalf ihm zu zahlreichen Aufträgen und hohen Ehren als Mitglied der „Akademie der Künste Berlin“. Ihren Nachhall fand die Berliner Bildhauerschule in Künstlern wie Georg Kolbe. Der brach zwar bewusst mit der akademischen Tradition der Berliner Kunst und schloss sich 1905 der „Secession“ an, doch verlor er dabei nicht die Kraft der klassizistischen Grundhaltung seiner prominenten Vorgänger. Während der Erste Weltkrieg große Lücken in die Reihen der deutschen Künstler riss, vermochte Kolbe durch einen ausgedehnten Türkeiaufenthalt und seine Offenheit für die Stilrichtungen der Zwischenkriegszeit neue kreative Impulse in seiner Arbeit zu vereinen. Kolbes Anpassungsfähigkeit ließ ihn auch während der Zeit des Nationalsozialismus noch an öffentliche Aufträge gelangen, allerdings in einer steten Gratwanderung. Einige Werke wurden entfernt, andere überdauerten – aber der Künstler wurde in Frieden gelassen. Dieses Schicksal war seinem Kollegen und Secessions-Bruder Ernst Barlach nicht beschieden. Obwohl auch er 1934 Mitunterzeichner des „Aufrufs der Kulturschaffenden“ war und somit zu den systemtreuen Kreativen gezählt werden konnte, stieß sein Werk auf wenig Gegenliebe des Regimes. Über 400 der zwischen Expressionismus und Realismus rangierenden Arbeiten des Universalkünstlers wurden als „entartete Kunst“ eingezogen und zum Teil zerstört. Seine „Lesenden Mönche“ blieben aber erhalten und sind auf der Briefmarkenausgabe „150 Jahre Preußische Museen“ von 1980 neben einem mittelalterlichen Medaillon zu bewundern.

Kurz vor der Machtergreifung gelang es 1931 der ersten Frau als Bildhauerin in die Berliner Akademie der Künste aufgenommen zu werden. Renée Sintenis hatte bereits in den 1920er-Jahren erfolgreich in Paris und New York ausgestellt. Doch nur drei Jahre nach ihrer Aufnahme folgte der Ausschluss aus der Akademie wegen ihrer jüdischen Wurzeln. Sintenis entging aber dem Arbeitsverbot und überlebte das Dritte Reich weitgehend unbehelligt. Zu ihren bekanntesten Arbeiten gehören die „Berliner Bären“. Diese Bronzeplastiken wurden bundesweit in mehreren Versionen aufgestellt und werden bis heute als gleichnamige Auszeichnung der Internationalen Filmfestspiele in Berlin vergeben.

Ebenfalls ein Fall für Berliner Patrioten sind die Arbeiten von Johann Philipp Emanuel Gaertner, 1977 zu seinem 100. Todestag geehrt. Dass die Sondermarke sein Porträt zeigt, beweist tragischerweise, inwiefern das Werk dieses Künstlers zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten war. Denn Gaertners Bilder zählen zu den eindrucksvollsten und realistischsten Abbildungen des historischen Berliner Stadtbildes. Einem Bellotto ebenbürtig, fiel sein Schaffen aber in die Geburtsphase der Fotografie, und der Künstler starb verarmt und seinerzeit verkannt.

Finanzielle Sorgen waren Max Liebermann fremd. Seine Familie war wohlhabend. Doch fühlte sich bereits der junge Mann seinem Umfeld entfremdet, eine Erfahrung, die sein künstlerisches Schaffen begleiten sollte. Als herausragender Vertreter des deutschen Impressionismus fand er schließlich in der „Berliner Secession“ eine geistige Heimat. Hier traf er auf Lovis Corinth, der die Secession anfangs mit seinem Erfolg beflügelte. Später erwuchs zwischen den beiden jedoch eine innige Feindschaft, die in der Spaltung der Bewegung gipfelte. Liebermann bildete nun, zusammen mit den oben genannten Barlach und Kolbe sowie Max Beckmann, Käthe Kollwitz und weiteren bedeutenden Zeitgenossen die „Freie Secession“. Nach hohen Ehren im Alter zog er sich ab 1933 komplett ins Privatleben zurück. „Ich kann gar nicht soviel fressen, wie ich kotzen möchte“, lautete sein Kommentar zur Machtergreifung. Ein Liebermann-Bild zierte auch die Briefmarkenausgabe „Berliner Landschaften“ von 1972, zusammen mit Motiven von Walter Leistikow und Alexander von Riesen.

Auch den beiden auf Sondermarken geehrten Expressionisten Karl Christian Ludwig Hofer und Karl Schmidt-Rottluff sollten die Jahre von 1939 bis 1945 fast zum Verhängnis werden. Beide wurden der „Entarteten Kunst“ zugerechnet. Etliche von Schmidt-Rottluffs Bildern wurden von den Nationalsozialisten vernichtet. Hofer verlor bei einem Bombenangriff 1943 fast sein gesamtes Lebenswerk. Ausstellungsverbot erlitt auch die Dadaistin Hannah Höch. Während ihre Collagen zu den deutschen Grundlagenwerken jenes Stils gezählt werden, verleiht das Land Berlin bis heute den Hannah-Höch-Preis für herausragende künstlerische Lebenswerke. Arbeiten der Dada-Bewegung waren auch 1977 bei der „15. Europäischen Kunstausstellung“ in Berlin zu bewundern, an die eine Briefmarke aus diesem Jahr erinnert. Höchs Kollege Richard Huelsenbeck hatte indes weniger Respekt vor der Großstadt, und er bezeichnete Berlin als „Stadt der festangezogenen Bauchriemen, wo die versteckte Wut sich in maßlose Geldgier umsetzte“. Ersteres werden auch Berliner Politiker bis heute bestätigen, selbst wenn sie es nicht figürlich darzustellen vermögen. Mit „Geldgier“ kann man die Berliner Kunstszene jedoch nur in Einzelfällen charakterisieren. Sie folgt in der Masse dem Picassoschen Credo und kämpft unermüdlich gegen den Staub der Großstadt.

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Technik, Glauben, großes Geld – Berlin als Kongress- und Messestadt

Wo trifft sich die Welt? In Berlin natürlich. Obwohl der Standort in der Geschichte des deutschen Messewesens eher ein Spätzünder war, kann die Hauptstadt heute auf viel Erfahrung und eine weitläufige Infrastruktur für Messen und Kongresse zurückgreifen. Mit der Messe Berlin GmbH beheimatet sie sogar eine der umsatzstärksten Messegesellschaften weltweit. Traditionell fanden die größten Messen in den alten Handelsmetropolen Leipzig, Köln und Frankfurt am Main statt. Das blieb auch mit der Ablösung der Warenmessen durch das neue Konzept der Mustermesse noch so. Doch das Wachstum der kaiserlichen Hauptstadt im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert setzte natürlich auch wirtschaftlich neue Impulse. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich das deutsche Messewesen grundlegend neu gestalten, um den Schwierigkeiten der Teilung zu begegnen. Berlin ergriff die Chance und entwickelte sich bald zu einem wichtigen Treff- und Sammelpunkt für den wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, politischen und auch religiösen Austausch.Briefmarke mit Sicht auf das Messegelände

Der Bundesminister für Wirtschaft, Ludwig Erhard eröffnete am 15. September 1956 die „Deutsche Industrie-Ausstellung“. Die sich langsam vom Krieg erholende Berliner Industrie setzte große Hoffnungen auf diese Messe. Die Betriebe im Westteil der Stadt hatten ihre Umsätze von 1,66 Milliarden DM im Jahr 1950 auf 5,24 Milliarden DM in 1955 gesteigert. Nun peilte man eine Sechs vor dem Komma an. Die Stadt benötigte dringend Arbeitsplätze, und die entstanden vor allem durch eine wachsende Produktion. Für einen kleinen Eklat am Rande sorgte der Besuch einer sowjetischen Kommission. Während die Bundesregierung in Bonn solchen Annäherungen eher positiv gegenüberstand, regte sich in Westberlin Widerstand, der von der Presse mit polemisierenden Worten in Szene gesetzt wurde.

Sehr viel harmonischer gestaltete sich das Nebeneinander der beiden großen Konfessionen Deutschlands. Sowohl die katholischen als auch die evangelischen Kirchentage nahmen gern die Gastfreundschaft Berlins in Anspruch. Der seit 1848 regelmäßig stattfindende „Deutsche Katholikentag“ war 1952 erstmalig in Berlin abgehalten worden. Der Berliner Bischof Weskamm regte bei dieser Gelegenheit den Bau einer Gedenkkirche für die Märtyrer während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft an. Sechs Jahre später gab es ein Wiedersehen an der Spree, und der Vorschlag Weskamms erfuhr endlich die nötige Unterstützung. Die Kirche Regina Maria Martyrum wurde 1963 in Charlottenburg-Nord eingeweiht. Noch zwei Mal wurde seitdem der Katholikentag in Berlin gefeiert, 1980 und 1990, gefolgt vom ersten Ökumenischen Kirchentag 2003. Die Sondermarke von 1980 ehrte den langjährigen

Berliner Bischof Konrad Kardinal von Preysing zu seinem 100. Geburtstag. Preysing hatte sich von 1933 bis 1945 energisch gegen das Regime gewandt und immer wieder – im Ergebnis leider vergeblich – den Papst zum Eingreifen angemahnt. Sein Bekenntnis zu den Menschenrechten hielt er auch gegenüber der sowjetischen Besatzungsmacht aufrecht, doch der Kardinal verstarb von Krankheit geschwächt im Jahr 1950. Der „Deutsche Evangelische Kirchentag“ ist eine Initiative der evangelischen Laien und wird alle zwei Jahre als Großveranstaltung gefeiert. Konnte der Kirchentag 1951 noch unter dem Motto „Wir sind doch Brüder“ in ganz Groß-Berlin begangen werden, stand das Fest 1961, im Jahr des Mauerbaus, deutlich im Schatten dieser dramatischen Ereignisse. Die beiden Sondermarken setzten ein Zeichen, indem sie neben dem Jerusalemkreuz mit der Marienkirche und der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche jeweils ein Gotteshaus aus Ost und West abbildeten.

Berlin mit seinen zahlreichen Gärten und Parkanlagen war und ist aber auch der ideale Ort für Messen und Kongresse zu naturnahen Themen. Ganz wissenschaftlich geht es beim „Internationalen Botanischen Kongress“ zu, der in der Regel alle sechs Jahre die führenden Botaniker der Welt zusammenführt. 1987 geschah dies in Westberlin. Am bekanntesten aber ist sicherlich die „Internationale Grüne Woche Berlin“, die seit 1926 organisiert wird. Sie ist die weltweit bedeutendste Fachmesse für Ernährungswirtschaft, Landwirtschaft und Gartenbau. Zum 50. Bestehen der Grünen Woche war natürlich eine Sondermarke fällig. Die „Bundesgartenschau“ ist hingegen kein „Berliner Pflänzchen“, sondern eine Wanderausstellung. Bisher war sie 1985 das einzige Mal in der Stadt zu Besuch. Ein Wiedersehen ist für 2017 geplant. Beiden Veranstaltungen ist gemeinsam, dass ihre Konzepte mittlerweile zunehmender Kritik ausgesetzt sind. Für die Grüne Woche verlangen Umweltaktivisten eine Abkehr von der konventionellen Landwirtschaft und der Massentierhaltung. Der Gartenschau wird hingegen vorgeworfen, nicht mehr zeitgemäß zu sein, da ihre einstige Funktion, in den kriegszerstörten Städten Grünanlagen zu schaffen, heute nicht mehr besteht. Die begeisterten Besucher sehen das aber sicherlich anders. Ähnliche Fragen werden auch immer wieder im Rahmen der „Internationalen Bauausstellung“ diskutiert. Stadtplanung und Stadtentwicklung sind Themen, die in Berlin 1957 noch im Schatten der Kriegszerstörungen diskutiert wurden. Die IBA 1984, die strenggenommen von 1977 bis 1987 Baumaßnahmen bewirkte, hatte sich inhaltlich bereits vom Wiederaufbau entfernt. „Behutsame Stadterneuerung“ lautete das Motto und führte zu kontroversen Diskussionen über die korrekte Sanierung von Altbauvierteln.

Derartige Fragen sind nicht nur in den Metropolen stets aktuell, auch die Gemeinden und Regionen müssen sich über die Gestaltung des gemeinsamen Lebensraumes verständigen. Ein wichtiges Gremium dafür ist der „Rat der Gemeinden und Regionen Europas“, der die Verbände von Hunderttausenden Gebietskörperschaften vertritt. Der „16. Europatag der Gemeinden und Regionen“ fand 1986 in Berlin statt. Die Mitglieder aus zahlreichen teilnehmenden Nationen fanden in der grafischen Umsetzung der Sondermarke ihre Entsprechung.

Bei fast allen diesen Themen spielt das Geld eine entscheidende Rolle. Und während heutzutage in der bundesdeutschen Hauptstadt täglich hartnäckig um Budgets und ihre Finanzierung gestritten wird, muss auf zwei weitere wichtige Organisationen verwiesen werden, deren Versammlungen auf Berliner Sondermarken festgehalten wurden. Die wohl wichtigsten Instanzen in Finanzfragen sind der „Internationale Währungsfonds“ und seine Schwesterorganisation, der „Weltbank“, deren Initiativen gerade in Krisenzeiten über die fiskalische Stabilität ganzer Nationen entscheiden. Neben der Vergabe von Krediten bestehen die hauptsächlichen Ziele des IWF in der Förderung des Welthandels und der internationalen Zusammenarbeit in der Währungspolitik. Dass die Vorgehensweise dabei nicht immer einhellig geschätzt wird, wurde 1988 bei der Jahrestagung in Berlin nur allzu deutlich. Die Stadt befand sich im Ausnahmezustand. Die größte jemals auf deutschem Boden organisierte internationale Konferenz wurde von zahllosen Protesten begleitet, die von den extremen politischen Gruppierungen aus bis weit in die gesellschaftliche Mitte reichten. Während die demonstrierenden Taxifahrer standesgemäß mit Autokorsos ihren Unmut bekundeten, fielen andernorts gar Schüsse. In Bonn wurde der Wagen von Finanzstaatssekretär Hans Tietmeyer von einer Schrotladung durchsiebt, in Hamburg stürmten Autonome Podiumsdiskussionen und in Berlin wurden Brandanschläge auf zahlreiche Autos sowie einzelne Bankgebäude verübt. Weltbank-Präsident Barber Conable übte Selbstkritik, indem er die Verteilung des weltweiten Wohlstands als „moralischen Skandal“ anprangerte. Ansonsten arbeitete man aber hinter verschlossenen Türen weiter.

Verborgenes sichtbar zu machen, ist die Aufgabe der Rechnungskontrollbehörden. Finanzpolitische Vorgänge von Bund, Ländern und Gemeinden stehen dabei auf dem Prüfstand. Die internationale Vernetzung der Obersten Kontrollinstanzen kann dabei sehr hilfreich sein, wie beim Kongress 1989 in Berlin erfolgt. So zahlreich die Anlässe für Millionen Kongressteilnehmer und Messebesucher auch waren, so macht diese kleine Übersicht doch eines klar: Berlin ist immer eine Reise wert.

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Alle Wege führen nach Berlin – An dieser Stadt kommt niemand vorbei

„Vor Gott sind eigentlich alle Menschen Berliner“, soll der große Erzähler Theodor Fontane einmal geäußert haben. Vielleicht hat er ein bisschen übertrieben, aber es steckt schon ein Fünkchen Wahrheit darin. Betrachtet man die deutsche Geschichte, die deutsche Kunst oder natürlich die große Politik, so kann man zu dem Eindruck kommen, dass niemand an Berlin vorbeigekommen ist und dass auch jeder ein Stückchen Berlin im Herzen mit sich genommen hat.

Deutschlands, am 16. Februar 1961 mit einer Berliner Gedenkmarke geehrt, machte gleich zweimal Station in der Hauptstadt. Das erste Mal hatte er sich als Mitglied des Metallarbeiter-Verbandes langsam aber sicher vom Saarland aus über Frankfurt und Breslau nach oben gearbeitet und schließlich 1912 einen führenden Posten in Berlin bekommen. Nach dem Krieg zog es ihn wieder in den Westen, doch mit seiner Wahl in den Reichstag kehrte er 1928 erneut an die Spree zurück, wo er bis 1933 sein Amt ausübte. Zeitgleich mit Böcklers Ausscheiden aus der von den Nationalsozialisten gekaperten Reichspolitik verließ ein Abgeordneter der Deutschen Staatspartei den Reichstag, der viele Jahre später an Böcklers Grab eine Trauerrede halten sollte: der erste Bundespräsident Theodor Heuss. Sowohl Heuss als auch dessen Ehefrau Elly Heuss-Knapp, die Gründerin des am 30. November 1957 mit einer Sondermarke bedachten Müttergenesungswerks, hatten einige Semester in Berlin studiert. Beiden gemeinsam war auch die Wertschätzung für den Theologen und Politiker Friedrich

Naumann, der zeitweise Theodor Heuss´ Arbeitgeber war. Naumann zeichnete einmal eine Karikatur über Elly Heuss-Knapps besonderes Talent, neben der Hausarbeit an ihren Vorträgen zu arbeiten. Betrachtet man das Briefpapier genauer, entdeckt man im Briefkopf die zwei Worte: „Schöneberg-Berlin“. In Naumanns Wahlheimat Schöneberg, die er oft als seine „Insel“ bezeichnete, erhebt sich seit dem Zweiten Weltkrieg der „Insulaner“. Dieser kleine Berg entstand aus den zusammengetragenen Trümmern der umliegenden, zerbombten Stadtviertel. Rund um den Hügel erstrecken sich ein Naherholungsgebiet mit Minigolfanlage, das Planetarium, mehrere Rodelbahnen und ein Schwimmbad. Dieses trägt den Namen „Sommerbad am Insulaner“ und hieß im Jahre 1959 die Gäste des in Berlin tagenden Kommunalen Weltkongresses willkommen. Die Gäste aus aller Welt tummelten sich auf den Terrassen rund ums große Becken und genossen bei bestem Berliner Wetter das Buffet. Später besuchte man gemeinsam die Zonengrenze und sprach über die deutsche Teilung. Dieser Kongress war damals für die Stadt so wichtig, dass man ihm eine eigene Sondermarke widmete. Das Motiv vom 18. Juni 1959 zeigt das Brandenburger Tor vor der Erdkugel. Heute scheint Politik nur noch von den Mächtigen gemacht zu werden. Dabei wird oft übersehen, dass gerade der Austausch auf kommunaler und städtischer Ebene sehr viel mehr zur Völkerverständigung beiträgt als von der Öffentlichkeit abgeschirmte Elefantenrunden.

Die deutsche Teilung während des Kalten Krieges zerriss nicht nur Familienbande, sondern auch zahlreiche Unternehmen mussten sich vollkommen neu erfinden, um in ihrem jeweiligen Teilstaat zu bestehen. Eines der größten war die Deutsche Reichsbahn, einst ganzer Stolz der blühenden Industrienation mit einem der dichtesten Eisenbahnnetze Europas. Der Name „Deutsche Reichsbahn“ wurde bekanntlich vom Bahnbetrieb der DDR übernommen. Der Grund dafür lag in Berlin. Die Sowjetische Militäradministration hatte mit den drei alliierten Westmächten abgestimmt, dass der Betrieb der Westberliner Eisenbahneinrichtungen im Zuständigkeitsbereich der Reichsbahn blieb. Um diese Betriebsrechte nicht zu gefährden, wollte man den im Vertrag als Auftragsnehmer genannten Namen nicht ändern. Außerdem hoffte man, als Rechtsnachfolger Zugriff auf die Auslandsvermögen der alten Reichsbahn zu erlangen. Diese Hoffnung erfüllte sich allerdings nicht, und der Geldsegen blieb aus. Der Betrieb wurde weiter dadurch erschwert, dass die Sowjetunion zahlreiche Züge einziehen und Gleisanlagen als Reparationsleistungen demontieren ließ. Aufgrund des verstärkt in der DDR vorgenommenen Raubbaus an der Industrie wurden von der Reichsbahn etliche Dampflokomotiven noch sehr lange betrieben, 1965 machten sie rund 88 Prozent aller Loks aus. Auf den Jugendmarken vom 15. April 1975 sind zwei Dampfloks abgebildet, die Baureihe 89 und die Baureihe 50, die bis 1967 und 1970 bei der „Deutschen Reichsbahn“ im Einsatz waren. Aber auch im Westen nutzte man nach dem Krieg die vorhandenen Maschinen. Die rund 2000 geretteten Exemplare der 50er-Dampflok übernahmen in der Bundesrepublik für lange Zeit den Großteil des Güterverkehrs. Doch mit der Entwicklung der Baureihe 10 von 1957 rangierte man sich aufs Abstellgleis. Die rasche Elektrifizierung im Westen hatte die starke Schnellzugdampflok schon vor der Serienproduktion überflüssig gemacht, sodass die beiden gebauten Exemplare nach zehn Jahren treuer Dienste ausgemustert wurden.

Ähnlich nostalgische Gefühle wie eine schnaufende Dampflok verbreiten Zirkuszelte. Ältere Jahrgänge erinnern sich noch gut daran, wie es war, wenn sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitete: „Der Zirkus ist in der Stadt!“ Kinder und Jugendliche kamen zu Fuß oder auf ihren Fahrrädern und beobachteten die Tierpfleger beim Entladen der Käfigwagen, und wenn sich von zahllosen Armen gezogen langsam das mächtige Zeltdach erhob, fieberten alle der ersten Aufführung entgegen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Tiger, wie auf den Berliner Briefmarken vom 20. April 1989 zu sehen, sind in den meisten Ländern längst nicht mehr erlaubt. Exotische Tiere genießen mittlerweile sehr viel strengeren Schutz, und so traurig es für manchen Zirkusenthusiasten sein mag, kann man diese Regelung kaum kritisieren. Das Gewerbe selbst hat sicherlich darunter gelitten, wie auch unter dem Zeitgeist im Allgemeinen. Der Zirkus kann sich gegen die zahlreichen neuen Unterhaltungsangebote kaum behaupten. Aber nach Berlin kommt er immer noch, denn „Berlin ist“, so der Zirkusdirektor Bernhard Paul, „die deutsche Zirkushauptstadt“. Er muss es wissen. Seit 1976 leitete er den berühmten Zirkus Roncalli.

Nach wie vor schwärmt er von den großen Zeiten, als an der Spree die Namen Renz, Busch oder Schumann Garant für ausverkaufte Vorführungen waren und zuweilen sogar ein Mitglied der kaiserlichen Familie zu Besuch war. Dass am 10. November 1918 die Arbeiter- und Soldatenräte ausgerechnet im Berliner Zirkus Busch die revolutionäre Übergangsregierung bestätigten und damit das Ende des Kaiserreichs beschlossen, mag wie Ironie der Geschichte aussehen. Doch die Geschichte macht keine Fehler, sondern wir Menschen. So unterlief auch den Verantwortlichen für die hübsche Droschken-Briefmarke vom 12. Januar 1990 die eine oder andere kleine Ungenauigkeit. Das Jubiläum „250 Jahre öffentlicher Personenverkehr“ müsste strenggenommen auf das Jahr 1740 hinweisen. Tatsächlich aber ordnete Friedrich Wilhelm I. bereits 1739 die Bereitstellung von 15 öffentlichen Droschken an. Außerdem existierte schon 1688 ein öffentlicher Sänftendienst, bestehend aus 18 „Portechaisen“, betrieben von hugenottischen Exilanten. Betrachtet man nun noch das Gebäude am rechten Markenrand, fällt die bestechende Ähnlichkeit mit der Neuen Wache Unter den Linden auf – gebaut von 1816 bis 1818. Doch bekanntlich ist der Fehler auf einer Briefmarke wie das Salz in der Suppe. Er erzählt spannende Geschichten und ist zuweilen Gold wert, wie mancher Plattenfehler bewiesen hat.

Berlin ist und bleibt auf jeden Fall auch die Hauptstadt der deutschen Briefmarken, wie die Ausgabe vom 20. Oktober 1972 in Erinnerung ruft. Denn die Bundesdruckerei steht bekanntlich in Berlin – wo auch sonst?

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Zeitgeschichtliche Fundgrube – Die „Berliner Stadtbilder“ im Blick

Es war bekanntlich lange Zeit üblich, für Berlin und die westlichen Bundesländer motivgleiche Freimarken auszugeben. Diese verbindende Ausgabepolitik galt jedoch nicht von Anfang an, sodass die frühen Berliner Freimarken noch von einem besonderen Lokalkolorit geprägt waren. Die letzte eigenständige Dauermarkenserie Berlins ist eine wahre Fundgrube für alle Berlin-Freunde. Auf 15 ausgesuchten Motiven wird ein breites Panorama Berliner Sehenswürdigkeiten oder stadtgeschichtlich relevanter Bauten präsentiert. Aus der Zeit heraus erklärt sich, dass bei der Gestaltung auch moderne Zweckbauten berücksichtigt wurden – sie waren Beweise der Leistungsfähigkeit und des Fortschritts. Die Freimarkenserie besteht aus vier Teilen. Die erste Ausgabe vom 1. März 1956, die dritte vom 14. Februar 1959 und die vierte vom 1. März 1963 mit jeweils einer Freimarke waren bereits in Kapitel 4 dieser Sammlung über den Wiederaufbau der zerstörten Stadt enthalten. Sie zeigen den Funkturm zu 7 Pfennig, das Rathaus Neukölln in einer neuen Farbe sowie das Brandenburger Tor in Violettpurpur, aber im Wert von 3 Pfennig.

Die vorliegenden Werte der zweiten Ausgabe erschienen zwischen dem 22. Juni 1956 und dem 26. April 1958. Lediglich die Freimarke zu einem Pfennig mit dem Brandenburger Tor wurde am 8. März 1962 noch einmal aufgelegt. Daher ist sie die einzige der Marken, die auch auf fluoreszierendem Papier existiert. Eine weitere Besonderheit weist sie hinsichtlich Laufzeit und Vertrieb auf. Denn nur der 1-Pfennig-Wert wurde auch an den Postschaltern der Bundesrepublik verkauft. Die Postkunden in den westlichen Bundesländern konnten so ihre persönliche Verbundenheit mit der geteilten Stadt zum Ausdruck bringen, indem sie neben die reguläre Frankatur noch einmal das Brandenburger Tor platzierten. Diese Möglichkeit bestand bis zum Ende des Jahres 1970. Dann wurde der Kleinstwert als letzte Freimarke der Serie aus dem Verkehr genommen. Alle anderen Werte hatten bereits zum 31. Dezember 1964 ihre Gültigkeit verloren. Viele der abgebildeten Bauten wurden bereits in vergangenen Lieferungen vorgestellt, wie etwa das Luftbrückendenkmal in Tempelhof, das Schloss Pfaueninsel oder die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Letztere ist auf den Freimarken „Berliner Stadtbilder“ natürlich noch im zerstörten Zustand ohne die späteren Neubauten zu sehen. Bei Erscheinen des 10-Pfennig-Werts am 10. Juli 1957 hatte der Architekt Egon Eiermann gerade erst den Architekturwettbewerb gewonnen. Andere Motive finden in den Stadtbildern ihre perfekte Ergänzung. So bildete beispielsweise der dritte Teil der „Berlin Ansichten“ von 1980 den Fliegeberg Otto Lilienthals in Berlin Lichterfelde ab, der 1932 um die auffällige runde Säulenhalle erweitert worden war. Das unmittelbar in der Nähe stehende Denkmal zu Ehren des Flugpioniers nahe der Bäkestraße auf dem vorliegenden Wert zu 25 Pfennig stammte bereits aus dem Jahre 1914. Es zeigt einen Menschen mit Vogelflügeln. Auf dem Sockel, im Bildausschnitt der Freimarke nicht zu erkennen, befand sich zum Zeitpunkt der Markenausgabe noch eine Plakette. Diese ist im Zuge der letzten Sanierung von 2012 durch eine Porträtbüste Lilienthals ersetzt worden.

Ein spannendes Kapitel der Berliner Geschichte berührt der auf den ersten Blick unscheinbare Wert zu 50 Pfennig. Er zeigt das Kraftwerk Reuter an der Spree. Zusammen mit dem Schwesterbau Klingenberg gehörte es zum Energieversorgungskonzept der 1920er-Jahre, das jeweils ein Kraftwerk für den Osten und den Westteil Berlins vorsah. Klingenberg lieferte ab Winter 1926 Strom für die Stadt. Von 1930 bis 1933 ging auch das Kraftwerk Reuter stufenweise ans Netz und war während der Kriegsjahre unter anderem für die Versorgung der Rüstungsbetriebe zuständig. Doch am 26. April 1945 erfolgte die Besetzung des Geländes durch sowjetische Truppen, die binnen Monatsfrist mit der Demontage begannen. Erst im Juli stoppte der Alliierte Kontrollrat diese Arbeiten im nunmehr britischen Sektor. Das Kraftwerk war aber bereits stark zerstört und konnte keinen Strom für die besetzte Stadt produzieren. 1948 begann endlich der Wiederaufbau, der jedoch aufgrund der politischen Spannungen und der Blockade Berlins sofort wieder zum Erliegen kam. In der Nacht zum 24. Juni gingen im eingeschlossenen Westteil die Lichter aus. Die Sowjets hatten die Stromleitungen unterbrochen. Daraufhin wurde das benötigte Baumaterial für die Wiederherstellung des Kraftwerks – knapp 1500 Tonnen – mit Flugzeugen der Luftbrücke nach Westberlin eingeflogen, eine für die damalige Zeit beeindruckende Leistung. Am 1. Dezember 1949 lieferte das Kraftwerk endlich wieder Strom. Seinen Namen erhielt es in Gedenken an den Oberbürgermeister Ernst Reuter, der während der Berlin-Blockade um Hilfe für seine Stadt gekämpft hatte. Reuter leitete zum Zeitpunkt der Wiederinbetriebnahme auch den Aufsichtsrat des städtischen Elektrizitätswerks „Bewag“.

Auf der Freimarke zu 70 Cent ist das Schiller-Theater abgebildet. Der ursprüngliche Bau hatte bereits am 1. Januar 1907 mit „Die Räuber“ seine Premiere gefeiert. Auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde in das Theater investiert, das seit 1938 unter der Leitung des Schauspielers Heinrich George arbeitete. 1943 fiel das Gebäude zwei schweren Bombenangriffen zum Opfer. Der Wiederaufbau konnte aber schon 1951 abgeschlossen werden, und das Schiller-Theater wurde nun von den „Staatlichen Schauspielbühnen Berlin“ betrieben. An der charakteristischen Foyer-Gestaltung mit der umlaufenden Glasschliffwand war der Künstler Ludwig Peter Kowalski beteiligt, der später auch die Rundfenster der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gestaltete.

Eine weitere Perle der Berliner Baukunst ist die „Schwangere Auster“, die Kongresshalle im Tiergarten. Lange Zeit galt sie als Symbol der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Die USA hatten die außergewöhnliche Konstruktion als Beitrag zur Interbau-Ausstellung errichten lassen. Die Halle wurde am 19. September 1957 fertiggestellt. Die Freimarken zur Interbau aus dem Frühjahr 1957 zeigten insofern nur ein Modell, die vorliegende 3-Mark-Freimarke vom 26. April 1958 hingegen das fertige Gebäude. Bauträger war die Benjamin-Franklin-Stiftung von Eleanor Dulles, der amerikanischen Beauftragten für Berlin. Lage und Ausführung des architektonischen Meisterwerks folgten dabei den Regeln des Kalten Krieges. Man wollte in unmittelbarer Sichtweite Ostberlins ein prächtiges Propagandagebäude errichten. Doch schon vor der Grundsteinlegung am 3. Oktober 1956 wurde über die Statik der gewagten Dachkonstruktion des Architekten Hugh Stubbins debattiert. Der ursprüngliche Plan schien zu gewagt, sodass man sich für eine Kombination aus zwei Dächern entschied, die miteinander verbunden waren. Nach heutiger Kenntnis lag aber in diesem Behelf der Grund für das spätere Unglück. Am 21. Mai 1980 stürzte der südliche Abschnitt des Dachs ein und begrub die Mitglieder einer Pressekonferenz unter sich. Vier Verletzte und ein Toter waren zu beklagen. Nach heftigen Diskussionen entschied sich die Stadt für einen Wiederaufbau des Gebäudes. Von 1984 bis 1987 dauerten die Arbeiten, dann konnte die Halle mit einer neuen und stabileren Dachkonstruktion pünktlich zur 750-Jahr-Feier wieder eröffnet werden. Dass die Kongresshalle durch den Umbau ein wenig anders aussieht als auf der Freimarke, macht natürlich den Reiz dieser Ausgabe aus, die umso mehr als zeitgeschichtliches Dokument der Berlin- Kollektion bewertet werden muss.

Das Schloss Charlottenburg unterstreicht dies auf eindringliche Weise. Die 1943 zerstörte Kuppel wurde zwar 1957 restauriert, und die Freimarke vom 30. Juli des Jahres zeigt auch keine Ruine. Doch hatte sich der Markengrafiker vermutlich an Vorkriegsabbildungen orientiert und nicht bedacht, dass das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten bereits 1952 auf dem Platz des Schlosses aufgestellt worden war. Es fehlt auf der 40-Pfennig-Briefmarke, erhielt dafür aber einen Platz auf dem 1-Mark-Wert.

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Ein Leben für die Musik – Berlin ehrt Wilhelm Furtwängler

Mit dem Tod Wilhelm Furtwänglers am 30. November 1954 verlor die deutsche Musikwelt einen ihrer großen Söhne. Der Ausnahmedirigent und erst spät als solcher anerkannte Komponist hatte tiefe Spuren hinterlassen. Trotz seiner umstrittenen Rolle im Kulturbetrieb des Dritten Reichs waren sich Freunde wie Kritiker einig darin, dass Furtwänglers Liebe zur Musik von unbeschreiblicher Intensität war. Sein Talent und seine künstlerische Vision veränderten die Maßstäbe der modernen Tonkunst, hoben die starren Gegensätze von Komposition und Interpretation auf und verliehen dem „Klangkörper Orchester“ eine neue kreative Tiefe. Für die Berliner Philharmoniker waren die Jahre unter der Leitung Furtwänglers prägend, und die internationale Bedeutung dieses Ensembles geht nicht zuletzt auf seine Person zurück. Selbstverständlich nahm die Stadt Berlin auch mit einer Sondermarke Abschied von ihrem Stardirigenten. Diese erschien am 17. September 1955 in einer Auflage von 1,5 Millionen Stück und zeigte den Meister, wie er hoch konzentriert seinen Taktstock schwingt.

Dabei war es nicht die Dirigentenlaufbahn, die den jungen Musiker gelockt hatte. Der am 25. Januar 1886 in Berlin-Schöneberg geborene Sohn einer wohlhabenden Akademikerfamilie wollte komponieren. Seine Leidenschaft für die Musik wurde schon in jungen Jahren gefördert. Wilhelm Furtwängler erhielt Privatstunden und wurde im Klavierspiel, der Harmonielehre und Tonsatz unterrichtet und zeigte bereits früh sein kreatives Talent. Die erste Sinfonie schrieb er mit gerade einmal 16 Jahren. Doch der berufliche Werdegang lenkte Furtwänglers Kreativität zunehmend fort von der Komposition und hin zur Leitung musikalischer Aufführungen: vom Repetitor zum Chorleiter, vom Kapellmeister zum Operndirektor – und schließlich zum Dirigenten. 1919 arbeitete er erfolgreich als Chefdirigent des Wiener Tonkünstler-Orchesters, folgte 1920 dem großen Richard Strauss nach und leite te fortan die Konzerte der Berliner Staatsoper. Nur ein Jahr später dirigierte er wieder in Wien – das damals neu gegründete „Wiener Sinfonieorchester“ ist heute auch als die „Wiener Symphoniker“ weltbekannt. Doch noch einmal lockte Berlin. Arthur Nikisch, der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, war verstorben. Dem gebürtigen Ungarn, der dieses Amt auf Lebenszeit verliehen bekommen hatte, war es in seiner mehr als ein Vierteljahrhundert andauernden Amtszeit gelungen, das Orchester von der Spree einem breiten europäischen Publikum bekannt zu machen. Unter seinem neuen Chefdirigenten Furtwängler erlangte das Berliner Philharmonische Orchester Weltgeltung. Zahlreiche Uraufführungen manifestierten seine musikalische Deutungshoheit.

Vor allen Dingen aber schmiedete Furtwängler das Orchester zu einem hochemotionalen Klangkörper, der sein Publikum mitzureißen und zuweilen geradezu in Ekstase zu versetzten vermochte. Der Komponist am Dirigentenstab verstand es meisterhaft, seinen eigenen Anspruch – die musikalische Neuschöpfung im Akt der Interpretation – auf seine Musiker zu übertragen. Durch seinen ganz eigenen Stil ermutigte er jeden einzelnen von ihnen, sich das vorgetragene Werk persönlich anzueignen. Im Zusammenspiel entfesselten die Philharmoniker dann eine Kreativität, die das Althergebrachte auf den Kopf stellte und vermeintlich bekannte Werke in vollkommen neuer Lesart offenbarte.

Doch die Freiheit der Kunst beruht immer auf der Freiheit der Gesellschaft, in der sie schaffend tätig wird. Anfang der 30er-Jahre zog der Malstrom des Totalitarismus bekanntlich auch das Unpolitische hinab in die bedrückende Enge ideologischer Dogmen. Gute und schlechte Kunst wurden nicht mehr am Maßstab des Talents gemessen, sondern einzig am willkürlichen Diktat des Regimes. Der Kunstmensch Furtwängler mochte sich diesen Regeln nicht fügen und erschien der Nachwelt dennoch als klassischer Vertreter des Kulturopportunismus, der sich an das System verkauft hatte. Dabei setzte er anfangs einige mutige Zeichen, indem er sich dem Geist der Diktatur starrsinnig widersetzte. Aufgrund seiner Prominenz glaubte er, sich damit behaupten zu können. Das Regime hatte durchaus Interesse an einer Zusammenarbeit mit ihm. Furtwängler sollte ein gelenktes Aushängeschild deutscher Kultur werden. Als Staatsoperndirektor, Leiter der Philharmoniker und Vizepräsident der Reichsmusikkammer besaß er auch tatsächlich einigen Einfluss. Zuerst stellte er sich schützend vor sein Orchester und verbat sich Anfeindungen der jüdischstämmigen Mitglieder. Es ist auch belegt, dass er einigen von ihnen später zur Flucht verholfen hat. Nach antisemitischen Protesten in Mannheim verkündete er kurzerhand den Boykott dieser Stadt. Mit dem Propagandaminister Joseph Goebbels lieferte sich Furtwängler ein öffentliches Wortgefecht im Berliner Tageblatt, in dem er die Kunst als ein höheres Gut verteidigte. Mit Aufführungen von Werken Mendelssohns oder Hindemiths verstieß er bewusst gegen die Vorgaben aus Berlin. Im Falle Paul Hindemiths, den die deutsche Propaganda als „atonalen Geräuschemacher“ verunglimpfte, griff Furtwängler 1934 erneut zur Feder und provozierte mit einem Aufsehen erregenden Zeitungsartikel einen Eklat. Die Antwort fiel entsprechend aus: Er könne zwischen Rücktritt oder Entlassung wählen – Furtwängler entschied sich für ersteres.

Doch bereits ein Jahr später stand Wilhelm Furtwängler wieder am Dirigentenpult. Allen offiziellen Ämtern enthoben, durfte er nach einer persönlichen Entschuldigung bei Goebbels wieder mit „seinen“ Philharmonikern arbeiten, allerdings mit dem Status eines Gastdirigenten. Unter den wachsamen Augen des Systems erhielt der unbequeme Künstler nach und nach wieder einige Freiheiten – und wurde im Gegenzug mit manchen öffentlichkeitswirksamen Aufträgen bedacht. So dirigierte er mehrfach bei Reichsparteitagen und wurde dreimal mit der Position des Hauptdirigenten bei den Bayreuther Festspielen betraut. Furtwänglers Entscheidung, in diesem Rahmen zu kooperieren, ist ihm nach dem Krieg von vielen Seiten vorgeworfen worden. In den USA drohten 1949 die großen Meister Horowitz und Rubinstein mit Boykott, sollte der „Nazi-Kapellmeister“ Furtwängler zu einem Gastspiel eingeladen werden. Der hatte bereits unmittelbar nach Kriegsende von den Alliierten Berufsverbot erhalten. Zwei Jahre lang wehrte er sich gegen die Vorwürfe der Kollaboration und Propaganda für die Nationalsozialisten. Der offiziell auf der „Gottbegnadetenliste“ Hitlers geführte Dirigent wurde nicht müde, die Widersprüchlichkeit seiner persönlichen Situation damals darzulegen. Seine Entscheidung, in Deutschland zu bleiben, sei eine Entscheidung für die deutsche Kunst gewesen, die er durch sein Ausharren aufrecht zu erhalten versucht habe. Dabei spielte sein Orchester sicherlich eine wichtige Rolle. Jüngst untersuchte Dokumente aus dieser Zeit scheinen zumindest das permanente Katz- und Maus-Spiel zwischen dem unwilligen „Reichs-Dirigenten“ und dem System zu belegen. So wurde Furtwängler beispielsweise ein Foto zur Last gelegt, auf dem er sich nach einem Konzert vor der Riege der NS-Größen verneigte. Seine Verbeugung aber, erläuterte er, sei in Wirklichkeit ein Akt des Widerstands gewesen, da er auf keinen Fall den Hitlergruß machen wollte. Tatsächlich konnte die Verweigerung des Grußes damals zu großen Problemen führen. 1947 erfolgte die Freisprechung, und Furtwängler trat noch im Mai des Jahres erstmalig wieder mit den Berliner Philharmonikern auf. Trotz öffentlicher Fürsprache einiger der von ihm gegen das Regime verteidigten „entarteten“ Künstler wie Yehudi Menuhin und Paul Hindemith lasteten die Anschuldigungen weiterhin auf Furtwängler. Erst 1952 erhielt er seinen Posten als Chefdirigent in Berlin zurück – jetzt auf Lebenszeit. Doch sein Leben währte nicht mehr lang. Die Berliner Philharmoniker starteten nach Furtwänglers Tod in eine neue Epoche, die sie 34 Jahre lang unter einem neuen Chefdirigenten wachsen ließ, der mittlerweile ebenfalls ein fester Bestandteil der Berliner Geschichte geworden ist: Herbert von Karajan.

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Tätigkeiten und Berufung – Berliner Jugendmarken helfen bei der Ausbildungssuche

Die Jugend ist etwas Wundervolles. Es ist eine Schande, dass man sie an Kinder vergeudet.“ Der irische Schriftsteller George Bernard Shaw brachte mit diesen Worten das gespaltene Verhältnis der Erwachsenenwelt gegenüber der Jugend auf den Punkt. Einerseits ist man sich einig, dass es den jungen Leuten sämtlich an Niveau, Reife und guten Manieren fehlt – eine Aussage, die bereits Sokrates vor 2500 Jahren getroffen hatte, andererseits schwingt in den Dichterworten der Neid mit: Neid auf die unbekümmerte Lebenskraft, Neid auf die Gesundheit und Neid auf den Entdeckergeist und die vermeintliche Schönheit der Jugendzeit. Ob die Jugend selbst ihre Situation als besonders schön empfindet, sei dahingestellt.

Orientierung zu finden, ist aber unwidersprochen eine der größten Herausforderungen der jungen Jahre. Galt der frühen Punk-Bewegung noch das Motto „Verschwende Deine Jugend!“ als Ideal, herrscht abseits der Subkultur bis heute bei jung und alt die Sorge, dass der Nachwuchs einen anständigen, also zukunftsweisenden Start ins Leben findet. Sinnvolle Freizeitaktivitäten anzubieten, ist das Gebot der Stunde und war es auch schon 1974. Die Berliner Jugendmarken vom 17. April des Jahres mit dem Titel „Elemente internationaler Jugendarbeit“ stellen eine Reihe empfohlener Beschäftigungen vor. Fotografie könnte ein Hobby sein oder aber der Sport. „Jugend musiziert“, der Titel des dritten Werts zu 40 + 20 Pfennig, ist mittlerweile wegen des gleichnamigen Nachwuchswettbewerbs allgemein geläufig. Letzterer feierte damals bereits seinen zehnten Geburtstag. Das Motiv des Höchstwerts dieser Zuschlagsmarken-Ausgabe gibt indes Rätsel auf. Es zeigt ein Mädchen in Krankenschwesterntracht beim Portionieren einer Flüssigkeit – vermutlich Medizin. Da Krankenpflege als Hobby sowohl hinsichtlich des Jugendschutzes als auch des Wohls der Patienten kaum tragbar ist, scheint hier eine Ausbildungsempfehlung gegeben zu werden, während sich die anderen drei Aktivitäten im Freizeitbereich ansiedeln lassen.

In den Jahren 1986 und 1987 griffen die Jugendmarken Berlins das Thema Berufswahl noch einmal auf und widmeten ihm zwei komplette Ausgaben. Der Grafiker Heinz Schillinger, dem Berlin-Sammler unter anderem durch seine schönen Wohlfahrtsmarken mit Blumen- und Wildpflanzenmotiven vertraut, wählte dafür einen sehr interessanten Ansatz. Er beleuchtete den geschichtlichen Hintergrund jedes Berufs und stellte auf den zweigeteilten Zuschlagsmarken jeweils eine historische Werkstattszene der aktuellen Berufsausübung gegenüber. Glaser, Schlosser, Schneider und Tischler präsentieren sich auf den Briefmarken vom 10. April 1986. Dabei fällt auf, dass insbesondere die ersten beiden Berufsbilder in der modernen Zeit beträchtliche Veränderungen erlebt haben, während es bei den zwei letzteren eher die Arbeitsmethoden sind, die sich gewandelt haben.

Die Ausgabe vom 9. April 1987 ist aus heutiger Sicht besonders interessant, da zwei der abgebildeten Handwerke knapp 30 Jahre später kaum noch öffentlich wahrgenommen werden. Das Kürschnerwesen, dargestellt auf dem Wert zu 70 + 35 Pfennig, wurde vom Zeitgeist in den Hintergrund gedrängt. Echter Pelz? Nein, so etwas trägt man nicht! Das ist ja Tierquälerei. Ob sich die Lebensqualität von Nutztieren generell derart unterscheidet, dass man den Pelzkragen verteufelt, aber die Lederschuhe wegen ihres natürlichen Materials lobt, ist vielleicht nur kulturell zu beantworten. Traditionell haben die Menschen ihre Jagdbeute stets in Gänze verwertet, was vernünftig und naturgemäß war. Der Pelz und das Fleisch kamen zusammen ins Haus, und jedes bereitete seine eigene Freude. Heute ist die Wirtschaft spezialisiert und produziert in Massen. Rücksicht auf Nachhaltigkeit und Schonung der Ressourcen, ob Tier oder Mensch, Produkt oder Arbeitskraft, kann leider nicht gewährt werden, es sei denn, der Kunde lehnt industriell gefertigte Güter ab. Dann kann der Kaninchenzüchter vielleicht neben dem Hasenbraten auch wieder eine handgefertigte Stola aus Hoppels Pelz anbieten, ohne dass dies besonders schändlich ist. Auch der Böttcher oder Küfer scheint aus der Zeit gefallen. Holzfässer werden auch tatsächlich noch in Handarbeit hergestellt, allerdings mithilfe moderner Maschinen. Sonderanfertigungen im gehobenen Preissegment erfordern aber nach wie vor die ganze Erfahrung des Handwerkers. Bei der Arbeitsagentur wird der Beruf unter der Nummer 4539 geführt und auch gleich auf den wichtigsten Kundenstamm verwiesen. Wie zu Zeiten der alten Römer sind es nämlich die Winzer, die Bedarf an qualitativ hochwertigen Fässern haben. Diese werden zum Teil über Jahrzehnte verwendet und danach mitunter weiterverkauft. Jede schottische Whiskey-Destille, die etwas auf sich hält, kann die Geschichte ihrer Holzfässer erzählen, in denen die feinen Tröpfchen über Jahre lagern und so Holzaromen und Farbnoten der Fässer annehmen. Ein rein maschinell zusammengesetzter Trog aus minderwertigem Holz wird solche hochprozentigen Abenteuer nie erleben. Maler und Lackierer, dargestellt auf der Zuschlagsmarke zu 80 + 40 Pfennig, und Steinmetze, wie auf dem Wert zu 60 + 30 Pfennig gezeigt, können heute dank technischen Fortschritts ohne größere Strapazen ihr Handwerk ausüben. Betrachtet man beide Ausgaben im Überblick, fällt auf, dass die Zuordnung der Berufe zu den Geschlechtern leider recht stereotyp ausgefallen ist: Die Frauen sitzen an den Nähmaschinen, alles andere erledigen die Männer. Interessanterweise weisen die zeitgleich erschienenen Partnerausgaben der Bundesrepublik eine halbwegs paritätische Aufteilung der Tätigkeiten auf. Neben der Friseurin sind hier immerhin noch eine Zahntechnikerin und eine Buchbinderin zu sehen.

Berufen, dass sie meist innerhalb der Familie, vom Vater auf den Sohn, vererbt wurden. Das lag daran, dass die Kleinen von Anfang an in einem vom spezifischen Handwerk geprägten Umfeld aufwuchsen und in dieses hineinwuchsen. Denn damals war es selbstverständlich, dass innerhalb der Familie alle mit anpackten. Was aber wird aus einem Pfarrerssohn, dessen Vater eine Leidenschaft für ausgestopfte Vögel hegt, und der in einem Haus mit 9000 toten Vögeln aufwächst? Er macht eine Maurerlehre und bricht anschließend sein Architekturstudium ab, um mit einem Vogelkundler auf Afrika-Expedition zu gehen. Alfred Brehm kehrte nach fünf Jahren an die Universität zurück, promovierte in Jena in den Naturwissenschaften und wurde zu Deutschlands berühmtesten Zoologen. Als erster Direktor des Zoologischen Gartens in Hamburg schuf er hier das erste Meerwasseraquarium auf deutschem Boden. Auch das Berliner Aquarium Unter den Linden ging auf Brehms Initiative zurück. Für die nachfolgenden Generationen ist er natürlich durch seine „Tierleben“ unsterblich geworden, die er neben zahlreichen anderen Facharbeiten in seinem nur 55 Jahre währenden Leben verfasste.

Der Berufswahl voran steht in der Regel die freudige Bereitschaft des Jugendlichen, sich zu betätigen. Ein kluger Kopf sagte einst: „Wenn das einzige Auswahlkriterium für den Beruf das Geld ist, entscheidet allein der Zufall, ob man zu einem Verbrecher wird oder nicht.“ Der Beruf als „Berufung“ mag heutzutage romantisch verklärt erscheinen, doch jeder gesunde Mensch fühlt sich eigentlich dazu berufen, tätig zu sein. Er muss nur lernen, diesem Drang zu folgen. Diese durchaus auch kindgerechte Haltung zu fördern, hatte sich der Reformpädagoge Adolph Diesterweg auf die Fahnen geschrieben. Kann das Kind sich gemäß seiner Veranlagungen entfalten, droht ihm keine Gefahr durch Passivität und die daraus folgenden Übel. Die Berliner Sondermarke vom 27. September 1990 gratulierte ihm zum 200. Geburtstag – und schloss damit das Sammelgebiet Berlin mit der Katalognummer 879 ab. Auch diese Sammlung nähert sich bald ihrem Ende. Einige Höhepunkte warten aber noch auf Sie. Und auf die Frage, was man nach Abschluss eines Sammelgebiets tun soll, bietet der Pädagoge Diesterweg die einzig richtige Antwort: tätig bleiben!

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„Schweinekraut“ und „Hab-mich-lieb“ –Berliner Wohlfahrtsmarken zeigen Wildblumen

„Bewahre deine Liebe zur Natur, denn das ist der richtige Weg zu immer besserem Kunstverständnis“, so sagte einst Vincent van Gogh. Diesem Motto treu verbunden, arbeitete auch der Briefmarken-Künstler Heinz Schillinger gern und viel in der Natur. Unter seinen Schülern galten die Lehr-Exkursionen des Professors in das fränkische Umland als willkommene Abwechslung, waren sie doch oft mit der Einkehr in eines seiner bevorzugten Wirtshäuser verbunden. Es ist also kein Wunder, dass neben den bereits präsentierten Blumenmotiven auch eine ganze Reihe Berliner Sondermarken zum Thema Wildpflanzen vom Naturfreund Schillinger entworfen wurden.

Am 15. Oktober 1975 erschienen vier Wohlfahrtsmarken zum Thema Alpenblumen. Eine der bekanntesten ist sicherlich der Enzian, von dem gleich zwei Arten vertreten sind: der Stengellose Enzian und der Gelbe Enzian. Letzterer ist der Hauptbestandteil des beliebten Enzianschnapses, der aus den bis zu einen Meter langen Wurzeln der Wildblume gebrannt wird. Die Bitterstoffe des Enzians gelten in der traditionellen Volksmedizin als Mittel zur Stärkung und gegen Fieber. Das leuchtende Blau des Stengellosen Enzians findet nichtsdestotrotz häufiger bildliche Verwendung, weil der Enzian nun einmal – getreu den Weisheiten der Volksmusik – blau blüht. Auch die Arnika ist für ihre Heilwirkung bekannt und wurde 2001 sogar zur Arzneipflanze des Jahres gewählt. Diese geschützte Blume gedeiht, wie die Enziane, in alpinen Höhenlagen und ist ebenfalls ein kleiner Überlebenskünstler. Das immergrüne Alpenveilchen ist mittlerweile eine beliebte Zierpflanze. Die Exemplare für die Fensterbank stammen jedoch nicht aus den Alpen, sondern sind Vertreter einer levantinischen Sorte. Trotz seiner wohlriechenden Blüten ist das Alpenveilchen für den Menschen hochgiftig. Für Schweine gilt dies nicht, wie einige volkstümliche Namen der Blume andeuten: Schweinsbrot, Swinskrut oder auch Saubrot. Zwei Jahre später, am 13. Oktober 1977, führte Heinz Schillinger die Postkunden hinaus auf die heimischen Wiesen. Wenn es dort um den Spaziergänger herum summt und brummt, bleibt der Blick unweigerlich an der vielfältigen Blütenpracht hängen, um die sich Wildbienen, Wespen und Fliegen tummeln. Auffällig ist die Margerite, die bis zu einem halben Meter hoch in dichten Stauden in der Sonne leuchtet. Dazwischen scheinen hellrosa Esparsetten auf. Auch diese Schmetterlingsblütler lieben es hell und warm. Einst galten sie als wertvolles Pferdefutter, heute werden sie nicht mehr kultiviert. Das Vergissmeinnicht hingegen ist aus den deutschen Gärten nicht mehr wegzudenken, so erfolgreich hat es sich mit seinen hellblauen Blüten in die Herzen der Menschen geleuchtet. Der Name belegt die symbolische Bedeutung, die diesem Blümchen innewohnt. Als Treuezeichen oder aber Mahnung an die Liebenden ist es bereits seit dem späten Mittelalter überliefert. Auch die Sumpfdotterblume ist vereinzelt im Garten zu finden, etwa am Rande eines Teiches. Wie der Name schon sagt, braucht diese Blume Feuchtigkeit und ist ideal an das Leben am Wasser angepasst. Schon ein kräftiger Regenguss sichert das Überleben, da die Blütenpollen über die in den Blüten aufgefangenen Wassertropfen zur Befruchtung der Narben gelangen. Am Bachufer kann man beobachten, wie die Samen auf der Wasseroberfläche treiben, bis sie andernorts einen neuen Platz finden. Durch die zunehmende Planierung der Ackerflächen findet die Sumpfdotterblume leider immer weniger geeignete Standorte.

Diese Thematik griff der Grafiker 1980 detaillierter auf und präsentierte auf den Wohlfahrtsmarken vom 9. Oktober Ackerwildkräuter, deren Bestand hierzulande gefährdet ist. Gerade die schönen Acker-Goldsterne und Sommer- Adonisröschen auf den Werten zu 50+25 und 60+30 Pfennig sind in weiten Teilen Deutschlands der modernen Landwirtschaft mit ihren Pflanzengiften zum Opfer gefallen. Beide sind nur noch selten in freier Natur zu finden. Lediglich in Österreich konnten sich vereinzelte Bestände des Acker-Goldsterns halten. Auch den Strahlen-Breitsame sucht man hier mittlerweile vergeblich. Nur in Thüringen und zwischen Main und Donau existieren Restbestände. Aus dem ostwürttembergischen Heidenheim ist die Legende überliefert, dass einst eine italienische Prinzessin einen Strauß Breitsame mit nach Schloss Hellenstein brachte. Als dieser verblüht war, landete er achtlos am Hang des Schlossberges, wo sich die Blume bald ausbreitete. Bis heute trägt sie regional den Namen „Heidenheimer Schlossblume“. Die Bewohner des Ortes pflegen die Bestände liebevoll und gewähren dem Wildkraut so Unterschlupf. Der Kleine Frauenspiegel aus der Familie der Glockenblumengewächse vermisst derartige Fürsorge. In Deutschland ist er nahezu ausgestorben. Da seine Population im Osten Europas jedoch nicht gefährdet ist, genießt er auch keinen besonderen Artenschutz. Ähnliche Umstände betreffen auch die Flora von Sumpfund Moorhabitaten, thematisiert auf den Wohlfahrtsmarken vom 8. Oktober 1981. Während diese Spezialistenpflanzen in stark besiedelten Kulturlandschaften verschwinden, gibt es außerhalb Europas oft großflächige Rückzugsräume. So ist der Schlangenwurz, auch Drachenwurz genannt, in Mitteleuropa unmittelbar vom Aussterben bedroht und steht unter strengem Schutz. In den Weiten Osteuropas und Nordamerikas finden diese Sumpfpflanzen jedoch ausreichende Lebensräume. Die Sibirische Schwertlilie auf der Sondermarke zu 90+45 Pfennig hat in den 35 Jahren seit Erscheinen der Berliner Sondermarken sogar ihre akute Gefährdung in Deutschland überwunden, auch wenn sie in freier Natur unter besonderem Schutz steht. Aufgrund ihrer Beliebtheit als Zierpflanze für Naturgärten kann man die Schwertlilie mittlerweile im Fachhandel erwerben. Im Gegensatz dazu ist das sogenannte Karlszepter auf künstliche Bestandssicherung angewiesen. Diese anspruchsvolle Moorpflanze ist in niederen Lagen vollständig ausgestorben und wird aktuell im Botanischen Garten von München-Nymphenburg in einer Erhaltungs-Zucht bewahrt. Auch die Sumpfgladiole gilt in Deutschland als stark gefährdet. Trotz europaweiter Anstrengungen ist es nicht gelungen, die fortschreitende Zerstörung ihres Lebensraumes aufzuhalten.

Das Jahr 1983 schließt den Kreis dieser Themenmappe. Die Wohlfahrtsmarken vom 13. Oktober bleiben zwar den floralen Motiven treu, die Grafiken stammen aber nun aus der Hand von Karin Blume, aus späteren Jahrgängen auch als Blume-Zander bekannt. Ausgerechnet bei dieser Ausgabe intervenierte anfangs der Kunstbeirat: Es fehlte ein Blütenstaubbeutel. Doch das waren Anfangsschwierigkeiten, und gemeinsam mit ihrem Ehemann, André Zander, zeichnet sie seither für zahlreiche Briefmarkenausgaben verantwortlich. 1983 kombinierte sie die Gefährdung der heimischen Pflanzenwelt mit dem eingangs behandelten Habitat: den Alpen.

Das Berghähnlein, auch unter dem Namen Narzissen-Windröschen bekannt, ist eine Hinterlassenschaft der Eiszeit in Europa. Entsprechend spezialisiert vermag sie nur in bestimmten Lagen zu gedeihen: kalkreich, kühl und gern von Sickerwasser durchzogen. Kalk benötigt auch die Alpenaurikel. Sie ist in geschützten Felsspalten noch in Höhen bis 2900 Metern zu entdecken. Heutzutage findet sie auch als Gartenpflanze Verwendung, was gerade in Bayern zu Verwechslungen führen kann. Dort bezeichnet man nämlich auch die Gartenprimel für gewöhnlich als „Aurikel“. Auf die Ostalpen und das Riesengebirge beschränken sich die Vorkommen der Zwerg-Primel, zu sehen auf der Sondermarke zu 80+40 Pfennig. Die Blume verabscheut kalkhaltige Böden, steigt dafür aber ab 1200 Metern Höhe bis in 3000 Meter auf. Ihren Spitznamen „Hab-mich-lieb“ besang einst der Dichter der deutschen Nationalhymne, Hoffmann von Fallersleben, mit seinem „Koppenblümchen“. Die Kleinblütige Akelei wird heute noch nach ihrem Entdecker, dem Arzt und Botaniker August Max Einsele, benannt. Ihre verbliebenen Vorkommen sind insbesondere durch Viehbewirtschaftung und Tourismusaufkommen bedroht.

1984 präsentierten Berliner Wohlfahrtsmarken mit ihrer Orchideen-Auswahl noch einmal Blumenmotive, dann rückte die Kunst in den Vordergrund.

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„Leistung. Fairplay. Miteinander“ – Berliner Zuschlagsmarken für die Sporthilfe

Sport ist gesund, Sport verbindet, Sport begeistert, und immer wieder können große Sportereignisse die ganze Nation bannen. Abgesehen davon sind der Leistungssport und seine mediale Verbreitung auch ein nicht zu vernachlässigender Wirtschaftsfaktor. Doch dazu braucht es Spitzensportler und Sporthelden, die das alles möglich machen und mit denen sich die Millionen Zuschauer identifizieren. Diese Helden tauchen natürlich keineswegs aus dem Nichts auf. Jahrelanges hartes Training, nicht selten auf Kosten von Privatleben und beruflicher Karriere, und eine nachhaltige Förderung dieser Talente sind nötig, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet die „Stiftung Deutsche Sporthilfe“. Diese gemeinnützige Stiftung wurde im Mai 1967 auf Initiative Willi Daumes in Berlin gegründet. Daume war in seiner Jugend selbst Leistungssportler und engagierte sich in der Nachkriegszeit für die strukturelle Wiederbelebung des Sports. Bereits 1949 wurde er zum Präsident des „Deutschen Handballbundes“ gewählt. Ein Jahr später übernahm er die Leitung des neu gegründeten „Deutschen Sportbundes“. Seine Berufung in das „Internationale Olympische Komitee“ 1956 verlieh ihm endgültig den Nimbus des allumfassenden Sportfunktionärs. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Willi Daume die Notwendigkeit bewusst war, aufstrebenden Sportlern mehr als nur vereinsmäßige Strukturen zu bieten. Daumes Zusammentreffen mit dem Unternehmer Josef Neckermann bildete den Startschuss für das neuartige Förderprojekt, das fortan erfolgreich private Spenden für den Sport einwarb. Mit Neckermann als erstem Vorsitzenden verfügte die junge Stiftung über hervorragende Kontakte in die Wirtschaft. Gleichzeitig war Neckermann einer der erfolgreichsten deutschen Dressurreiter, der etliche olympische Medaillen gewonnen hatte. Gemeinsam mit Willi Daume stellte er die Weichen für eine langjährige und substanzielle Förderung des Sports.

Das erklärte Ziel der „Stiftung Deutsche Sporthilfe“ ist es, den Spitzensportlern des Landes im Ausgleich für ihre herausragende Bedeutung Unterstützung zu bieten. Diese kann rein ideeller Natur sein, beratend, oder aber materiell in Form finanzieller Zuwendungen. Denn während die jugendlichen Nachwuchssportler oft vom Elternhaus unterstützt werden oder aber besondere Fördereinrichtungen, wie Sportschulen oder Kaderorganisationen, nutzen können, stellt der Weg vom Leistungs- in den Profisport für junge Erwachsene eine außerordentliche Herausforderung dar, die häufig von materieller Not geprägt ist. Wer nicht über die Bundeswehr oder angeschlossene Sportfördergruppen abgesichert ist, kommt oft kaum über die Runden. Laut Angaben der Sporthilfe verdienen die von ihnen geförderten Sportler im Durchschnitt unter 700 Euro im Monat. Indem die Stiftung rund 3.800 potenzielle Spitzensportler finanziell unterstützt, und dies kontinuierlich über viele Jahre, erhalten zahlreiche Sportler die Chance, ihrem Profitraum zu folgen. Die Zahlen sprechen für sich: 90 Prozent aller nationalen und internationalen deutschen Titelgewinne werden von stiftungsgeförderten Sportlern errungen.

Neben privaten Spenden und Ausschüttungen aus einer Wohlfahrtslotterie erhält die „Stiftung Deutsche Sporthilfe“ auch Gelder aus Sondermarken-Ausgaben, die mit Zuschlag verkauft werden. In der Summe beträgt das Einkommen aus Briefmarken zwar keine zehn Prozent der Gesamteinnahmen, die schönen Motivmarken werben aber in Millionenauflage für die gute Sache. In der Bundesrepublik erschienen bereits 1968 Zuschlagsmarken anlässlich der Olympischen Spiele in Mexiko. Die Berliner Sporthilfe- Marken starteten 1978, und bis 1990 wurden zwei oder drei Sondermarken pro Jahr veröffentlicht, insgesamt 29 Werte. Die ausgewählten Motive repräsentieren meist Sportarten, sind aber gelegentlich auch anlassbezogen. 1985 stand der Basketballkorb etwa für die Europameisterschaften der Herren, die zeitgleich in Stuttgart, Leverkusen und Karlsruhe abgehalten wurden. Die Tischtennis-Briefmarke feierte neben dieser wohl schnellsten Ballsportart der Welt auch das 60. Jubiläum des „Deutschen Tischtennis Bunds“ DTTB. 1988 war wiederum ein Olympiajahr, was sich auf den Markenmotiven niederschlug. Für die Olympischen Sommerspiele in Seoul gelangten der Tontaubenschütze und der Hammerwerfer auf den Marken zu 60+30 Pfennig und 120+55 Pfennig. Deutschland schaffte es in der südkoreanischen Hauptstadt immerhin auf den fünften Platz des Medaillenspiegels. Der bundesdeutsche Hammerwerfer Heinz Weis verfehlte aber eine Medaille um zwei Plätze. Im selben Jahr fanden im kanadischen Calgary auch die Winterspiele statt, in deren Verlauf die ostdeutsche Eisläuferin Katarina Witt noch einmal olympisches Gold gewann.

Die ersten beiden Sporthilfe-Marken Berlins von 1978 warben für den Radsport und das Fechten. In diesem Jahr wurde auch das erste Mal der Sporthilfe-Nachwuchspreis „Juniorsportler des Jahres“ vergeben. Er ging an den Ringer Martin Knosp, dem Junior-Europameister von Oulu, der bis 1985 noch zahlreiche weitere internationale Platzierungen erreichte. Ein Jahr später wurden der Staffellauf und das Bogenschießen als Markenmotive gewählt, 1980 gefolgt von Motiven zu Speerwerfen, Gewichtheben und Wasserball. Die modern anmutenden Grafiken der beiden Jahre entstammten der Feder des 2011 verstorbenen Hans Peter Hoch, einem renommierten Markengrafiker, der bis ins hohe Alter für die Deutsche Post arbeitete. 1981 wurde die grafische Umsetzung der Sporthilfemarken von Hochs Kollegen Gerd Aretz vorgenommen. Sie zeigten Bilder zur Gruppengymnastik der Frauen und dem Volkslauf. Letzterer erfreut sich nach wie vor in Berlin großer Beliebtheit. Die Initiative „Berlin läuft!“ schätzt ihre Teilnehmerzahl auf rund 30.000 Amateursportler pro Jahr. Gerd Aretz ist mit rund 150 umgesetzten Briefmarkenmotiven einer der fleißigsten deutschen Markengrafiker gewesen. Philatelisten ist sein „Präsidentenblock“ von 1982 natürlich ein Begriff. Aufmerksamkeit erregte auch die erfolgreiche Umsetzung eines Eilauftrages anlässlich des Todes von Johannes Rau. Aretz hatte 72 Stunden Zeit und erfüllte seine Aufgabe innerhalb dieser kurzen Zeitspanne.

Das Motto der „Stiftung Deutsche Sporthilfe“ – „Leistung. Fairplay. Miteinander“ – richtet den Blick auch auf die soziale und integrative Kraft des Sports. Bereits im Gründungsjahr hatte man beschlossen, nicht ausschließlich Spitzensportler zu fördern, sondern auch in der Talentförderung aktiv zu werden. Ab 1969 investierte die Stiftung auch in Sportinternate. Die Zuschlagsmarken von 1982 repräsentieren anschaulich diesen Brückenschlag, indem sie jeweils ein Motiv zum Leistungssport und eines zum Jugendsport abbilden. Volleyball war ursprünglich als bloße Freizeitbeschäftigung entwickelt worden. Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Leiter einer Filiale des amerikanischen „Vereins Christlicher Junger Männer“ YMCA die ersten Grundregeln für dieses Spiel festgelegt. Über US-Soldaten erreichte Volleyball im Ersten Weltkrieg Europa und wurde 1924 bei den Olympischen Spielen in Paris als Demonstrationssportart aufgenommen. Seit 1964 ist es eine reguläre olympische Disziplin. Dass mittlerweile sogar Beach-Volleyball olympisch ist, damit konnte der Markengrafiker 1982 freilich noch nicht rechnen.

Aber die Jugend wird erwachsen, und aus dem Nachwuchssportler wird vielleicht einmal ein Olympionike. Die Berliner Zuschlagsmarken zugunsten der „Stiftung Deutsche Sporthilfe“ haben dazu einen wertvollen Beitrag geleistet.

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Blütenträume – Philatelistische Naturerkundungen aus Berlin

Im antiken Griechenland, so geht die Sage, lebte einst ein Jüngling namens Orchis. Gezeugt von einem Satyrn und einer Nymphe, soll er ein anmutiges und lebensfrohes Kind der Natur gewesen sein, dem seine ungezügelte Leidenschaft schließlich zum Verhängnis wurde. Während einer Feier zu Ehren des Dionysos – im römischen Kulturkreis als Bacchanalien überliefert – soll sich der junge Mann gegenüber einer Priesterin ungebührlich benommen haben, worauf er durch den Zorn des Weingottes zu Tode kam. Einzig das Flehen seines Vaters linderte seine Strafe dahingehend, dass ihm die Fortexistenz als Blume gestattet wurde, nämlich als Orchidee. Diese in ihrer Vielfalt und Farbenpracht einzigartige Pflanzenfamilie hat seither die Phantasie der Menschen beflügelt. Mancherlei Eigenschaften wurden den Orchideen zugeschrieben, so etwa, dass der Verzehr der Wurzeln Müttern die Geburt eines Sohnes beschere. Ihren Namen erhielten sie tatsächlich wegen ihrer hodenähnlichen Wurzelknollen, was sich im deutschen Sprachraum im „Knabenkraut“ niederschlug. Doch liegt die Faszination der Orchideengewächse weniger in ihren mythologischen Wurzeln als vielmehr in der vielgestaltigen Spezialisierung, die es dieser Pflanze ermöglichte, in allen Klimazonen heimisch zu werden, mit Ausnahme der Wüsten und des ewigen Eises.

Die Postverwaltung Berlins wählte für ihre Wohlfahrtsausgabe vom 18. Oktober 1984 vier Orchideen aus, die auch in Europa wachsen. Das Kleine Zweiblatt etwa findet sich in Kiefern- und Fichtenwäldern, bevorzugt in Höhenlagen, von den Pyrenäen über die Alpen und Karpaten bis nach Griechenland. Es schätzt kalkarme Böden und steigt oft bis an die Waldgrenze auf. Die seltenere Fliegen-Ragwurz gedeiht hingegen nur auf kalkreichen Böden, sodass beide Bergbewohner selten in Nachbarschaft stehen. Ein Blick auf die Sondermarke erschließt dem Betrachter leicht die ausgefallene Namensgebung, auch wenn diese durch die Übersetzung des lateinischen Namens verfälscht wurde. Korrekt müsste es „Insekten- Ragwurz“ heißen. Die Blütenblätter sind typisch für sogenannte „Täuschblumen“. In diesem Fall simulieren sie die Form der weiblichen Grabwespe. Unterstützt durch ihre Fähigkeit, entsprechende Sexualhormone auszusenden, nutzen sie die paarungswilligen Wespenmännchen zur Übertragung ihrer Pollen. Außerhalb der Paarungszeiten der Wespen praktiziert die Fliegen-Ragwurz Selbstbestäubung. Auch die Sumpf-Stendelwurz, die vor allem in feuchten Lagen gedeiht, kann sich unabhängig von Bestäuberinsekten erhalten und bildet in den Wachstumsphasen fleißig Neutriebe aus ihren als „Rhizome“ bezeichneten Sprossachsen. Alle in Deutschland wachsenden Orchideen stehen unter besonderem Schutz. Von den vier abgebildeten Arten ist das Wanzen-Knabenkraut hierzulande akut vom Aussterben bedroht. Einzig in Bayern und am Ufer des Bodensees existieren Restbestände.

Ebenfalls zu den Orchideen zählt das Rote Waldvöglein der Sondermarkenausgabe vom 12. Oktober 1978. Der 2008 verstorbene Briefmarkengestalter Heinz Schillinger hatte es für die vier Wohlfahrtsmarken zum Thema „Waldblumen“ ausgewählt. Das Waldvöglein findet sich in trockenen und lichten Laubwäldern. Ob es tatsächlich rot oder aber blassrosa aufscheint, hängt vom Kalkgehalt des Bodens ab. Auch die Hohe Schlüsselblume sucht den Schutz des Waldes und erfreut dort die Spaziergänger ab März als farbenfroher Frühlingsbote. Vielleicht auch wegen ihrer Husten lindernden Wirkung wird sie mittlerweile als Zierpflanze geschätzt. Vor dem Einsatz der Vielblütigen Weißwurz zur Selbstmedikation sei hingegen gewarnt. Zwar verfügt auch diese Waldbewohnerin über schleimlösende Kräfte, da jedoch alle Pflanzenteile giftig sind, sollte die Extraktion der heilenden Stoffe dem Fachmann vorbehalten bleiben. Die vierte Waldblume zeigt den Kriechenden Günsel. Dieser Bodendecker leuchtet in herrlichem Blau. Bereits im Wörterbuch der Gebrüder Grimm wird seine Bedeutung als „Festmacher“ betont, denn seit alters her verschafft der Günsel Linderung bei Magen- und Darmleiden.

Auch im Folgejahr führten die Markengrafiken Schillingers den Betrachter in den Schatten des Waldes. Blätter, Blüten und Früchte zieren die Wohlfahrtsmarken vom 11. Oktober 1979, konkret Lärche, Haselnuss, Rosskastanie und Schlehe. Die Lärche ist in jeder Hinsicht ein besonderer Baum. Als einziger Nadelbaum Europas wirft sie zum Winter ihr Laub ab. Dies tut sie, ganz wie gewöhnliche Laubbäume, um der Austrocknung vorzubeugen. Daher kann die Lärche im Gegensatz zu Fichten und Tannen auf den typischen Wachsüberzug der Nadeln verzichten. Das Holz ist ausgesprochen schwer und hart und wird im Hausbau traditionell für tragende Konstruktionen verwendet. Und in noch einer Hinsicht sticht die Lärche aus den europäischen Nadelbäumen hervor: Sie wird uralt, nämlich bis zu 600 Jahre. Immerhin bis zu 300 Jahre alt kann die Rosskastanie werden. Diese oft imposanten Riesen wurden im 16. Jahrhundert von den Osmanen nach Europa gebracht. Die schätzten die vorteilhafte Wirkung der Kastaniensamen als Pferdefutter, deren Inhaltsstoffe die sensiblen Tiere gleichzeitig vor Hustenerkrankungen schützten. Da die Menschen in Mitteleuropa bis dahin nur die Edelkastanie kannten, also die essbare Marone, gaben sie dem neuen Gewächs den pferdebezogenen Namen, denn für Menschen waren dessen Früchte nicht genießbar. Das trifft auf die Früchte des Schlehdorns nur bedingt zu. Sowie der erste Frost die bitteren Gerbstoffe vermindert hat, können die vitaminreichen Schlehen für Säfte und Marmeladen verwendet werden. Kenner schwören hingegen auf Liköre. Die Gemeine Hasel ist bereits seit Vorzeiten in aller Munde. Denn mit rund 60 Prozent Ölgehalt ist die Haselnuss, also der Samen des Strauchs, schon immer ein begehrtes Nahrungsmittel gewesen. Der lateinische Name Corylus avellana bezieht sich auf die antike Stadt Abella, die bereits im Römischen Reich berühmt für ihre Nüsse war.

Abschließend sei auf die Berliner Wohlfahrtsmarken vom 14. Oktober 1976 verwiesen, die ebenfalls von Heinz Schillinger gestaltet wurden. Ihre Motive rücken typische Gartenblumen in den Fokus. So ist die Iris, auch Schwertlilie genannt, eine der beliebtesten Zierblumenarten in Deutschland. Pharmazeutisch spielt das Öl der Rhizome vor allem für die Parfümindustrie eine wichtige Rolle. Das Öl der Wurzelstöcke wird darüber hinaus als Aroma für Backwaren und alkoholische Getränke verwendet. Früher, so heißt es, wurde der Iris die Kraft des Abwehrzaubers zugesprochen, sofern man sie an den Mauern einer Burg pflanzte. Wichtiger aber dürfte im Mittelalter ihre Fähigkeit gewesen sein, Mund- und Schweißgeruch zu überdecken. Auch die Dahlie erfreut sich unter deutschen Gärtnern größter Beliebtheit. Dass aber ausgerechnet die in Bayern so beliebte Balkonpflanze ihren Siegeszug in Berlin angetreten hat, ist südlich des Mains vermutlich wenig bekannt. Alexander von Humboldt hatte sie aus Mittelamerika mitgebracht. Ein echter Ur-Europäer ist der Hohe Rittersporn, der gern als Staudengewächs eingesetzt wird. Bereits seit dem 16. Jahrhundert wird dieser Spross der Familie der Hahnenfußgewächse kultiviert. Seine Heimat sind subalpine Höhenlagen unter 2000 Metern. Schwindende Beliebtheit ist hingegen dem vierten Markenmotiv beschieden. Der Goldlack, einst viel verwendete Schnittblume, ist in den 40 Jahren seit der Sondermarkenausgabe weitgehend auf dem Rückzug, was möglicherweise auch der Tatsache geschuldet ist, dass seine einstige Funktion als Heilpflanze bei Hautproblemen und Unterleibsbeschwerden kaum noch genutzt wird. In freier Natur kann man den Goldlack allerdings noch europaweit finden – auch in Berlin. Dort wurde noch vor wenigen Jahren der Viktoria-Luise-Platz zum Tatort eines massenhaften Blumendiebstahls, als die städtischen Landschaftsgärtner mit der Entsorgung des Frühlingsblumenbestandes beauftragt wurden. Dank des Berliner Flurfunks fanden sich zahlreiche Anwohner ein und „retteten“ Stiefmütterchen und Goldlack für den heimischen Balkon. Sparsamkeit ist bekanntlich eine preußische Tugend.

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Großstadtrevier – Wildtiere auf Berliner Briefmarken

Als der renommierte Briefmarken-Grafiker Paul Froitzheim 1965 seine erste Jugendmarken-Serie gestaltete, war Berlin noch eine umzäunte Metropole. Die Berliner Mauer mit ihren Sicherheitszäunen und Selbstschussanlagen hielt nicht nur die Menschen voneinander fern. Auch den Wildtieren drohte tödliche Gefahr, wollten sie an der falschen Stelle wechseln. Doch mit dem Fall der innerdeutschen Grenze und dem Rückbau der Sicherungsanlagen entstanden zahlreiche Brachflächen, auf denen sich die Natur wieder ausbreiten konnte. Die Waldgebiete Berlins messen heute ganze 18.000 Hektar. Daher gilt Berlin auch als ein Paradies für Wildtiere jeglicher Art, oft sehr zum Missvergnügen der Anwohner. Wer jemals eine Rotte Wildschweine in seinem Gemüsegarten erlebt hat, wird das verstehen. Denn gerade die Schwarzkittel sind – und das gilt für ganz Deutschland – aktuell in einer wahren Bevölkerungsexplosion begriffen. Wurden in den Fünfzigern rund 50.000 Schweine jährlich zum Abschuss freigegeben, so haben sich die Zahlen mittlerweile verzehnfacht. In Berlin durchstreifen die klugen Säuger längst nicht nur die Parkanlagen und Grünflächen. Vielmehr suchen sie in den Wohnvierteln nach Nahrung. Dass durch die Wiedervereinigung aber viele Tiere zugewandert sein sollen, dementiert die Stadtverwaltung. Aber die neue Bewegungsfreiheit wirke sich positiv auf die Bestandsentwicklung aus. Das gehe soweit, dass die Bachen mit ihren Frischlingen zur Jagdsaison aus den Forsten in die Siedlungen auswichen, weil dort prinzipielles Jagdverbot herrscht.

Paul Froitzingers Jugendmarken von 1965 präsentierten „Jagdbares Federwild“. Grafisch lehnte er sich an die drei Vorgängerserien der Kollegen Blase, Schillinger und Heinsdorff an, die seit 1962 mit Schmetterlingen, heimischen Vögeln und Fischarten Zuschläge zum Wohle der Jugendarbeit eingeworben hatten. Während die Schnepfe und der Jagdfasan bis heute zum Abschuss freigegeben sind, gilt das Birkhuhn hierzulande als stark gefährdet. Auch die Auerhahnpopulation schwindet in Deutschland deutlich. Das liegt an der forstwirtschaftlichen Nutzung der Wälder. Die Auerhähne bevorzugen Waldmoore und alte, lichte Baumbestände mit einem reichhaltigen Unterholz aus Wildbeeren. Während in Osteuropa noch vitale Populationen existieren, ist der Anteil des dicht besiedelten Mitteleuropas am Gesamtbestand auf gerade einmal ein Prozent gesunken. Eine Besonderheit der Berliner Vogelfauna hatte Paul Froitzheim seinerzeit nicht erahnen können. Denn in der Spreemetropole gibt es einen der größten, wildlebenden Bestände von Mandarinenten außerhalb Asiens. Dieses farbenfrohe Ziergeflügel war während des Zweiten Weltkriegs aus dem Berliner Zoo entwichen und hat seither eine stabile Population von mehreren hundert Tieren entwickelt.

Auch Froitzheims zweite Jugendmarken-Ausgabe von 1966 drehte sich um Jagdwild. Die Bezeichnung „Hochwild“ hat nichts mit der Körpergröße oder den langen Beinen der Tiere zu tun. Es ist vielmehr ein historisch gewachsener Begriff, der auf die bevorzugten Speisen der hohen Herren von einst zurückgeht. Diese reglementierten die Bejagung derart, dass ihnen selbst das Privileg auf die Leckerbissen zustand, das einfache Volk hingegen mit dem „Niederwild“ vorlieb nehmen konnte, also mit Hasen, Dachsen, Enten oder aber den zahlreichen Berliner Wildschweinen. Auf den Marken sind das Reh, die Gämse, der Dam- sowie der Rothirsch zu sehen. Damhirsche sind keine heimischen Wildtiere Europas. Sie stammen vielmehr aus dem vorderasiatischen Raum und sind erst vor wenigen Jahrhunderten nach Europa eingeführt worden, wo sie die Menagerien und Jagdwälder des Adels bevölkerten. Der Rothirsch gilt hingegen als ureuropäischer „König des Waldes“. Mit seinen rund zwei Metern Körperlänge und einem Lebendgewicht von über 100 Kilogramm bietet er sowohl üppiges Wildbret für den Jäger als auch imposante Trophäen für die Wand. Froitzheims dritte Markenreihe im Jahre 1967 widmete sich den Pelztieren. Wildkaninchen, Hermelin, Feldhamster und Rotfuchs zieren die Bildseiten. Ersteres und letzterer führen in der deutschen Hauptstadt mittlerweile ein nahezu paradiesisches Leben. Einerseits haben sie sich trotz des lebensgefährlichen Straßenverkehrs erheblich vermehrt. Insbesondere die Füchse haben wie selbstverständlich auch ausgemachte Wohnviertel zu ihren Revieren erkoren. Andererseits haben die Abfälle der Großstadt tatsächlich eine Wildtierwelt ermöglicht, in der sich „Fuchs und Hase gute Nacht sagen“. Denn das Nahrungsangebot für Reinecke Fuchs ist dermaßen üppig, dass er sich kaum mehr auf die Kräfte zehrende Jagd macht. Die Langohren wissen das, und zeigen keine Panik, wenn sie einen roten Jäger bemerken. Der Hamster, wegen seines hochwertigen Pelzes einst im großen Stil gejagt, gilt in Deutschland mittlerweile als vom Aussterben bedroht. Dafür ist die industrielle Landwirtschaft verantwortlich. Aufgrund ihrer Gefährdung gelten die possierlichen Nager mittlerweile als Angstgegner aller Bauherren und Landschaftsentwickler. Denn wo der Feldhamster in freier Natur gesichtet wird, geht oft der Tierschutz vor. 1968 griffen die Berliner Jugendmarken schließlich das Thema auf, und Froitzinger bildete vier selten gewordene Tierarten ab: die Wildkatze, den Fischotter, den Europäischen Dachs und den Biber.

Alle vier Säugetiere sind in Mitteleuropa auf dem Rückzug. Aufgrund großer Bestände in anderen Teilen der Welt besteht aber insgesamt keine Gefahr des Aussterbens. Hinsichtlich des Fischotters kann man in Deutschland sogar von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Nachdem der flinke Schwimmer kurz vor der Ausrottung stand, ist es mittlerweile durch intensive Schutz- und Wiederansiedelungsmaßnahmen gelungen, die Population deutlich zu steigern.

Im Folgejahr standen die Jugendmarken Berlins im Zeichen des Pferdes. Der Grafiker Dieter Freiherr von Andrian-Werburg stellte 1969 das Pony, das Kaltblut, das Warmblut und das Vollblut vor. Diese Bezeichnungen haben nichts mit der Körpertemperatur zu tun, sie beziehen sich auf das Temperament. Während in der Vergangenheit Großstädte in der Regel auch große Pferdestädte waren, ist ihr Anblick in den Metropolen heute eher selten. Anstelle der Berliner Pferdestraßenbahn verkehrt allenfalls noch eine gelegentliche Polizeipferdestaffel. Weit über 90 Prozent der Pferdehalter Deutschlands nutzen ihre Tiere ausschließlich für den Sport oder das Freizeitvergnügen. Alle bisher genannten Sondermarken erschienen motivgleich auch in der Bundesrepublik. Nach zwei Jahren Pause wurde die Jugend erneut auf ein Tierthema gestoßen, welches auch in Berlin den langsamen Wandel des Zeitgeistes belegte. Denn der Nachwuchs wurde 1972 angehalten, Tiere nicht mutwillig zu quälen oder zu töten. Auch der seit Menschengedenken geübte Brauch, den heimischen Katzenwurf kurzerhand im Fluss zu ertränken, wird getadelt. Moderne Tierhalter sterilisieren ihre Lieblinge.

1973 wechselten die Jugendmarken erneut den Grafiker, jetzt zeichnete Holger Börnsen verantwortlich, aber auch das Format, was vielleicht den Motiven geschuldet war. Greifvögel gehören zu den faszinierendsten Jägern der Natur. Ihre besonderen Fähigkeiten und ihr majestätischer Anblick haben die Menschen seit jeher in den Bann geschlagen. Während Habicht und Sperber, auf den Werten zu 20 und 40 Pfennig, als nicht gefährdet gelten, stehen der Wanderfalke und der Steinadler unter besonderem Schutz. Während ersterer vor allem unter Umweltgiften leidet, ist der König der Lüfte mit seinen fast zwei Metern Spannweite zunehmend vom Freizeitsport bedroht. Einmal durch Kletterer oder Gleitschirmflieger aus seinem Horst vertrieben, kommt er nicht so schnell wieder zur Ruhe. Die Folgen sind rapide sinkende Nachwuchszahlen.

Knapp zehn Jahre später erschien 1984 eine weitere, bis heute brandaktuelle Jugendmarken-Ausgabe. Denn das Thema „Bestäuber-Insekten“ ruft ins Bewusstsein, dass wir Menschen in unmittelbarer Abhängigkeit zu den kleinen fleißigen Helfern stehen. Während der Pinselkäfer und das Esparsetten-Widderchen eher ein Nischendasein führen, gelten Hummeln und Schwebfliegen neben der zunehmend von eingeschleppten Krankheiten bedrohten Honigbiene zu den wichtigsten Bestäubern unserer Kulturlandschaft. Zwar kann sich der Tomatenzüchter heutzutage sein Hummelnest im Internet bestellen, besser wäre es aber, den friedlichen Brummern genug Lebensraum zu lassen. In Berlin sollte für sie, neben all den Wildschweinen, Waschbären, Füchsen und Hasen, noch ein Plätzchen frei sein.

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Die wilden Sechziger – Zwischen Fortschritt und Revolte

Spricht man von den 60er-Jahren, denkt jeder an Blumenkinder, Miniröcke, Studentenunruhen und Rock ’n’ Roll. Freie Liebe, gewagte Kleider und das Aufbegehren der Jugend gegen die Elterngeneration waren fraglos die am deutlichsten sichtbaren Symptome dieses Jahrzehnts. Doch wie einst der Komponist Johann Sebastian Bach den Akkord als das Zusammentreffen mehrerer Melodien definierte, so beruht das plakative Bild der Sechziger auf einer Verschmelzung zahlreicher Entwicklungen, die gerade in Deutschland eine sehr individuelle Ausprägung erfuhren. 1960 blickte die Bundesrepublik auf boomende Jahre zurück, die nicht umsonst als »Wirtschaftswunder« bezeichnet werden. Natürlich gab es sehr reale Gründe für den rasanten wirtschaftlichen Aufstieg des jungen Staates, für die Bevölkerung hingegen musste der radikale Wandel zum Besseren seit den Nachkriegsjahren wie eine Erlösung gewirkt haben. Der Westen Deutschlands hatte im Zuge der politischen Einbindung auch Zugang zu gewichtigen industriellen Bündnissen gewonnen. Die Montanunion ließ die deutsche Schwerindustrie Umsatzrekorde erziehen, die Exporte stiegen rasant, die Reallöhne ebenso. Automobile wurden in nie gekannten Stückzahlen produziert – und gekauft. Es herrschte Vollbeschäftigung. Seit Mitte der 50er-Jahre warb man im europäischen Ausland um Gastarbeiter, und die Gesellschaft veränderte sich gerade in den Städten nachhaltig. Das Fernsehen wurde zum Informations- und Unterhaltungsmedium. Mit dem Wachsen der Kaufkraft entstanden völlig neue Märkte. Mode und Musikkultur wurden zu Trägern des Lebensgefühls einer Jugend, die über eigenes Geld verfügte, gleichzeitig wurden sie Ausdruck eines Generationenkonflikts, der seine Wurzeln im Politischen hatte.

15 Jahre nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur hatte die neue Demokratie noch keine befriedigenden Antworten auf die Frage nach ehemaligen Nationalsozialisten in Behörden, Justiz und Politik gefunden. In der Zeit des unmittelbaren Wiederaufbaus hatte die Regierung unter Adenauer sich einer Integrationspolitik befleißigt, nach der zahlreiche nicht direkt als Haupttäter bekannte NSDAP-Mitglieder amnestiert und wieder eingestellt wurden. Allein im 2. Deutschen Bundestag – von 1953 bis 1957 – saßen fast 130 ehemalige Parteimitglieder der NSDAP. In vielen Behörden und Unternehmen befanden sich die „Schreibtischtäter“ des Dritten Reichs in führenden Positionen. Die politische Polarisierung des Kalten Krieges trug dazu bei, dass eine moralische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in den Hintergrund rückte, solange man sich im Kampf gegen den drohenden Kommunismus einig war.

Gerade aus dem studentischen Umfeld wurde nun der Ruf nach Aufklärung laut. An der Freien Universität in Westberlin begann eine Gruppe Studenten mit der Erstellung eines »Braunbuchs«, in welchem sie akribisch Unrechtsurteile nationalsozialistischer Gerichte aufführten und die Namen der beteiligten Richter und Staatsanwälte öffentlich machten. Später weiteten sie ihren Fokus auf Wirtschaftsführer, Politiker und Beamte aus. Pikanterweise stellte der Ostberliner „Ausschuss für Deutsche Einheit“ diesen Aktivisten umfangreiche Aktenbestände zur Verfügung, während sie in der Bundesrepublik keine Unterstützung erfuhren. 1967 wurde eine Auflage sogar beschlagnahmt. Rücktritte aufgrund dieser Enthüllungen gab es nur vereinzelt.

Viele der Konflikte der Sechziger können also nur begreiflich werden, wenn man dieses grundsätzliche Misstrauen der jungen Generation gegenüber den Vertretern der Obrigkeit im Hinterkopf behält. In Münchner Stadtteil Schwabing eskalierten im Juni 1962 Streitigkeiten über nächtliche Ruhestörungen zu Straßenschlachten zwischen Zehntausenden Jugendlicher und der Polizei. Als das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« im selben Jahr einen kritischen Enthüllungsbericht über die mangelnde Einsatzfähigkeit der Bundeswehr veröffentlichte, reagierte der Bundesgerichtshof mit Untersuchungsanordnungen und Haftbefehlen wegen Landesverrats. Landesweite Proteste waren die Folge. Infolge dieser »Spiegel- Affäre« kam es zu einer Regierungskrise. Die FDP-Minister legten aus Protest ihre Ämter nieder, und der Verteidigungsminister, Franz Josef Strauß, musste zurücktreten, als er als Drahtzieher des Justizskandals entlarvt wurde.

Auch an den Universitäten brodelte es. Überfüllte Hörsäle entfachten eine Debatte um »Bildungsnotstand«, die Studenten verlangten Hochschulreformen für mehr Mitsprache und unter dem Motto »Unter den Talaren – der Muff von 1000 Jahren« wurde auch die mangelnde universitäre Aufarbeitung des Nationalsozialismus angeprangert. Insbesondere der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) in Westberlin entwickelte sich zur treibenden Kraft und bewirkte eine bundesweite Ausdehnung der Proteste. Er wurde mit der Bildung der ersten Großen Koalition von 1966 bis 1969 zur Basis der APO, der Außerparlamentarischen Opposition, die durch Mobilisierung der Straße die Regierung unter Druck zu setzen versuchte. Mit dem neuen Kanzler Kurt Georg Kiesinger fanden die Unzufriedenen ein willkommenes Feindbild: ein NSDAP-Mitglied in gehobener Position, das 1948 amnestiert worden war und seine Rolle im Dritten Reich abstritt. Dass gerade unter Kiesinger die umstrittenen Notstandsgesetze in Kraft traten, heizte die Situation nur noch an. Dieses Gesetzespaket erlaubte es der Staatsgewalt, in Gefahrensituationen die Grundrechte einzuschränken. Die eskalierende Gewalt bei Zusammenstößen von Studenten und Polizei schien dies zu rechtfertigen. Für die Kritiker stellten diese Vollmachten eine Bedrohung der Demokratie dar, der Vergleich mit Hitlers Ermächtigungsgesetz lag in der Luft.

In Berlin gab es eine Kampagne gegen die erdrückende Meinungshoheit der Springer-Presse. »Enteignet Springer!« lautete die Forderung. Die Berichterstattung über den Tod des Studenten Benno Ohnesorg bei Unruhen anlässlich des Schah-Besuchs in Berlin feuerte den Konflikt weiter an. Linke Intellektuelle um Theodor Adorno beschuldigten die Zeitungen Axel Springers der »systematischen Hetze«. Als nach einem Aufruf der Bildzeitung, den »roten Terror« zu stoppen, der Politaktivist Rudi Dutschke von einem Hilfsarbeiter niedergeschossen wurde, sah sich der Verlag landesweiten Protesten ausgesetzt.

Die Jugend suchte nach Alternativen – auch im kommunistischen Weltbild – und engagierte sich gegen den Vietnamkrieg. Die öffentliche Eskalation und die Präsenz dieser Bilder in den Medien lassen jedoch vergessen, dass gleichzeitig auf höchster politischer Ebene Weichen gestellt wurden, welche die Bundesrepublik zu einem liberaleren und aufgeklärteren Land machen sollten. Schlüsselfigur war der Rechtsanwalt und Politiker Gustav Heinemann. 1950 war Heinemann, Innenminister aus den Reihen der CDU, aus Protest gegen Adenauers Wiederbewaffnungsinitiative als erster Bundesminister der Geschichte von seinem Amt zurückgetreten und hatte anschließend die Partei gewechselt. So geschah es, dass er auf Betreiben Willy Brandts in der Großen Koalition als SPD-Justizminister ins Kabinett trat. Unter seiner Leitung wurde die Zuchthausstrafe abgeschafft, Widerspruchsverfahren in politischen Strafsachen eingeführt, Ehebruch und Homosexualität nicht mehr als Straftaten eingestuft. Weiter trat er für das Recht auf Totalverweigerung von Wehr- und Ersatzdienst aus Gewissensgründen ein. Als Kanzler Kiesinger im Anschluss an das Dutschke-Attentat die Studentenschaft kollektiv als »militante Linksextreme« anprangerte, ergriff Heinemann das Wort und stellte sich zwischen die verhärteten Fronten. Er kritisierte in aller Deutlichkeit die verübten Gewalttaten seitens der Protestbewegung, stellte aber klar heraus: »Auch die junge Generation hat einen Anspruch darauf, mit ihren Wünschen und Vorschlägen gehört und ernst genommen zu werden«. Für diese Haltung erntete Heinemann offene Empörung, gleichzeitig bewirkte er eine deutliche Deeskalation der Lage. Diese Standfestigkeit des Gewissens sollte er in den folgenden Jahren noch oft unter Beweis stellen.

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Hohler Zahn, Lippenstift und Puderdose – Der Wiederaufbau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche

Am Abend des 22. November 1943 ertönten wieder einmal die Sirenen von Berlin. Bereits seit Anfang des Jahres hatten die alliierten Bomberflotten die deutsche Hauptstadt wieder ins Visier genommen. Doch das Ausmaß der Zerstörung nahm im Vergleich zu den vergangenen Jahren deutlich zu. Die Schwächung der deutschen Luftwaffe im Kriegsverlauf machte dies möglich. „Moral Bombing“ hieß das Konzept des britischen Premiers Winston Churchill, mit dem er die Angriffe auf Berlin begründete. Neben der Zerstörung von Industrie und Infrastruktur sollten die Menschen zermürbt werden, um sie zum Widerstand gegen das Unrechtssystem zu treiben. Das Konzept ging freilich nicht auf, auch als die Bomber ganze Stadtteile Berlins dem Erdboden gleichmachten. In der Nacht zum 23. November traf es neben Kreuzberg, Wedding und Berlin Mitte auch Charlottenburg. Zwischen

19.58 und 20.20 Uhr ließen 753 britische Flugzeuge eine Last von 2.500 Tonnen Spreng- und Brandbomben niedergehen. Hunderttausende Menschen verloren ihre Bleibe und viele ihr Leben. Inmitten des Bombenhagels lag eines der Wahrzeichen Berlins: die Kaiser-Wilhelm- Gedächtniskirche. Sie brannte in dieser Nacht komplett aus. Der einzig erhaltene Turm steht heute noch und ist eines der wichtigsten Mahnmale in der bundesdeutschen Hauptstadt gegen den Krieg.

Die Grundsteinlegung des Kirchenbaus war am 22. März 1891 erfolgt. Die Pläne des Architekten Franz Schwechten sahen ein gewaltiges neoromanisches Kirchenschiff vor, das dem Zeitgeist des Historismus Rechnung trug. Der Kölner Schwechten ließ sich dabei maßgeblich von der Sakralarchitektur des Rheinlandes beeinflussen, bis hin zur Fassadengestaltung mit Kalksandstein aus der Eifel. Kaiser Wilhelm II., stets berauscht von historischen Dimensionen, hatte den Kirchenneubau zum Anlass genommen, seinen Großvater, den Reichsgründer Wilhelm I., zu ehren und damit die Namensgebung bewirkt. Auch der Termin der Grundsteinlegung lag nicht zufällig am Geburtstag des ersten Kaisers. Die Patenschaft übernahm seine Gattin, Kaiserin Auguste Viktoria, die auch bei der feierlichen Einweihung der Kirche am 1. September 1895 zugegen war. 113 Meter ragte der Hauptturm in den Himmel, und die gewaltigen Bronzeglocken aus eingeschmolzenen französischen Geschützen von 1871 tönten weithin über die Stadt. Auch die Innengestaltung der Kirche stand ganz im Zeichen des Patriotismus und zeigte neben Bildnissen des Kaisers zentrale Szenen der Befreiungskriege und des Deutsch-Französischen Kriegs. Die Kaiser-Wilhelm- Gedächtniskirche sollte in den folgenden Jahren stilbildend für zahlreiche weitere Neubauten werden, die ebenfalls im Stile der Neoromanik errichtet wurden. Kaiser Wilhelm II. schuf sich sein eigenes „Romanisches Forum“ in Berlin, um die Stellung des jungen Kaiserreichs symbolisch mit dem Römischen Weltreich zu verknüpfen.

Doch der erste Krieg hatte das Reich zerstört, dem zweiten war die Kirche zum Opfer gefallen. Am Morgen des 23. November 1943 lag das ganze Areal in rauchenden Trümmern. Nach dem Krieg widmeten sich die Menschen in Berlin zuerst dem Wiederaufbau von Wohnungen und Verkehrsnetzen. Die Ruine der alten Kirche wurde in ihrem Zustand belassen, lediglich 1956 wurde der einsturzgefährdete Altarraum abgerissen. Doch war der Wunsch, die Gedächtniskirche wieder aufzubauen, nie aus dem Gedächtnis verschwunden. Bereits 1953 hatte die Deutsche Post Berlin eine Zuschlagsmarkenserie ausgegeben, die für die Instandsetzung der Kirche warb. Zwei Marken zeigten den Kirchenbau in seinem Originalzustand, zwei weitere bildeten die Ruinen ab. Es war nach den Sondermarken aus dem Oktober 1950 zur Berliner Philharmonie die zweite Berliner Ausgabe zum Thema Wiederaufbau. Im November 1955 folgte eine weitere Markenserie zugunsten des Wiederaufbaus zerstörter Kirchen, anlässlich des 25. Jubiläums des Bistums Berlin.

1957 wurden schließlich für den Wiederaufbau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche konkrete Maßnahmen ergriffen. In einem Architekturwettbewerb konnten sich die Pläne von Egon Eiermann durchsetzen, der ein modernes Kirchenensemble vorgeschlagen hatte. Einzig der geplante Komplettabriss der alten Ruine scheiterte am Widerstand der Bürger. Der Bauherr, das Kuratorium der „Stiftung Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche“, erbat vom Architekten eine neue Konzeption, die den verbliebenen Turm integriere. Der „hohle Zahn“ war den Berlinern ans Herz gewachsen. Widerstrebend kam der Baumeister dem Wunsch nach und gruppierte nun eine Reihe Neubauten um den Turm, die eine einzigartige Synthese aus Alt und Neu schufen. Bis zum Jahresende 1961 waren die umfangreichen Arbeiten abgeschlossen, und am 17. Dezember konnte die feierliche Einweihung durch den Landesbischof erfolgen.

Eiermanns Vorlieben für funktionale Zweckarchitektur in Stahlskelettbauweise mit rationaler Linienführung wurden im Nachkriegsdeutschland vielerorts gefeiert. Der Kirchenneubau knüpfte daran an. Sichtbare Stahlträger wurden mit Betonelementen ausgefacht, die wiederum wabenartige Glaselemente bergen. Eine doppelte Außenhülle gegen den Straßenlärm und ein ausgeklügeltes Lichtkonzept verleiht dem Inneren eine außerordentlich sakrale Atmosphäre und lässt die neue Kirche gelegentlich nachts in ruhigem blauem Licht erscheinen. Der im Osten der Ruine errichtete sechseckige Turm wird im Volksmund gern als „Lippenstift“ bezeichnet, passend dazu liegt westlich die „Puderdose“, der oktogonale Kirchenbau selbst, an den sich noch eine Kapelle anschließt. Das bereits architektonisch aussagekräftige Mahnmal birgt heute noch eine Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus sowie im Eingangsbereich der alten Kirche eine Gedenkhalle mit besonderen Exponaten. Unter anderem steht hier ein Nagelkreuz aus Coventry. Dieses Versöhnungszeichen stammt aus den Trümmern der 1940 von den Deutschen zerstörten Kathedrale der britischen Industriestadt. Eine ähnliche Funktion erfüllt die Stalingrad-Madonna im neuen Kirchengebäude. Ihr zur Seite steht eine Madonnen-Ikone, ein Geschenk aus dem heutigen Wolgograd.

stückweise saniert. Insbesondere die Turmruine benötigte eine grundlegende Restauration zur Substanzerhaltung, aber auch die Neubauten bedürfen der Renovierung. Die Finanzierung der Baumaßnahmen deckt ein Zusammenschluss Berliner Unternehmer. Parallel wurde eine besondere Form des Bürgerengagements ins Leben gerufen: die „Fugenpatenschaft“. Für die rund sechs Kilometer Fugen des alten Turms, die erneuert werden mussten, konnten Spender jeweils gestaffelte Beiträge leisten. Eine einfache Fuge kostete 50 Euro, eine eiserne 100 Euro und eine bronzene 500 Euro. Jeder Fugenpate erhielt eine Urkunde mit der exakten Position „seiner“ Fuge. Eine Schriftrolle mit den Namen aller Paten wurde 2014 als Zeichen der Verbundenheit in die Fassade eingemauert. Großspender für „Gold-Fugen“ und „Platinum-Fugen“ zu 2000 und 5000 Euro erhielten eine eigene Bronzetafel. Damit leisteten die Berliner Bürger ihren Anteil für den Erhalt des „hohlen Zahns“ und sorgten dafür, dass die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche neben ihrer Funktion als Touristen-Magnet nach wie vor einen besonderen Platz im Herzen der Stadt einnimmt.

Die Sondermarken der Berliner Post dokumentieren die dramatische Geschichte des Kirchenbaus und seiner Erhaltung anschaulich, zumal der Grafiker bei der Motivgestaltung auch den 1956 abgerissenen Teil des Baus festhielt. Wieder einmal fungieren Briefmarken als wertvolle Zeitzeugen dieser einmaligen Stadt.

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Preußens Postillione – Berlin zeigt historische Postuniformen

Glaubt man den Worten Heinrich von Stephans, so hat die Post Preußens „zur Hebung des Wohlstandes und der Gesittung der Nation beigetragen, den schnelleren Umschwung der Lebenskraft im Staatskörper vermittelt, die Thätigkeitsäußerungen der verschiedenen Verwaltungszweige erleichtert und den Staatsreichthum vermehrt“. Das klingt ein wenig pathetisch, fasst aber tatsächlich im Wesentlichen die Vorzüge einer funktionierenden Postverwaltung zusammen – allerdings nicht nur der preußischen. Denn im Gegensatz zu heute waren die Leistungen der Landesposten damals von staatstragender Bedeutung. Herrscher waren von der schnellen Übermittlung ihrer Korrespondenz abhängig, zeitnahe Informationen konnten den entscheidenden Vorsprung im politischen oder militärischen Wettstreit schenken, und vor allen Dingen warfen die Posten eine nicht unerhebliche Summe zugunsten der Staatskasse ab. Kein Wunder also, dass die Postanstalten in der Regel auf höchste Weisung geschaffen, gefördert und geschützt waren. Das Postwesen ist in den preußischen und brandenburgischen Gebieten bereits seit dem Mittelalter belegt. Es handelte sich aber, wie fast überall in Europa, um eine Vielzahl kleiner regionaler Einrichtungen, die parallel zu den herrschaftlichen Boten der Fürsten und Könige für die Überbringung schriftlicher Dokumente sorgten. Während im Heiligen Römischen Reich bald durch den Dienstadel der Thurn und Taxis eine auf die Ansprüche des Kaisers zugeschnittene Postorganisation entstand, zogen manche Fürstentümer die Schaffung einer unabhängigen Landespost vor. Zur Zeit des Großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelms von Brandenburg, wurden die ersten Schritte unternommen, die vielen selbstbestimmten Posteinrichtungen in Richtung eines überregionalen Postdienstes zu vereinen. Botenreiter, Fuhrherrengilden und Landkutscher-Innungen wurden in ein neues System überführt, welches auf postalischer Ebene die politische Zentralisierung des Kurfürstentums widerspiegelte. Dies geschah Stück für Stück und über einen längeren Zeitraum hinweg. Gerade die 1610 ins Leben gerufene „reitende Post“, abgebildet auf der Zuschlagsmarke von 1958, erfuhr eine große Erweiterung ihrer Postkurse. Bereits kurz vor Ende des Dreißigjährigen Krieges lieferten die unerschrockenen Postreiter bis nach Warschau und tief in das russische Zarenreich aus. Neben dem typischen Posthorn und dem schützenden Mantel fällt vor allem die Pistole am Sattel auf. Die Straßen waren seinerzeit nicht sicher, und die ferne Autorität des Dienstherren reichte oft nicht aus, um Wegelagerer in die Schranken zu weisen.

Am 10. August 1712 trat die „Allgemeine Preußische Postordnung“ in Kraft. Auf rund 60 Seiten wurden Grundregeln für den Postverkehr und seine Bediensteten festgehalten – und auch besondere Privilegien formuliert. So herrschte beispielsweise eine Post-Freiheit, die so weit ging, dass innerhalb der Postämter keine Verhaftungen vorgenommen werden durften, sofern diese nicht vom General-Postamt genehmigt wurden. Beamte waren grundsätzlich von Frondiensten freigestellt. Ihre Soldzahlungen sowie die Pferde und Geschirre der Postillione wurden vor Schuldpfändung geschützt, und das Signalhorn war ausschließlich der Post vorbehalten. Innerhalb der preußischen Post gab es sogar eine „Post-Armenkasse“, um verunglückte oder invalide Postillione und ihre Familien vor dem Bettelstab zu bewahren. Allen diesen Vorzügen des Dienstes bei der Post standen aber auch harte Strafen entgegen, sollte der Beamte sich zu Dienstvergehen hinreißen lassen.

Der Große Kurfürst und seine Nachfolger investierten große Summen in die Poststruktur des Landes. Standen Anfang des 16. Jahrhunderts insgesamt 30 besoldete Boten im Dienst, existierten um 1780 bereits 70 Postanstalten. 30 Jahre später waren es bereits über 100, 1740 mehr als 300. Diese Verbesserungen der Infrastruktur führten zu einem raschen Anstieg des Postverkehrs. Die immer detaillierter gepflegte Bürokratie in der Landesverwaltung brachte eine entsprechende Steigerung der Staatskorrespondenz mit sich. Unter dem Strich rechneten sich die Investitionen über alle Maßen. Bis zum Tode des ersten Preußenkönigs, Friedrich I., waren die Überschüsse des Postdienstes von 40.000 auf 137.000 Taler gestiegen. Dafür waren andauernde strukturelle Verbesserungen nötig. Die Fahrpost, also Kutschen für Passagiere und Postsendungen, übernahm mit der Zeit zur Entlastung der reitenden Post den Transport von Zeitungen und „dicken Briefen“. Man spezialisierte sich im Sinne der Effizienz. Es wurde erwartet, dass mindestens eine Meile pro Stunde zurückgelegt wurde. Für jede überzählige Stunde mussten die Boten und Postillione empfindliche Strafen zahlen. Bis 1724 wurden 43 neue Postkurse eingerichtet. Über 600 Postillione waren nun im Einsatz. Diese wurde von Schirrmeistern unterstützt, die sich um die technischen Anforderungen des reibungslosen Verkehrs kümmerten. Weiter wurde das Mitführen von Futtersäcken für die Kutschpferde untersagt, um mehr zahlenden Passagieren Raum zu bieten. Die Fourage stand nun an den Stationen bereit. Bis dahin hatte die Lagerung des Pferdestrohs aber bereits zu einem kuriosen gleichwie notwendigen Umstand geführt, nämlich dem Rauchverbot in den Postkutschen. Wiederholt hatte die Glut aus Pfeifen der Passagiere ganze Fuhrwerke in Brand gesteckt. Nach einer Übergangsphase, in welcher die Reisenden vor Antritt der Fahrt ihre Pfeifen in der Postanstalt kontrollieren lassen mussten, war das Rauchen schließlich gänzlich untersagt worden.

Eine Feldpost hatte es bereits beim Krieg um Vorpommern gegeben. Im Siebenjährigen Krieg Friedrichs des Großen kam diese Einrichtung wieder zum Tragen. Die Sondermarke von 1955 zeigt einen Beamten der preußischen Feldpost mit dem Pferdegeschirr in der einen und dem Felleisen in der anderen Hand. Der im Sinne Preußens machtpolitisch gesehen knapp gewonnene Krieg hatte die Gegner finanziell erschöpft und Hunderttausende Menschenleben gefordert. Friedrich forderte im Anschluss von „seiner“ Post einen künftigen Überschuss von zwei Millionen Talern jährlich zur Sanierung des Staatshaushalts. Als ihm dies als unrealistisch verweigert wurde, ließ er sich auf das Experiment ein, die Postverwaltung in die Hände französischer Spezialisten zu legen. Diese hatten durchaus gute Ideen, die Bestand haben sollten. Das Personal wurde aber bald wieder durch preußische Beamte ersetzt. Noch kurz vor seinem Tod hatte Friedrich der Große erstmals ein „Uniformsreglement“ erlassen: blauer Rock, orange Kragen und Aufschläge, weiße oder schwarze Hose und dreieckiger Hut. Die Briefmarke von 1954 mit dem abgebildeten Postillion aus dem Jahre 1827 zeigt, dass zumindest die Kopfbedeckung nach der Franzosenzeit wieder verändert wurde. Die Rockschöße waren durch eine Bauchschärpe ergänzt worden. Weiter benutzte der Herr auf dem Motiv augenscheinlich lieber eine Posttrompete.

Die letzte Sondermarke von 1957 greift der Zeit bereits weit voraus und zeigt einen Postillion der Kaiserlichen Reichspost. Deren Entstehung hatte der große Chronist der preußischen Post, Heinrich von Stephan, noch persönlich erlebt und mitgestaltet. Bereits bei Ausbruch des Deutschen Krieges 1866 hatte Stephan sich dafür ausgesprochen, die Konkurrenz durch die Thurn-und- Taxis-Post ein für allemal auszuschalten. Nach der Besetzung Frankfurts durch preußische Truppen wurde die ehemalige Reichspostanstalt zu einem Übernahmevertrag gezwungen. Zum 1. Juli 1867 übernahm Preußen gegen eine Ablösesumme die komplette Postorganisation der Thurn-und-Taxis. Der neu geschaffene Norddeutsche Bund sollte indes nur eine Übergangslösung sein – politisch wie auch postalisch. Mit dem Sieg im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und der anschließenden Ausrufung des Kaiserreichs entstanden auch für die Postverwaltung neue Rahmenbedingungen. Am 12. Mai 1871 wurde die „Norddeutsche Post“ in „Deutsche Reichspost“ umbenannt. Die Uniform des Postillions erinnerte gleichwohl noch deutlich daran, dass dieses neue Kaiserreich vor allem ein preußisch geprägtes Reich war – mit Berlin als neuer Reichshauptstadt.

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Welt in Bewegung – Historische Fahrzeuge auf Berliner Sondermarken

„Eine Generation, die die Geschichte ignoriert, hat keine Vergangenheit – und keine Zukunft.“ Dieser Ausspruch des visionären Schriftstellers Robert A. Heinlein könnte den Absichten der Berliner Postverwaltung zugrunde gelegen haben, als sie sich für eine Reihe von Jugendmarken entschied, die sich mit der Geschichte des Verkehrswesens beschäftigte. Denn die Mobilität der Menschheit war stets mehr als eine Errungenschaft ihrer Fortentwicklung. Sie war, gleichwohl Produkt der jeweiligen Zeit, immer auch Voraussetzung für die nächste Epoche.

Eindringlichstes Beispiel dafür ist das erste Motiv der Sondermarken von 1977. Wie kaum ein anderer Schiffstyp symbolisierte die Hansekogge eine historische Revolution. Der Norden Europas, einst klimatisch und kulturell im tiefen Schatten der Südländer ruhend, wuchs an Bord der großen Handelsschiffe zu einer Wirtschaftsmacht heran, die über Jahrhunderte die Geschicke des Kontinents lenkte. Der abgebildete Einmaster ist die Rekonstruktion eines im Bremer Hafenschlick gefundenen Wracks aus dem späten 14. Jahrhundert. Der bauchige Rumpf fasste eine große Ladung und war den stürmischen Nordmeeren optimal angepasst. Erst in der Neuzeit wurde die Kogge von größeren Schiffstypen verdrängt. Ein weiterer Schritt in der Entwicklung der Handelsschifffahrt war natürlich die Einführung des Dampfantriebs. Die abgebildete „Helena Sloman“ war das erste deutsche Dampfschiff, das den Atlantik überquerte. Die Takelung mit einer Hilfsbesegelung war seinerzeit üblich, falls die Maschinen ausfielen. Die „Helena Sloman“ ging bereits auf ihrer dritten Reise unter. Die Passagiere konnten aber gerettet werden. Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte die Passagierschifffahrt einen neuen Boom, dem die Reedereien mit prächtigen Kreuzfahrtschiffen begegneten. Die „Cap Polonio“ galt als Luxus-Liner und fuhr unter anderem auf der Südamerika-Linie bis sie 1935 demontiert wurde. Das Mobiliar der ersten Klasse ist bis heute in einem Hamburger Hotel zu bewundern. Mit der Globalisierung setzte auch der Niedergang des deutschen Reedereiwesens ein. Immer mehr Linien fahren „international“, also mit möglichst geringen Personal- und Verwaltungskosten. Die „Widar“, 1971 das größte deutsche Trockenfrachtschiff, fiel 1984 dieser Entwicklung zum Opfer. Der stolze Ozeanriese wurde nach Bangladesch überführt und abgewrackt.

Die zweite Jugendmarken-Serie von 1982 führt an die Anfänge des liebsten Spielzeugs der Deutschen, des Automobils. Gottlieb Daimlers „Stahlradwagen“ gilt als das erste richtige Automobil. Zwar hatte Carl Benz bereits im Januar 1886 seinen Motorwagen patentieren lassen, dieser war aber „nur“ ein Dreirad. Daimlers erstes motorbetriebenes Fahrzeug aus demselben Jahr benutzte noch das Chassis einer Kutsche. Das abgebildete Gefährt wurde jedoch explizit für den Motorantrieb entwickelt und feierte bei der Pariser Weltausstellung 1889 seine Premiere. Bis zum Ersten Weltkrieg entwickelte sich die neue Technologie rasant, und das „Wanderer Puppchen“ von 1912 sah bereits wie ein wirkliches Auto aus. Die beiden Sitze waren allerdings hintereinander angeordnet, und Türen gab es nur auf einer Seite. Dafür besaß der Motor eine Leistung von unglaublichen zwölf Pferdestärken. Zeitgleich passten sich auch die Frankfurter Adler-Werke dem Trend der Zeit an. Ursprünglich eine Fahrradfabrik, erweiterte das Unternehmen seine Aktivitäten auf Motorräder, Schreibmaschinen, Luftschiffmotoren und Automobile. Bis zum Zweiten Weltkrieg hielten die Adler-Werke in Deutschland einen Marktanteil von über 20 Prozent. Der Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Insassen im Dritten Reich bewirkte aber die Einstellung des Betriebs durch die Alliierten. Einzig im Segment Büromaschinen blieb der Firmenname erhalten. Auch der Automobil- und Motorradhersteller DKW konnte sich noch lange auf dem Markt behaupten. Das Erfolgsmodell „F1“, wegen der neuen Antriebsart auch „Frontwagen“ genannt, konnte trotz der Wirtschaftskrise durch die Fusion DKWs mit den Horch-Werken in der neuen Auto-Union AG fortgesetzt werden. Dieser Unternehmens-Zusammenschluss produzierte zeitweise DKW-, Audi-, Horch- und Wanderer-Modelle, jeweils unter dem eigenen Namen. Nach dem Krieg entstanden im Osten Deutschlands die DDR-Ikonen Trabant und Wartburg auf Basis der langen Erfahrungen des Stammwerks in Zschopau.

Kein Wunder also, dass auch auf den Briefmarken von 1983 zwei der bisher genannten Protagonisten vertreten sind. Wanderer- und DKW-Motorräder standen für Zuverlässigkeit und Komfort. Gerade das „Sessel-Motorrad“ DKW-Lomos mutet aus heutiger Sicht nicht besonders sportlich an. Es war aber eine bequeme Alternative im Stadtverkehr. Der Name „Hildebrand & Wolfmüller“ ist Motorradfreunden selbstverständlich ein Begriff. Das abgebildete Modell von 1894 war das erste serienmäßig produzierte Motorrad der Welt. Nach einem erfolglosen Versuch, ein „Dampfrad“ auf den Markt zu bringen, hatte sich Heinrich Hildebrand an den erfahrenen Konstrukteur Alois Wolfmüller gewandt. Gemeinsam entwickelten sie das Projekt zur Patentreife. Die Kunden konnten sie indes nicht überzeugen. Anfänglich hohe Absätze erschöpften sich bald aufgrund der Unzuverlässigkeit des Antriebs. Bereits 1895 meldete das Unternehmen Konkurs an. Die Motorräder selbst erzielen heute aber bis zu sechsstellige Auktionserlöse, auch wenn sie nur zu musealen Zwecken taugen. Auch die Mars-Maschine aus dem Jahr 1925 stammte aus einem Unternehmen mit wirtschaftlichen Turbulenzen. Die Firma Mars hatte anfangs eine ganze Reihe höchst unterschiedlicher Produkte vertrieben, bevor sie 1920 mit ihrer „Weißen Mars“ eine Motorsport-Legende schuf. Das bis zu 100 Stundenkilometer schnelle Fahrzeug errang etliche Siege. 1925 wurden die Motorräder aber nicht mehr unter dem Namen „Mars“ vertrieben. Nach der Hyperinflation war das Unternehmen zwar von zwei Mitarbeitern fortgeführt worden, den Firmennamen konnten sie sich aber nicht sichern. Fortan hießen die Modelle „M.A.“.

Die letzte Ausgabe mit historischen Fahrzeugen behandelte 1985 die Anfänge des Drahtesels. Karl Drais „Laufmaschine“ aus dem Jahre 1817 hatte erstmalig die muskelkraftbetriebene Fortbewegung auf zwei Rädern bekannt gemacht. Seither suchten Pioniere weltweit eine Lösung, wie man die Kraft der Beine per Pedal auf die Räder überträgt. Das Hochrad konnte sich aufgrund seiner großen Sturzgefahr nicht durchsetzen. Das als „Safety-Bicycle“ in England entwickelte Niederrad mit Kettenantrieb sollte zur Blaupause künftiger Fahrradgenerationen werden. Unterdessen hatte sich auch der Braunschweiger Unternehmer Heinrich Büssing des Themas angenommen und 1868 ein einfaches Niederrad mit Pedalen an der Vorderradnabe entworfen. Dieses blieb aber bereits in den Anfangsjahren aus wirtschaftlichen Gründen auf der Strecke. Büssing selbst sollte mit anderen Ideen zu einem der einflussreichsten Erfinder werden, etwa in der Konstruktion von Lastkraftwagen und Omnibussen. Die Antriebsart blieb jedoch bis heute bei Kinderdreirädern erhalten. Aufgrund des fehlenden Leerlaufs können diese keine allzu riskanten Geschwindigkeiten erzielen.

Einen gänzlich anderen Ansatz verfolgte der Österreicher Paul Jaray mit dem von ihm entwickelten „J-Rad“. Dieses verfügte über Schwingpedale, die abwechselnd getreten wurden. Gleichzeitig nahm der visionäre Konstrukteur mit seinem Rahmenbau als „Sesselrad“ das spätere Liegerad voraus, welches sich heute unter Bastlern einer großen Beliebtheit erfreut. Aufgrund einer Reihe von Unglücksfällen mit „J-Rädern“ wurden diese jedoch bald wieder zurückgezogen. Weitaus bedeutsamer waren Jarays Leistungen für die Luftschifffahrt und den Automobilbau. Ein von ihm entwickelter Windkanal hatte einst zu deutlichen Verbesserungen der Zeppeline geführt, während seine Entwürfe von stromlinienförmigen Autokarosserien die Grundlage des modernen Kraftfahrzeugdesigns bildeten. Das letzte Motiv stammt wiederum aus einem Unternehmen, welches man eher mit dem Auto verbindet, tatsächlich aber zuerst großen Erfolg mit Nähmaschinen und Fahrrädern erzielte: Opel. Die Rennräder wurden dabei durch die beispiellose Radrenn-Karriere des Gründer-Sohns Friedrich Opel medienwirksam beworben. Opel war in den Zwanzigerjahren der größte Fahrradhersteller der Welt.

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Zwischen Elend und Unsterblichkeit – Große Literatur in Berlin

Berlin war und ist eine Stadt der Literatur. Zahllose Schriftsteller suchten die Lichter der Großstadt, magisch angezogen von den Möglichkeiten der pulsierenden Metropole. Für manche war die Stadt der krönende Abschluss ihrer Karriere, für andere der Kulminationspunkt, an dem sich Wege kreuzten und in neue Richtungen verliefen. Aber nicht wenige gingen auch in Berlin zugrunde. Eine besonders dramatische Zeit bildeten dabei die Jahre ab 1933, in denen einige der kreativsten Köpfe des Landes in Berlin den Untergang jeglicher Kultur erleiden mussten. Einen „kleinen dicken Berliner, der mit einer Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten wolle“, so nannte Erich Kästner einst Kurt Tucholsky. Dieser Versuch scheiterte vollkommen, doch schuf Tucholsky dabei ein literarisches Gesamtwerk, das zu Recht zum Fundament der modernen politischen Satire gezählt wird. Bereits früh hatte Tucholsky die Bedrohung erkannt, die vom überlebten Militarismus in die Weimarer Republik getragen worden war, und er schrieb dagegen an. Unermüdlich und mit einer beeindruckenden Schlagzahl veröffentlichte er Artikel auf Artikel in der Berliner „Weltbühne“, dem radikaldemokratischen Wochenblatt der Weimarer Republik. Unter diversen Pseudonymen – Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger oder Ignaz Wrobel – überschüttete er die erstarkende Rechte mit beißender Kritik. An seiner Seite stand Carl von Ossietzky, Bruder im Geiste und nach dem Tod des Gründers Jacobsohn zeitweise Herausgeber der „Weltbühne“. Als Ossietzky 1931 im „Weltbühne-Prozess“ wegen investigativer Berichterstattung über die deutsche Aufrüstung zu 18 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, blickte die Presse der Welt auf Berlin. Doch weder die internationale Anteilnahme noch der später an Ossietzky verliehene Friedensnobelpreis vermochten den „Landesverräter und Verräter militärischer Geheimnisse“ zu retten. Er starb 1938 nach langer KZ-Haft. Tucholsky war bereits vorher emigriert und 1935 im schwedischen Exil verstorben.

Währenddessen bemühte sich ein anderer Berliner Schriftsteller im Schatten der nationalsozialistischen Herrschaft um eine „aristokratische Form der Emigration“. Gottfried Benn, seit 1917 niedergelassener Arzt in Berlin, war tatsächlich anfangs von der faschistischen Ideologie fasziniert gewesen. Er verfasste gar die Loyalitätsbekundung für Hitler, die eine Reihe der bedeutendsten zeitgenössischen Schriftsteller zum Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste drängte. Doch rasch bekam er zu spüren, dass das neue System überhaupt keinen Platz mehr für die freie Kunst bot. Ab Herbst 1933 wurden die Radioübertragungen seiner Gedichte gestoppt, 1934 folgte ein generelles Sendeverbot für Gottfried Benn. Nach zunehmenden Anfeindungen gab er 1935 seine Praxis auf. Das Dritte Reich überlebte er als Militärarzt.

Dieses Glück wurde dem eher unpolitischen Geist Hans Gustav Bötticher nicht zuteil. Dieser 1883 in Wurzen geborene Schriftsteller, Maler und Kabarettist hatte bereits Jahrzehnte der Wanderschaft, des Hungers und der Not hinter sich, als er ab 1919 endlich ein Ventil für seine übersprühende Kreativität und seinen Witz fand. Fortan reiste er unter dem Künstlernamen „Joachim Ringelnatz“ durch das Land und vermochte sich und seine Frau mit humoristischen Aufführungen mehr schlecht als recht zu ernähren. Dabei etablierte er sich deutschlandweit als respektiertes Mitglied der Kabarett- und Kunstszene, sodass er 1929 schließlich den Entschluss fasste, nach Berlin zu gehen. Doch bereits 1933 folgte das Berufsverbot. Ringelnatz Bücher brannten auf den Scheiterhaufen. Er selbst erlag 1934 vollkommen verarmt der Tuberkulose. Auch E.T.A. Hoffmann, Verfasser von Meisterwerken wie „Die Elixiere des Teufels“ und der Oper „Undine“, zog es nach Berlin. Hin und her gerissen zwischen der Literatur und der Musik suchte der junge Jurist Hoffmann 1807 in der großen Stadt sein Glück in der Kunst. Aber er lernte dort nur den Hunger kennen. Erst im zweiten Anlauf, zurück im juristischen Dienst, konnte er sich in Berlin eine geregelte Existenz aufbauen. Und nun erwarb Hoffmann neben seiner Tätigkeit im Kammergericht schließlich die ersehnte literarische Anerkennung. Doch sollte ihm sein Werk zum Verhängnis werden. Eingesetzt bei der Immediatkommission, die im Zuge der „Demagogenverfolgung“ ab 1820 nach kritischen Geistern fahndete, konnte er seine spitze Zunge nicht mehr zügeln. Mit dem satirischen Werk „Meister Floh“ karikierte er die perfide Vorgehensweise des Polizeiministeriums, insbesondere des Ministerialdirektors Karl Albert von Kamptz. Es folgten die Zensur des Buches und ein Disziplinarverfahren, welches aber nicht mehr abgeschlossen werden konnte. E.T.A. Hoffmann erlag 1822 der Syphilis, die er sich 1807 bei seinem ersten Berlinbesuch zugezogen hatte.

Neben diesen tragischen Geschichten bot Berlin aber auch so manchem Schriftsteller eine glückliche Heimat. Der in Berlin geborene Johann Ludwig Tieck machte in vielen Städten Station, doch zog es ihn stets zurück in seine Heimat. Seine Märchensammlungen und frühen Prosatexte ließen ihn rasch zu einer prägenden Persönlichkeit der deutschen Romantik werden. Nebenbei übersetzte er einige Texte der Weltliteratur ins Deutsche. Lange Zeit wirkte Tieck in Dresden, unter anderem als Dramaturg des Hoftheaters, wo er auch seine Novellensammlung verfasste. 1841 kehrte er auf Einladung König Friedrich Wilhelms IV. endgültig nach Berlin zurück. Als Träger des neuen Ordens Pour le Mérite für Wissenschaft und Künste verbrachte er seine letzten Jahre in Wohlstand. Auch Adelbert von Chamisso, ein Flüchtling aus dem revolutionären Frankreich, fand neben seiner wissenschaftlichen Arbeit in Berlin den Nährboden für sein literarisches Talent. Als Mitherausgeber des „Berliner Musenalmanachs“ sammelte er ab 1804 einen prominenten Literaturkreis um sich. Dabei begegnete er auch E.T.A. Hoffmann, bevor Chamisso sich als Naturforscher auf große Fahrt begab, was Hoffmann mit humoristischen Zeichnungen quittierte. Zurück von seiner Weltreise erlangte Chamisso eine Ehrendoktorwürde nebst Anstellung am Königlichen Herbarium.

Etwa zeitgleich mit dem dichtenden Forscher traf auch das Ehepaar von Arnim in Berlin ein. Achim von Arnim galt zusammen mit Clemens Brentano als bedeutendster Vertreter der Heidelberger Romantik. Sie hatten gemeinsam „Des Knaben Wunderhorn“ veröffentlicht. Von Arnim und seine Frau Bettina, die Schwester Brentanos, etablierten sich rasch in der Kunstszene. Bettina von Arnims „literarischer Salon“ galt zeitweise als kultureller Mittelpunkt Berlins. Achim zog sich derweil zunehmend aus dem Eheleben zurück und bewirtschaftete das geerbte Gut seiner Eltern in Brandenburg, veröffentlichte aber weiterhin zahllose Artikel und Erzählungen in Berliner Zeitungen und Zeitschriften, wie etwa der „Vossischen Zeitung“. Diese angesehene Berliner Publikation sollte ab 1870 auch Theodor Fontane als Theaterkritiker beschäftigen. Fontane, gelernter Apotheker, hatte sich 1849 von seinem bürgerlichen Beruf verabschiedet und sich seither als preußischer Presseagent und Reiseschriftsteller einen Namen gemacht. Nebenbei arbeitete er für diverse Zeitungen, bis er sich krankheitsbedingt zurückzog, um die Meisterwerke „Effi Briest“ und „Der Stechlin“ zu verfassen. Er starb am 20. September 1898 in Berlin. Sein Nachlass befindet sich heute im Besitz der Stiftung Stadtmuseum Berlin.

Wilhelm Busch kam nie nach Berlin. Obwohl er zeitweise in München und Frankfurt am Main gelebt hatte, schuf er einen Großteil seines Lebenswerkes in ländlicher Abgeschiedenheit. Sein Frühwerk „Max und Moritz“ schien anfangs ähnlich erfolglos zu bleiben wie Buschs Versuche, sich als Maler zu etablieren. Für ein Kinderbuch zu deftig, wurden die Streiche der beiden zwischenzeitlich gar als „jugendgefährdend“ eingeschätzt. 1990 erschienen Motive dieses Klassikers dennoch auf bundesdeutschen und Berliner Jugendmarken zum 125. Jubiläum der Erstveröffentlichung.

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Stein, Glas und Gold – Antike Kunst auf den Briefmarken Berlins

Berlin bietet seinen Besuchern rund 175 Museen. Wohl am bekanntesten ist das Ensemble auf der Museumsinsel, das 1999 in Gänze Aufnahme in das UNESCO-Welterbe fand. Neben den großen Werken der Kunst beherbergen die Berliner Sammlungen Wissenswertes für jeden Geschmack, von Architektur bis Zeitgeschichte, Medizin und Abwassertechnik bis hin zu Naturkunde, Erotik oder Polizeihistorie. Auf den Sondermarken Berlins wurde aber auch eine Reihe ausgesuchter Werke der antiken Kunst gewürdigt, von denen einige Stücke von Weltrang in Berlin beheimatet sind. Man denke nur an das Ischtar-Tor im Pergamonmuseum oder die Büste der Nofretete im Ägyptischen Museum Berlin.

Dort befindet sich auch das Ehepaar aus der Nekropole von Gizeh, abgebildet auf der 1984 erschienenen Sondermarken-Ausgabe „Kunstschätze in Berliner Museen“. Im Schatten der weltberühmten Pyramiden wurden zahlreiche Pharaonen, ihre Familienmitglieder, aber auch bedeutende Beamte und Priester beigesetzt. Dabei hinterließen die Baumeister oft sehr lebensnahe Figuren der Verstorbenen. Im „Alten Museum Berlin“, der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, kann man unter anderem die legendäre Königin Kleopatra bestaunen, die einst zunächst Julius Caesar und anschließend Marcus Antonius um den Finger wickelte. Die Marmorbüste, um 30 vor Christus entstanden, darf aber nicht als wirklichkeitsnahes Porträt missverstanden werden. Die Angewohnheit von Herrschern, sich in besonders vorteilhafter Form abbilden zu lassen, zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte. Von sagenhafter Schönheit muss auch Daidameia gewesen sein, die Tochter des Königs Lykomedes. Sie hätte es beinahe geschafft, den großen Achilles vom Kriegszug nach Troja abzuhalten. Erst der listenreiche Odysseus vermochte es, den Helden von seiner Liebsten zu trennen. Die Darstellung auf dem Wert zu 80 Pfennig stammt aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Der Künstler Nicolò da Urbino schuf ihr Bildnis auf einer Majolika-Schale aus dem Berliner Kunstgewerbemuseum. Diese besonderen Fayence- Arbeiten, benannt nach ihrer mallorquinischen Herkunft, stammten ursprünglich aus den Werkstätten arabischer Keramik-Künstler in Spanien.

Das letzte Werk der Sondermarken-Ausgabe vom 12. Januar 1984 fällt in zweierlei Hinsicht heraus. Einerseits stand die „Göttin mit dem Perlenturban“ in der Altamerika-Abteilung des Ethnologischen Museums, war also nicht mediterranen Ursprungs. Andererseits handelte es sich bei der Dame um eine „Ente“, eine englische genau genommen. Der britische Vize-Konsul in Mexiko, Constantine Rickards, hatte in ehrlicher Kulturbegeisterung zahlreiche Kunstwerke nachbilden und auch frei entwerfen lassen. Als ihm während der mexikanischen Revolution das Geld ausging, verkaufte er seine Privatsammlung kurzerhand an internationale Museen. Einzelne Objekte gingen unter anderem an das Museum für Völkerkunde in Berlin. Erst Ende der 80er-Jahre, nach Erscheinen der Briefmarke, entdeckte das Rathgen-Forschungslabor bei einer Thermoluminieszenzuntersuchung, dass das Stück eine Fälschung war. Seither ist die Göttin im Archiv eingelagert.

Am 16. Oktober 1986 widmete sich die Wohlfahrtsmarken-Serie Berlins einer weiteren Kunstform der Antike: der Glasherstellung. Seit ca. 1500 vor Christus verstanden es die Hochkulturen, aus zerkleinertem Quarzgestein oder besonderem Sand und sodahaltiger Pflanzenasche Glas zu produzieren. Verwendet wurde dies vor allem für edle Gebrauchsgegenstände, wie etwa den Kantharos aus dem 1. Jahrhundert auf der Briefmarke zu 50 + 25 Pfennig. Dieses Trinkgefäß war griechischen Ursprungs und fand bei der Verehrung des Dionysos Verwendung. In römischer Zeit verlagerte sich die Anbetung des Weins zunehmend von der sakralen auf eine profanere Ebene. Einhundert Jahre später wurde der Becher mit dem sogenannten Schlangenfadenmuster geschaffen. Das entsteht durch das vorsichtige Aufbringen heißer Glasfäden, ebenso geschehen beim dritten Motiv, einem Kännchen aus dem 3. Jahrhundert. Der letzte Wert dieser Ausgabe zeigt einen Höhepunkt spätantiker Glasbläserarbeit in Deutschland: den Braunsfelder Diatretbecher aus dem Grab eines römischen Gutsherren. Diatretglas wurde in mehreren Schichten hergestellt und anschließend durch einen Schliff verziert. Das vorliegende Glas verfügt über eine geschliffene Netzhülle, die durch ungeschliffene Stege mit dem eigentlichen Gefäßkörper verbunden ist. Von derart prächtigen Gefäßen sind nur wenige erhalten. Dieses findet sich heute in den Beständen des Römisch-Germanischen Museums der Stadt Köln, aus denen auch die anderen Markenmotive stammen.

Die Wohlfahrtsmarken von 1987 griffen das Thema antike Kunst wieder auf, wandten den Blick nun aber auf die Gold- und Silberschmiedekunst. Diese war im alten Griechenland bereits weit entwickelt, als ein vergessener Künstler im 3. Jahrhundert das Schlangenarmband anfertigte. Diese Armreifen waren wegen ihres Amulett-Charakters sehr beliebt. Für die Goldschmiede stellte die Verbindung naturnaher Elemente mit abstrakten Ornamenten eine besondere Herausforderung an ihre Kunstfertigkeit dar. Das abgebildete Stück zeigt zwei goldene Schlangen, deren Enden mit einem Heraklesknoten verbunden sind, den ein Granat ziert. Das Armband ist im Besitz des Schmuckmuseums in Pforzheim. Rund zweihundert Jahre jünger ist die Athena-Schale auf dem Wert zu 60 + 30 Pfennig. Diese war Teil des Hildesheimer Silberfunds von 1868. Bei Ausschachtarbeiten für die Anlage eines Schießstandes waren Soldaten auf einen Hort römischer Ess- und Trinkgeräte gestoßen, vermutlich Teil eines von Germanen zusammengetragenen Beuteschatzes. Hermann Roemer, Mitbegründer des Roemer- und Pelizaeus-Museums in Hildesheim, sorgte dafür, dass zahlreiche von den Soldaten und Anwohnern „sichergestellte“ Teile des Schatzes zurückgegeben wurden. Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass der Fund nicht vollständig ist. Die Schale mit der Göttin Athena ist vermutlich in Alexandria angefertigt worden, seit Kaiser Augustus wichtiger Handelsplatz des römischen Reiches. Heute wird das Stück im Alten Museum in Berlin ausgestellt.

Aus der Völkerwanderungszeit stammt der Haubenschmuck aus dem 5. Jahrhundert. Der bedeutende Sammler und Mäzen Johannes Freiherr von Diergardt brachte ihn, zusammen mit zahlreichen weiteren Stücken, von seinen Reisen an die bulgarische Schwarzmeerküste mit. Als Teil der 6000 Objekte umfassenden „Diergardt-Sammlung“ kam die Goldschmiedearbeit nach dem Tod des Besitzers 1934 in Museumsbesitz. Die Sammlung wurde allerdings durch Bombentreffer beschädigt und teilweise als Kriegsbeute entwendet. Die verbliebenen Reste befinden sich im Römisch-Germanischen Museum in Köln.

Aufbauend auf die Techniken und Motive der Antike entstanden auch im mittelalterlichen Europa bedeutende Arbeiten. Die Sondermarke zu 70 + 35 Pfennig aus dem Jahr 1987 präsentiert ein solches Meisterwerk aus dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Es handelt sich um einen Oberarmschmuck aus der Zeit um 1180. Dieser geht der Form nach auf die römische „Armilla“ zurück. Als besondere Auszeichnungen konnten Legionäre ein solches goldenes Armband verliehen bekommen. Das abgebildete Stück stammt aber nicht aus Rom, sondern aus dem Rhein-Maas-Gebiet, dem alten Siedlungsraum der Franken. Im Mittelalter wuchs die Region zu einem der bedeutendsten Wirtschaftszentren Europas, die Goldarbeit mit einer Kreuzigungsszene Christi belegt zumindest den Wohlstand des einstigen Besitzers.

Auf Berliner Briefmarken gibt es noch weitere Werke der Gold- und Silberschmiedekunst zu entdecken, allerdings aus späteren Epochen.

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Sporthauptstadt Berlin – Turnfeste und Weltmeisterschaften

Das moderne Berlin ist ein wahres Sportzentrum. In rund 2000 Vereinen betätigen sich Breiten- wie auch Leistungssportler für ihre Gesundheit und die Freude am Sport. Auch der Spitzensport ist prominent vertreten. Profiteams wie die Herta BSC oder die Berliner Eisbären repräsentieren die Stadt in den Stadien des Landes, und der Deutsche Olympische Sportbund hat in der Hauptstadt seinen größten Olympiastützpunkt.

Bereits in der Vergangenheit zog Berlin als Austragungsort großer Wettbewerbe Sportler aus aller Welt an. Die berühmt-berüchtigte Olympiade von 1936, die von den Nationalsozialisten als ideologische Werbeplattform missbraucht worden war, schenkte der Stadt eine weitläufige sportliche Infrastruktur. Manche Gebäude fielen dem Krieg zum Opfer, andere erfuhren eine alternative Nutzung, wie etwa das Olympische Dorf, das nach dem Krieg als Kaserne für die sowjetischen Truppen diente. Das Sportforum wurde von den Briten als Hauptquartier genutzt und für die Öffentlichkeit gesperrt. Das Olympiastadion aber blieb bestehen und ist vielen Menschen als Spielort und Endspielstadion der Fußball-WM in Deutschland 2006 vertraut.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stand der Sport im ganzen Lande erst einmal hinter den Fragen des Überlebens zurück. Zwar fanden vereinzelt Wettkämpfe statt, die auch unter alliierter Mitwirkung organisiert worden waren. Doch lag die Wiederbelebung des Vereinswesens in der frühen Nachkriegszeit erst einmal in den Händen der Bürger. Man spielte Hand- oder Fußball, wo Platz war. Ob in Straßenschuhen oder barfuß, im Hemd oder in Trikots, die aus Stoffresten oder alten Fallschirmen genäht wurden. Die sportliche Betätigung verschaffte den Menschen einen kleinen, dringend benötigten Ausgleich vom harten Alltag. Mit dem Wiederaufbau und dem Wirtschaftswunder sollte es eine rasche Wiedergeburt des Sports geben, die sich auch auf den Briefmarkenausgaben Berlins widerspiegelt.

1811 hatte der berühmte Turnvater Jahn auf der Hasenheide, einem Park im Stadtteil Neukölln, den ersten Sportplatz errichtet. Zum 50. Jubiläum 1861 fand hier das 2. Deutsche Turnfest statt. Nach dem Krieg nahm man die Tradition wieder auf, allerdings bekam die Veranstaltung ab 1953 Konkurrenz. Unmittelbar im Anschluss an das Hamburger »Deutsche Turnfest« fand in Leipzig das „Erste Deutsche Turn- und Sportfest“ statt. Diese ostdeutsche Konkurrenz- bzw. im turnerischen Sinne natürlich Partnerveranstaltung lief ab 1963 dann mit dem Zusatz »Sportfest der DDR«. 1968 kehrte die westdeutsche Großveranstaltung nach Berlin zurück. 68.000 Turnerinnen und Turner reisten damals – zumeist per Flugzeug – an und feierten. Für die geteilte Stadt war der Turnsport auch symbolisch zu verstehen, hatte Friedrich Ludwig Jahn sich doch seinerzeit die Einheit Deutschlands über den Weg der Körperertüchtigung zum Ziel gesetzt. Einige der gepflanzten Eichenbäumchen stehen noch heute. Das Berliner Turnfest von 1987 hatte über 120.000 Festteilnehmer, unter den Besuchern befanden sich Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Kanzler Kohl. Doch so kurz nach dem großen Jubiläum des Vorjahres, »175 Jahren Turnplatz Hasenheide«, konnte noch niemand ahnen, wie bald der Wunsch des Turnvaters in Erfüllung gehen sollte.

Der internationalen Völkerverständigung und der verbindenden Begeisterung für den Sport ist auch die Gymnaestrada des Weltgymnastikverbands gewidmet. Zu diesen Turnfesten treffen sich seit 1953 Gruppen aus aller Welt, um in einer Vielzahl von Vorführungen die Schönheit ihres Sports zu präsentieren. Dies geschieht ohne Wettbewerbscharakter. 1975 sorgte die Veranstaltung der 6. Gymnaestrada in Berlin für heftige Proteste. Die osteuropäischen Länder verwiesen auf den Viermächtestatus Berlins, der keine internationalen Veranstaltungen zuließe. Und so fand nahezu zeitgleich in Konkurrenz die »6. Völker-Spartakiade« in Moskau statt. Dennoch kamen über 10.000 Turnerinnen und Turner aus 23 Ländern nach Westberlin.

In den folgenden Jahren gelang es den Berliner Sportfunktionären, eine ganze Reihe von Weltmeisterschaftswettkämpfen in ihre Stadt zu holen. 1976 gastierten die Hockey-Teams der Damen in Berlin. Beflügelt vom Publikum, errang die deutsche Elf den Weltmeistertitel vor Argentinien. 1978 traf sich in Berlin die internationale Elite des Schwimmsports. Austragungsort war das alte Olympia-Schwimmstadion von 1936, das wie durch ein Wunder von Bombenschäden verschont worden war. Bereits am 20. Juni 1945, also gerade einmal sechs Wochen nach Kriegsende, war die Anlage wieder für die Bevölkerung geöffnet worden. Anlässlich der Weltmeisterschaft wurde das Stadion komplett renoviert, sodass die Leistungssportler aus aller Welt – und aus beiden politischen Machtblöcken – gegeneinander antreten konnten. Amerikaner und Sowjets stritten um die Plätze auf dem Podest, aber auch Deutsche aus der Bundesrepublik und der DDR maßen ihre Kräfte miteinander. Während in den ersten Jahren der beiden deutschen Staaten mühselige diplomatische Verrenkungen erfolgt waren, um den jeweiligen Alleinvertretungsanspruch aufrecht zu erhalten, vermochte der Sport mittlerweile selbst in der umstrittenen Stadt Berlin die Grenzen der Lager zu überwinden, wenn auch nur für die Dauer der Wettkämpfe. 1979 errangen die deutschen Bogenschützen der Herren bei der Weltmeisterschaft in Berlin den zweiten Platz im Mannschaftswettbewerb, knapp hinter den USA.

1980er-Jahren schließlich drei weitere internationale Wettkämpfe in Berlin. Der erste fand 1983 statt. Während in Düsseldorf die Weltmeisterschaften im Hockey ausgetragen wurden, trafen sich in Berlin ungleich graziösere Paarungen zum Wettstreit. Zu Gast war nämlich die Europameisterschaft in den Lateinamerikanischen Tänzen. Drei Jahre später trafen sich die Nachwuchs-Besten des europäischen Schwimmsports und trugen untereinander die Jugend-Europameisterschaften aus. Vom 10. bis zum 18. Juni 1989, also während der sowjetische Staatschef Gorbatschow und Bundeskanzler Kohl in Bonn über das »Selbstbestimmungsrecht aller Völker« sprachen, sah das geteilte Berlin seine letzte internationale Sportveranstaltung: die 11. Champions Trophy der Herren im Hockey. Zwar vermochte sich das deutsche Team gegen England und Pakistan zu behaupten, ein Unentschieden gegen Australien sowie zwei Niederlagen gegen Indien und die Niederlande sollten den Spielern aber die Titelverteidigung verhageln. Sie mussten sich mit dem dritten Platz, hinter Australien und den Niederlanden, begnügen.

Seit 1990 ist Berlin aus dem nationalen und internationalen Sport nicht mehr wegzudenken. Die Sporthauptstadt des wiedervereinten Deutschlands wird weiterhin Menschen aus aller Welt anlocken, die gemeinsam die Freude und Spannung des Wettkampfes genießen. In der Geschichte der geteilten Stadt hat der Sport jedoch tiefe Spuren hinterlassen. Er hat die Menschen geprägt und ihnen auf dem Weg in die Wiedervereinigung unvergessliche Momente beschert.

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Rollen und Zwänge – Frauen der deutschen Geschichte

Es war sicherlich gut gemeint, als 1986 eine neue Freimarkenserie für die Bundesrepublik und Berlin mit dem Titel „Frauen der deutschen Geschichte“ herausgegeben wurde. Betrachtet man den Ausgabenkatalog, wird die Benachteiligung des weiblichen Geschlechts bei den philatelistischen Ehrungen offensichtlich. Dennoch kann man das Konzept nicht als rundum geglückt bezeichnen. Die porträtierten Damen hatten zu Lebzeiten in den unterschiedlichsten Bereichen große Leistungen erbracht. Der einzige Grund, sie in einer gemeinsamen Markenserie zusammenzufassen, bestand darin, dass sie Frauen waren. Damit werden ihre individuellen Biographien nicht wirklich gewürdigt. Abgesehen von diesem Makel, ist die Freimarkenserie aber ein Geschenk für jeden Briefmarkensammler, sofern er sich die Mühe macht, sich mit dem Leben der Geehrten auseinander zu setzen. Im Übrigen werden gerade die hohen Pfennigwerte mittlerweile zu stattlichen Preisen gehandelt.

Der Höchstwert der Serie zu 500 Pfennig erschien am 12. Januar 1989 und ist einer bedeutenden Kämpferin für die Frauenrechte gewidmet: der gebürtigen Berlinerin Alice Salomon. Am 19. April 1872 erblickte sie als Tochter aus gutbürgerlichem Hause die Welt. Dieses Privileg entpuppte sich für das begabte Mädchen jedoch bald als Bürde. In ihren Kreisen war die Berufsausübung für junge Frauen verpönt. Erst mit 21 Jahren gelang Alice Salomon endlich der Schritt in die Selbstständigkeit, als sie in den „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ tätig wurde. Diese von Jeanette Schwerin geleitete Berliner Organisation hatte sich zum Ziel gesetzt, der ehrenamtlichen Laienhilfe von Bürgersfrauen ein professionelles Fundament zu geben. Dazu gehörten Vorträge über Recht, Wirtschaft, Pflege und Fürsorge sowie praktische Anleitungen. Schwerin und ihre spätere Nachfolgerin Salomon werden daher heute als Wegbereiterinnen der Sozialen Arbeit gewürdigt. Alice Salomons Engagement beschränkte sich aber nicht nur auf karitative Dienste, wie die Unterstützung benachteiligter Frauen bei der Kindererziehung. Sie wollte auch die Rolle der Frau in der Gesellschaft stärken und trat daher 1900 in den „Bund Deutscher Frauenvereine“ ein, den Dachverband der bürgerlichen Frauenbewegung. Ab 1902 folgte ein Studium in Philosophie, Geschichte und Nationalökonomie, das sie mit Promotion abschloss. Das Thema ihrer Doktorarbeit ist erschreckend aktuell: ungleiche Löhne für Frauen und Männer. 1908 gründete Alice Salomon ihre eigene Bildungseinrichtung, die „Soziale Frauenschule“. Doch der große Erfolg ihrer Arbeit wurde bereits kurz nach dem Ersten Weltkrieg von wachsenden antisemitischen Tendenzen in der deutschen Gesellschaft überschattet. Der „Bund Deutscher Frauenvereine“ scheute sich, die aus einer jüdischen Familie stammende Salomon in den Vorstand zu wählen. Alice Salomon trat daraufhin 1920 aus dem Bund aus. Stattdessen widmete sie sich der Einrichtung einer eigenen Hochschule, der „Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit“. Die veröffentlichten Arbeiten dieser Hochschule erwiesen sich als Grundlagenwerke für die Untersuchung familiärer und sozialer Not. Die Inflationsjahre bescherten den Wissenschaftlerinnen auf tragische Weise hinreichend Fallbeispiele. 1932 wurde Alice Salomon noch mit Preisen gewürdigt, ein Jahr später verlor sie alle Ämter. Das neue Regime wollte die konvertierte Jüdin mit ihren nicht systemkonformen Ideen über die Rolle der Frau in der Gesellschaft loswerden. Die Nationalsozialisten stellten sie vor die Wahl: Ausweisung oder Verhaftung. Alice Salomon entschied sich für das Leben. Aber die erzwungene Ausreise aus Deutschland 1937 beendete ihre Karriere. Sie starb 1948 in den USA.

Auch die beiden Freimarkenwerte vom 13. Juli 1989 zeigen zwei Frauen, deren Leben durch historische Veränderungen eine Zäsur erfahren hatte. Lotte Lehmann, zu sehen auf dem Wert zu 180 Pfennig, war eine der bedeutendsten Sopranistinnen der jüngeren deutschen Musikgeschichte. Entgegen des Wunsches ihrer Eltern, einen „anständigen Beruf“ auszuüben, hatte sie ihrer Leidenschaft folgend eine Gesangsausbildung absolviert.

Karriere an der Hamburger Oper. Wenige Jahre später begeisterte sie das Wiener Publikum, zuerst an der Hof-, anschließend an der Staatsoper. Sie galt als die beste Strauss- und Wagner-Interpretin ihrer Zeit und gastierte auf ihren Tourneen in den wichtigsten Metropolen Europas und Amerikas. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 veränderte ihre Situation grundlegend. Das Regime warb um die Sängerin und wollte sie gern in den staatlichen Kulturbetrieb integrieren, was Lotte Lehmann aber ablehnte. Daraufhin wurden ihr Gastauftritte in Deutschland verwehrt. Durch den Anschluss Österreichs 1938 sah sie sich schließlich veranlasst, ihre Wahl-Heimat Wien zu verlassen. Wie zahlreiche andere Künstler ging sie in die USA. Über zehn Jahre wirkte sie erfolgreich an der Metropolitan Opera in New York, bis sie, weit über 60 Jahre alt, ihren Abschied von der Bühne nahm. 1976 verstarb Lotte Lehmann in Kalifornien. Ihr Leichnam wurde aber wunschgemäß nach Wien überführt, wo sie in einem Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof ihre letzte Ruhe fand.

Auch Königin Luise von Preußen wurde nach ihrem Tod umgebettet. Ihr Mausoleum befindet sich im Schlosspark Charlottenburg, über 100 Kilometer vom Schloss Hohenzieritz entfernt, wo sie am 19. Juli 1810 einem Lungenleiden erlag. Zwischenzeitlich hatte ihr Sarg eine Ruhestätte im Berliner Dom gefunden, bis ihr endgültiges Grabmal fertiggestellt war. Die viel bewunderte Königin hatte zu Lebzeiten eine Popularität erfahren, die sich nach ihrem frühen Tode ins Unermessliche steigerte. In der Bevölkerung galt sie als volksnahe und herzliche Landesmutter. Tatsächlich erzählen die Quellen davon, dass Königin Luise sich nur allmählich in das Protokoll bei Hofe einzufügen gelernt hat. Ihre ungezwungene Art stand stets im Kontrast zu ihrer gehobenen Stellung. Der junge König, Friedrich Wilhelm III., schien diese Eigenschaft zu schätzen, und die zahlreichen Besuche des Königspaares bei Volksfesten und anderen nicht ganz standesgemäßen Veranstaltungen trugen entsprechend zur Wertschätzung im preußischen Volk bei. Diese hatte der preußische Monarch auch bitter nötig, da die politische Situation höchst brisant war. Der französische Kaiser Napoleon stand im Begriff , ganz Europa unter seine Herrschaft zu bringen. Preußens Neutralität vermochte das Königreich nicht vor dem Konflikt mit Frankreich zu schützen. 1806 vernichtete Napoleon die preußischen Heere und zwang Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise zur Flucht nach Osten. In Königsberg erkrankte sie an einem schweren Fieber. Dennoch musste sie ihre Reise fortsetzen, da sich die Franzosen bereits der Stadt näherten. Das Bild der in einer Kutsche über die Kurische Nehrung fliehenden Luise wurde später von etlichen patriotischen Künstlern in dramatischen Versionen auf Leinwand gebannt. 1807 musste sich Preußen den harten Friedensbedingungen Napoleons unterwerfen. Auch das ebenfalls im „Luisen-Mythos“ oft beschriebene Treffen der Königin mit dem französischen Herrscher vermochte das Schicksal ihres Heimatlandes nicht zu lindern. Der Kaiser zeigte sich zwar beeindruckt von der „wirklich bezaubernden“ Luise, hatte aber keinerlei Neigung, ihr zu Liebe seine machtpolitischen Gewinne zu schmälern. Preußen wurde in den folgenden zwei Jahren von Königsberg aus regiert. Die gesundheitlich angeschlagene Königin litt nach eigenem Bekunden unter dem harten Klima Ostpreußens. Auch nach der Rückkehr nach Berlin 1809 besserte sich ihr Zustand nicht mehr. Bei einem Kuraufenthalt in Neustrelitz besuchte sie ihren Vater, doch nur wenige Wochen nach der Ankunft auf dessen Sommerresidenz Hohenzieritz erlag sie der Krankheit.

Die Freimarken „Frauen der deutschen Geschichte“ wurden in der Bundesrepublik bis Anfang 2003 fortgeführt. Die insgesamt 17 Berliner Werte waren bis zum 31. Dezember 1991 gültig, dann wurden sie aus dem Postverkehr genommen.

In den letzten Jahren des Sammelgebiets Berlin erschien noch eine ganze Reihe von Freimarken aus der Serie „Frauen der deutschen Geschichte“. Wieder war es dem Grafiker Gerd Aretz meisterhaft gelungen, einige der ganz großen Persönlichkeiten der deutschen Geschichte auf Briefmarke zu bannen. Am 5. Mai 1988 kamen zwei Frauenporträts an die Postschalter: die Tennislegende Cilly Aussem und die Kernphysikerin Lise Meitner. Letztere war gebürtige Österreicherin, hatte sich aber nach ihrer Promotion in Wien an die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin begeben, wo sie den jungen Chemiker Otto Hahn kennen lernte. 30 Jahre lang arbeiteten die beiden als kongeniales Team an den Grundlagen der Kernspaltung. Lise Meitner wurde 1926 die erste Professorin für Physik in der deutschen Wissenschaftsgeschichte. Auch nach ihrem durch die Nationalsozialisten erzwungenem Exil blieb die Freundschaft zu Hahn bestehen. Noch heute erinnert der Hahn-Meitner-Bau auf dem Gelände der FU Berlin an die beiden Wissenschaftler. Die Tennisspielerin Cilly Aussem war bereits als Teenager eine ambitionierte Sportlerin. Trotz zahlreicher gesundheitlicher Rückschläge arbeitete sich das Jungtalent bis an die Weltspitze und sorgte 1931 mit ihren Siegen bei den französischen Meisterschaften und in Wimbledon für Furore. Aussem war die erste Deutsche, die dieses prestigeträchtige britische Turnier gewann.

Ein halbes Jahr später, am 10. November 1988, folgte in Berlin der nunmehr fünfte Teil der Frauen-Freimarken, der mit einigen hohen Werten aufwartete. Diese sind gerade in echt gelaufener Erhaltung unter Sammlern begehrt. Die abgebildeten Damen präsentieren ein breites Panorama des Schaffens, das von der Medizin über Schauspiel, Philosophie und Politik bis hin zum Kampf für die Frauenrechte reicht. Bei Dorothea Christiane Erxleben war die berufliche Laufbahn untrennbar mit dem Kampf für die Emanzipation verbunden. Die 1715 geborene Akademikertochter hatte bereits im Elternhaus intensiven Kontakt zur Medizin. Zusammen mit ihrem Bruder erhielt sie Privatunterricht vom Vater, dem Stadtphysikus von Quedlinburg. Doch im Gegensatz zu ihrem Bruder blieb Dorothea die universitäre Ausbildung verschlossen.

Frauen waren an den Hochschulen nicht zugelassen. Erst ein Brief an den Preußenkönig Friedrich den Großen persönlich bewirkte ihre Zulassung zur Promotion an der Universität Halle. Dorothea Erxleben war damit die erste promovierte Ärztin in Deutschland. Auch Mathilde Franziska Anneke musste zeitlebens um ihr Glück kämpfen. Als 19-Jährige wurde sie zur Entschuldung ihrer Familie 1836 in eine Vernunftehe gedrängt. Doch nur ein Jahr später verließ die junge Frau ihren prügelnden Ehemann und strengte ein drei Jahre dauerndes Scheidungsverfahren an, in dem sie schließlich das Sorgerecht für ihre Tochter errang. Ihre literarische Begeisterung führte sie zunächst in das Umfeld Anette von Droste-Hülshoffs, doch über ihren zweiten Ehemann, den freiheitlich gesinnten Ex-Offizier Fritz Anneke, wurde ihr politisches Interesse geweckt. In Köln traf sie mit Marx, Engels und Lassalle zusammen und versuchte sich erstmals als Herausgeberin einer Zeitung. Als aktive Teilnehmerin an den Verfassungskämpfen in der Pfalz teilte sie zusammen mit Mann und Kindern das Schicksal vieler 1848er und emigrierte in die USA. Anneke arbeitete fortan als Amerika-Korrespondentin für deutsche Zeitungen und publizierte in den USA erneut ihre in der Heimat verbotene „Frauen-Zeitung“. Bald machte sich die streitbare Deutsche einen Namen in der amerikanischen Frauenrechts- Bewegung und widmete sich den Rest ihres Lebens dem Kampf gegen Diskriminierung. Von einer ganz anderen Warte aus stritt die 1871 in Dortmund geborene Hedwig Dransfeld für die Emanzipation.

Nach dem frühen Tod ihrer Eltern wuchs sie in einem Waisenhaus auf. Von dort aus gelang ihr die Ausbildung zur Lehrerin, sodass sie 1897 sogar zur Leiterin der katholischen Mädchenschule des Ursulinen-Stifts aufstieg. Aus dieser Position heraus entwickelte sich Hedwig Dransfeld zu einer Aktivistin der katholischen Frauenbewegung und schaffte es 1920 in den Reichstag, wo sie für die Zentrumspartei für ehe- und familienpolitische Fragen zuständig war.

Die letzten beiden Frauen der Ausgabe vom 10. November 1988 mussten ihre herausragenden Talente in schwierigen politischen Zeiten behaupten. Die Schauspielerin Therese Giese und die gefeierte Soziologin und Politologin Hannah Arendt waren beide jüdischer Abstammung und konnten daher ab 1933 nicht mehr in Deutschland arbeiten. Giese hatte zusammen mit Magnus Hennig und den Geschwistern Erika und Klaus Mann die satirische „Pfeffermühle“ ins Leben gerufen. Doch unmittelbar nach der Premiere am 1. Januar 1933 musste das Ensemble ins Ausland fliehen. Bis 1936 tourten sie durch Europa. Nach dem Krieg kehrte Therese Giese aus ihrem amerikanischen Exil zurück und glänzte am Schauspielhaus Zürich in zahlreichen bedeutenden Rollen. Als „Mutter Courage“ und im „Besuch der alten Dame“ schrieb sie Theatergeschichte. Hannah Arendt fühlte sich schon früh zu philosophischen Fragen hingezogen. Im Studium setzte sie sich auf Augenhöhe mit den Lehren Heideggers und Jaspers auseinander, zu denen sie auch privat Kontakt hielt. Durch die sich anbahnende Herrschaft der Nationalsozialisten entwickelte Arendt in den frühen 30er-Jahren eine kämpferische Haltung, die sie durch die Auseinandersetzung mit ihrer jüdischen Identität zum politischen Zionismus führte. Später – Arendt hatte bereits durch ihre existenzphilosophischen Schriften viel akademische Aufmerksamkeit gewonnen – widmete sie sich beständig der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Antisemitismus als historische Konstante. Ihre Arbeiten zum Totalitarismus sind Grundlagenwerke. 1961 verfolgte Hannah Arendt schließlich als Berichterstatterin einer amerikanischen Zeitung den Prozess gegen Adolf Eichmann. In diesem Zusammenhang sprach sie von der „Banalität des Bösen“ – eine Wortschöpfung, die bis heute den Diskurs prägt. Bis zu ihrem Tod 1975 blieb Arendt publizistisch aktiv und für viele Zeitgenossen unbequem.

Unbequem war augenscheinlich auch der 1885 in Berlin gegründete „Verein zur Wahrung der Interessen der Arbeiterinnen“ – zumindest den Behörden. Bis 1890 galt in Deutschland noch das „Sozialistengesetz“ oder korrekt: „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“. Der Obrigkeit stand mit diesem Gesetz ein mächtiges Werkzeug zur Verfügung, um unliebsame politische Tätigkeiten zu unterbinden. Sie ließ die über 1000 Mitglieder umfassende Organisation durch die Polizei auflösen. Dieser Unterstützungsverein war das Werk Emma Ihrers, die am 9. Februar 1989 auf der 5-Pfennig Freimarke der Frauen-Serie zu sehen ist. Die Sozialistin und Feministin hatte sich bereits vorher in der Frauenhilfe engagiert. Später reiste sie an der Seite Clara Zetkins zum Pariser Internationalen Arbeiterkongress und vertrat unter anderem zusammen mit August Bebel und Wilhelm Liebknecht die deutsche Delegation. Zetkin und Ihrer setzten sich vor allen Dingen für die Gleichberechtigung der Arbeiterinnen innerhalb der Bewegung ein. Die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit war nur folgerichtig, dürfte allerdings manchem männlichen Sozialisten nicht gefallen haben. Emma Ihrers politisches Engagement und ihre zahlreichen Vereinsgründungen sollten sie immer wieder in Konflikt mit den Behörden bringen. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen wurde ihrem Ehemann, Emmanuel Ihrer, sogar die Konzession für den Betrieb seiner Apotheke entzogen. So versuchte die Ordnungsmacht die wirtschaftliche Grundlage der Familie zu zerstören. Emma Ihrer war auch publizistisch aktiv und gab unter anderem die Zeitschrift „Die Arbeiterin“ heraus, die später unter dem Titel „Die Gleichheit“ erschien und von Clara Zetkin redigiert wurde. Ihrer starb am 8. Januar 1911. Sie ruht auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde, wo immer noch ihr Grabstein steht. Er trägt die Inschrift: „Wirken für andere war ihres Glückes ergiebigster Quell.“

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Berlinkrise und Mauerbau – »Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten.«

„Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten.“ Diese Aussage Walter Ulbrichts während einer Pressekonferenz am 15. Juni 1961 wurde nur wenige Wochen später vom Regime der DDR widerlegt. In den frühen Morgenstunden des 13. August 1961 riegelten NVA-Soldaten, Polizeikräfte und paramilitärische Arbeitergruppen volkseigener Betriebe sämtliche Verkehrswege nach Westberlin ab. Zäune, Stacheldraht und erste Mauerabschnitte wurden errichtet, während sich sowjetische Militäreinheiten im Hintergrund bereithielten, einem möglichen Aufbegehren der Bevölkerung entgegenzutreten. Die drei Westsektoren der geteilten Stadt wurden förmlich eingemauert, das „Schaufenster des Westens“ war von nun an vergittert. Doch waren es nicht die Westberliner, die man mit dieser unbeschreiblichen Tat in die Schranken weisen wollte. Es ging vielmehr um die eigene Bevölkerung. Denn zahlreiche Bürger der DDR hatten in den zurückliegenden zwölf Jahren ihrer Heimat den Rücken gekehrt und waren in den Westen gegangen. Die Gründe konnten wirtschaftlicher oder familiärer Natur sein, über allem aber schwebte die Unzufriedenheit der Bürger mit dem politischen Regime.

Bereits 1952 hatte die junge DDR ihre Landesgrenze zur Bundesrepublik „gesichert“. Die Demarkationslinien erhielten Zäune und Grenzpatrouillen. Eine Sperrzone begrenzte den Zugang ins Grenzgebiet. Im Juni 1952 griff die „Aktion Ungeziefer“: Politisch verdächtige oder unzuverlässige Grenzanwohner wurden ins Landes - innere umgesiedelt, zahllose Höfe stillgelegt und bei Widerstand ganze Dörfer geräumt und dem Erdboden gleichgemacht. Auch in Berlin hätte die DDR-Führung gern eine ähnliche Abschottung der Sektoren vorgenommen. Doch war dies einerseits aus verkehrstechnischen Gründen kaum realisierbar. Andererseits sprach sich Moskau dagegen aus. Noch hoffte die Sowjetunion auf die Schaffung einer „freien Stadt Berlin“ im Sinne einer Dreistaatenlösung für Deutschland. Folglich beschränkte man sich in Berlin auf verstärkte Kontrollen und bürokratische Hürden. Passierscheine für den Übertritt der Sektorengrenzen waren üblich, später registrierte man „Grenzgänger“, also Ostberliner, die im Westen arbeiteten, und legte ihnen besondere Bürden auf, wie etwa die Pflicht, Mietzahlungen in D-Mark zu leisten.

Dennoch blieb die offene Grenze in Berlin ein einziges Fluchttor in den Westen. Seit Konstruktion der innerdeutschen Grenzanlagen verlagerten sich die Ströme der Ausreisewilligen in die Stadt. Die Zahlen der registrierten Notaufnahmeverfahren bei den westlichen Behörden belegen etwa für 1953 mit über 300.000 Aufnahmeanträgen zwölf Mal mehr Ausreisen über Berlin als über die restliche innerdeutsche Grenze. Bis August 1961 waren 1,6 Millionen Bürger über Berlin ausgereist. Insgesamt geht man von rund 3,5 Millionen Menschen aus, die bis dahin das Gebiet der DDR verlassen hatten. Allein am 12. August 1961, einen Tag vor der Schließung der Grenzen, kamen 3.190 Menschen nach Westberlin. Das Ausmaß dieser Abwanderung stellte für den Staat ein ernstes Problem dar. Denn besonders die hoch qualifizierten Fachkräfte suchten ihr Glück im Westen. Sie wurden aber von der schwächelnden Wirtschaft im Osten dringend benötigt.

Die schwierige Lage in Berlin hatte bereits 1958 die „Berlin-Krise“ ausgelöst. Der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow hatte den drei Westmächten ein Ultimatum gestellt: Abzug ihrer Truppen aus Berlin und Verwandlung der Metropole in eine freie Stadt binnen Jahresfrist. Andernfalls würde die Kontrolle der Verkehrswege der DDR übergeben, um die Flüchtlingsströme zu stoppen. Die Außenminister Großbritanniens, Frankreichs, der USA und der Bundesrepublik wiesen diese Forderungen einstimmig zurück. Die NATO bekräftigte noch einmal, dass Westberlin zum Schutzbereich des Militärbündnisses gehöre, und Chruschtschow drohte am Ende gar mit Krieg. Doch der Westen verweigerte jegliche Zugeständnisse. US-Präsident Kennedy definierte stattdessen im Juli 1961 die Grundsätze des alliierten Standpunktes, „The Three Essentials“: erstens das Recht des Aufenthalts der Westmächte in ihren Sektoren, zweitens den freien Zugang nach Berlin und drittens den Schutz der Westberliner Bevölkerung durch die Alliierten. Am 3. August 1961 erteilte Chruschtschow schließlich Walter Ulbricht die Genehmigung für die Schließung der Sektorengrenzen.

Die internationalen Reaktionen auf den Mauerbau waren verhalten. Den Westalliierten war bewusst, dass eine weitere Eskalation unweigerlich zum Krieg führen würde. Den aber galt es zu vermeiden. Bereits von 1950 bis 1953 hatte die westliche Staatengemeinschaft in Korea einen blutigen Krieg gegen das Vordringen des Kommunismus geführt. In Indochina brodelte seit Jahrzehnten ein Konflikt, in den die USA zumindest inoffiziell bereits verwickelt war. Kennedys Antwort an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, fiel entsprechend aus: Diese Maßnahmen könnten nur durch Krieg beseitigt werden, und den wolle niemand.

In dem Punkt hatte er sicherlich Recht. Aber die Menschen wollten auch nicht eingesperrt sein. Gerade in der ersten Phase des Mauerbaus gelang immer wieder die Flucht in die Westsektoren. Menschen seilten sich aus noch offenen Fenstern von Häusern direkt am Zonenrand ab, wo gelegentlich bereits die Westberliner Feuerwehr mit Sprungtüchern wartete. Spektakuläre Szenen und tödliche Unfälle ereigneten sich, auch aus den Reihen der Sicherheitskräfte gab es etliche Desertionen in den Westen. Am bekanntesten wurde der Grenzpolizist Conrad Schumann, dessen Sprung über die Stacheldrahtrollen weltweit durch alle Medien ging.

Die Bürger Westberlins standen unter Schock. Unter größter Anspannung verfolgten sie die Geschehnisse. Die Proteste ihrer Politiker verhallten vor den geschlossenen Toren der Weltpolitik. Die USA versuchten immerhin ein Zeichen der Hoffnung zu setzen. Kennedy schickte den „Vater der Luftbrücke“ von 1948, Lucius D. Clay, gemeinsam mit Vizepräsident Lyndon B. Johnson nach Berlin. Ihnen folgten 1.500 amerikanische Soldaten zur symbolischen Verstärkung der amerikanischen Schutzmacht. Am Checkpoint Charly standen sich im Oktober kurzzeitig amerikanische und sowjetische Panzer gegenüber, aber keine Seite wollte eine ernsthafte Auseinandersetzung riskieren. So erschütternd die Vorgänge des Mauerbaus waren, sollte dieser doch insgesamt zu einer Stabilisierung der Lage führen. Chruschtschow nahm von seinen Forderungen Abstand, und im Westen überwog ehrliche Erleichterung über die Vermeidung eines neuen Konfliktes, der schnell in einen atomaren Weltkrieg hätte ausarten können. Zwar setzten sich die Streitereien fort, jedoch häufig in Form bürokratischer Maßnahmen. Konnte sich 1957 noch der dritte deutsche Bundestag zur konstituierenden Sitzung in Berlin zusammenfinden, untersagte die DDR später die Einreise bundesdeutscher Minister und Beamter. Betrachtet man die Briefmarkenausgaben Berlins, fällt die Freimarkenserie „Bedeutende Deutsche“ ins Auge. Sie erschien am 15. Juni 1961, dem Tag der einleitend zitierten Äußerung Ulbrichts, und dokumentiert die Suche nach Kontinuität in der Geschichte. Dieser Wunsch wurde von den Ereignissen des Jahres 1961 hinweggefegt.

Für die Berliner und die Deutschen in Ost und West sollte die Berliner Mauer ein Zeichen für die gewaltsame Trennung werden. Vom DDR-Regime als „Antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet, setzte sich vielerorts der Name „Schandmauer“ durch. Bundespräsident Heinrich Lübke zeigte sich während seiner langen Amtszeit besorgt und solidarisch und richtete seine Neujahrsansprache 1963 an seine „lieben Landsleute in Ostberlin“. In Berlin engagierte sich unter anderem das „Kuratorium Unteilbares Deutschland“. Der Vorsitzende Paul Löbe, ehemaliger Reichstagspräsident und Mitverschwörer von 1944, trat für die Interessen der Heimatvertriebenen ein und initiierte mit seinen Mitstreitern Solidaritätsaufrufe. Plakate mit der Aufforderung „Denk an Drüben“ wurden aufgehängt und ein Paketversand in die DDR organisiert. Ebenfalls um die Belange der Landsleute in Osteuropa kümmerte sich der „Ostdeutsche Kulturrat“. Trotz aller Erschütterung lernten die Berliner, mit der Mauer zu leben. Für die Stadtkinder organisierte das Hilfswerk Berlin bereits seit der Blockade von 1948 unter dem Motto „Ein Platz an der Sonne“ Ferienreisen mit der „Kinder-Luftbrücke“. Später wurde daraus eine wichtige karitative Stiftung.

Für die DDR bedeutete die 167,8 Kilometer lange Mauer die Zementierung ihres Ansehens als Unrechtsstaat. Die immensen Kosten für Bau, Erhalt und personelle Besetzung sollten fortan eine schwere Belastung darstellen. Jährlich verschlangen die Grenzanlagen der DDR bis zu 500 Millionen Mark, die Sicherung übernahmen 40.000 Grenzsoldaten. Das Geld und die Menschen sollten an anderer Stelle fehlen.

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„Tear Down This Wall!“ – Berlin zwischen Overkill und Perestroika

Das Berlin der 80er-Jahre ist subkulturelle Legende. Im Schatten der Mauer entwickelte sich hektische Kreativität. „Ich steh auf Berlin“, sangen die Berliner Vorreiter der Neuen Deutschen Welle, Ideal. War die vergangene Dekade von den radikalen Auswüchsen einer politischen Protestkultur geprägt, versuchten Künstler aus aller Welt im Westsektor der geteilten Stadt mit schriller und teilweise selbstzerstörerischer Energie, Zeichen gegen die als zunehmend unerträglich empfundenen Bedrohungsszenarien der Welt „da draußen“ zu setzen. Glamour, Wave, Punk und eine beispiellos freie Vermischung aller erdenklichen Kunstrichtungen explodierten förmlich in farbenfrohem Exzess und einem bewusst dekadentem „Leben der letzten Tage“. Außerhalb der Subkultur stieß die Moderne indessen mitunter auf großen Widerstand. Der Ankauf von Barnett Newmans „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue IV“ durch die Neue Nationalgalerie wurde von der Boulevardpresse heftig kritisiert. Der Direktor dieser in einem Museumsbau Mies van der Rohes angesiedelten Galerie erhielt darauf sogar Morddrohungen. Am Ende wurde das Kunstwerk von einem aufgebrachten Studenten zerstört. Dennoch galt damals: Berlin – 1988 zur Kulturhauptstadt Europas gekürt – war angesagter als New York. Große Künstler wie David Bowie stürzten sich in den Großstadtdschungel, der wiederum seine ganz eigenen Gefahren barg. So nahm unter anderem die Drogenproblematik vollkommen neue Dimensionen an. Doch für die jungen Wilden gab es kein morgen. „No Future“ – das schien die einzig richtige Antwort auf den drohenden nuklearen Holocaust zu sein.

Tatsächlich erreichte der Kalte Krieg in der ersten Hälfte der 80er-Jahre seinen dramatischen Höhepunkt. Sogar die dem Weltfrieden verpflichteten Olympischen Spiele konnten im Zeichen der ideologischen Machtkämpfe nicht mehr wie gewohnt abgehalten werden. Teile der westlichen Welt hatten 1980 die Spiele in Moskau boykottiert. Dies war eine direkte Reaktion auf den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan. Die USA unterstützten daraufhin die Mudschaheddin maßgeblich mit Waffen. 1984 blieben nun zahlreiche sozialistische Staaten der Olympiade in Los Angeles fern. Während die Bundesrepublik und die DDR zu einer mehr oder weniger stabilen Umgangsform miteinander gefunden hatten, rasselten die Supermächte mit den Säbeln. Die Aufrüstung, die schließlich zum Zusammenbruch des Ostblocks führen sollte, erreichte groteske Ausmaße. Die Zahl der nuklearen Spreng köpfe beider Lager reichte aus, um die gesamte Bevölkerung der Erde mehrfach zu vernichten. Unabhängig davon verbluteten Hunderttausende Iraner und Iraker im Ersten Golfkrieg. Aus den USA verbreitete sich nach der Entdeckung des HIV-Virus die Angst vor AIDS, in Äthiopien erschütterte eine Hungerkatastrophe die Welt, und das Atomunglück von Tschernobyl 1986 zeigte auf beängstigende Weise, dass die nukleare Bedrohung auch im zivilen Sektor dieser Technologie lag. Das Jahrzehnt schien in einer Atmosphäre der drohenden Katastrophe gefangen.

Mit der Wahl Ronalds Reagans zum US-Präsidenten 1980, einem Befürworter des Rüstungswettlaufs und polarisierenden Rhetoriker, deutete alles auf zukünftige Eskalationen hin. Doch das Jahr 1985 sah mit Michail Gorbatschow unvermutet einen sowjetischen Staatsführer, der eine radikale Wende einleiten sollte. Gorbatschow hatte die Ausweglosigkeit der Lage erkannt und begann eine beispiellose Umgestaltung der sowjetischen Politik. Glasnost und Perestroika – Offenheit und Reform – waren seine programmatischen Eckpunkte. Er setzte dem uneingeschränkten Wettrüsten ein Ende und suchte den Dialog mit US-Präsident Reagan. Gleichzeitig lockerte er gegenüber den Ostblockstaaten die Zügel. Sie sollten künftig mehr Eigenverantwortung bei der individuellen Lösung ihrer Probleme erhalten – ein Signal, das von der DDR-Führung nicht verstanden wurde.

Unter diesen widersprüchlichen Vorzeichen begann man in Berlin die Vorbereitungen auf den großen Geburtstag der Stadt. Vor 750 Jahren hatte eine Urkunde erstmals die kleine Stadt Cölln erwähnt. Diese auf einer Spreeinsel gelegene Ortschaft war im Laufe des Mittelalters mit Alt- Berlin zusammengewachsen und galt gemeinhin als Ursprungsort der späteren Metropole. Und so wurde in Ost und West kräftig am Stadtbild gearbeitet. Auf DDR-Gebiet entstand mit dem Neubau des im Krieg weitgehend zerstörten Nikolaiviertels ein pseudohistorischer Altstadtkern, dessen historischer und architektonischer Wert freilich kontrovers eingeschätzt wurde. Im Westteil wurden der Breitscheidund der Rathenauplatz neu gestaltet. Ein Jahr vor dem Jubiläum erinnerte eine Sondermarkenserie mit dem Titel „Portale und Tore in Berlin“ an historisch wertvolle Torbauten. Unter den Motiven befand sich auch das Charlottenburger Tor an der „Straße des 17. Juni“. Dieses Tor war das historische Pendant zum Brandenburger Tor, welches seit dem Mauerbau im Ostteil lag. Doch ausgerechnet dort führten die Feierlichkeiten im Juni 1987 zu einer unvorhergesehenen Eskalation. Vom 6. bis 8. Juni fand vor dem Reichstagsgebäude in Westberlin ein dreitägiges Rockkonzert statt, das „Concert for Berlin“. Internationale Größen aus Rock- und Popmusik spielten in unmittelbarer Nähe der Berliner Mauer. Bald versammelten sich Jugendliche im Ostteil der Stadt, um der Musik zu lauschen. Doch das Eingreifen der DDR-Sicherheitskräfte verwandelte das Gefühl der Verbundenheit rasch in Wut. „Die Mauer muss weg!“, erschallte es aus der Menge, vereinzelte Gruppen zogen vor die sowjetische Botschaft und riefen nach Gorbatschow. Sogar das Singen der Internationale wurde zu einem Protestruf, denn die jungen Demonstranten betonten das zu erkämpfende Menschenrecht. Die Ostberliner Polizei löste die Menschenmenge schließlich mit Schlagstöcken auf.

Im Westteil der Stadt bahnte sich indessen ein weiterer Höhepunkt der Feierlichkeiten an. US-Präsident Ronald Reagan wurde für den 12. Juni zu einer Geburtstagsrede erwartet. Wie seinerzeit John F. Kennedy wollte Reagan seine Verbundenheit mit den Berlinern zum Ausdruck bringen. Doch zu aller Überraschung sollte seine Ansprache am Brandenburger Tor ebenfalls zu einer historischen Rede werden. „Tear down this wall!“ – Über die genaue Herkunft dieser Worte wird noch immer spekuliert, es scheint jedoch eine Idee des Präsidenten selbst gewesen zu sein, über die Mauer hinweg die Worte nach Osten, in Richtung Moskau, zu richten. Reagan und Gorbatschow hatten bereits während der Abrüstungsverhandlungen persönlich gutes Einvernehmen aufbauen können. Vor diesem Hintergrund könnte man den provokanten Ton der Rede von 1987 durchaus auch als Rückenstärkung des sowjetischen Staatschefs deuten.

„Generalsekretär Gorbatschow, wenn Sie nach Frieden streben – wenn Sie Wohlstand für die Sowjetunion und für Osteuropa wünschen – wenn Sie die Liberalisierung wollen, dann kommen Sie hierher zu diesem Tor. Herr Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor! Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder!“

Obwohl Reagans Rede in den Medien vergleichsweise wenig Widerhall fand, gilt sie heute als eine Textikone der sich anbahnenden Wiedervereinigung Deutschlands.

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